Während der vierwöchigen Reise von Ko Sichang nach Rotterdam waren offene Aggressionen ausgebrochen, es kam zu Arbeitsniederlegungen.
Eine maßgebliche Rolle bei dieser Tragikkomödie kam Frau M. zu, einer Stewardess. Normalerweise fahren bei Laeisz Gilbertesen als Stewards, jene Südseeinsulaner, die schon seit Jahren bei dieser Reederei als Matrosen, Motorenhelfer oder eben auch Messbüddels eingesetzt werden. Frau M. erhielt den Job, weil sie mit einem ebenfalls an Bord eingesetzten deutschen Matrosen verlobt war und so mitfahren konnte. Nach einigen Wochen entdeckte die Lady aber wohlwollend, dass auch noch andere Rüden an Bord zur Verfügung standen, und schon begann ein fröhliches Treiben in fremden Kojen. Der deutsche Matrose sagte sich wutschnaubend von der Dame los und ignorierte sie dann weitestgehend. Irgendwann kam auch besagter Chiefmate bei der Lady mal zum Zuge, wurde aber später umgehend gegen Luki O`Brian ausgetauscht, einen britisch/gilbertesischen Decksmann. Von da an ging Chiefmate in Wogen von Alkohol unter. Selbstverständlich verhängte der Alte einen Alkoholstop für den Ersten, der war aber trotzdem täglich blau. Wohlmeinende Unterstützer, darunter der inzwischen gesackte Bootsmann, versorgten ihn zunächst weiter mit Stoff. Kleine Anekdote am Rande: In einem Kompass auf der Brücke wurde genau in dieser Zeit eine Verfärbung der Kompassflüssigkeit festgestellt, einer Alkohollösung. Und schon verbreitete sich auf dem ganzen Dampfer das Gerücht, der Chiefmate habe den Kompass leer gesoffen und die Lösung durch Wasser ersetzt. War natürlich Stuss hoch drei, aber die Story hielt sich hartnäckig und wochenlang.
„Die Sache ist noch lange nicht ausgestanden!“, meint Herbie, „Inzwischen werden bei der Reederei `ne ganze Menge Fragen gestellt. Schätze, da rollen noch mehr Köpfe!“
Wir unterhielten uns noch `ne ganze Weile. Mit Herbie hatte ich schon mal einen brauchbaren Kumpel an Bord. Und wenn wir in zwei Wochen auslaufen würden, wäre bestimmt `ne ganz andere Crew hier im Einsatz. Abends, in der Koje, ziehe ich noch mal ein gedankliches Fazit. Nun war ich also auf einem Bulkie eingestiegen. An Bord jede Menge Suffköppe, die man gerade gefeuert hatte oder noch feuern wird. Eine Stewardess mit ausgeprägtem Juckreiz im Unterleib. Und ein bekloppter Bordhund mit Kofferallergie. Schauen wir mal, wie das hier weiter geht…
Eineinhalb Wochen später. Wir liegen immer noch im Botlek-Hafen. Das Löschen der Tapioka-Ladung ist eine verdammt langwierige Geschichte, alles geht in die schon erwähnten Binnenschiffe und das zieht sich. Inzwischen sieht `s an Deck noch wüster aus, überall dieser verdammte weiße Dreck. Nach dem Auslaufen wird die Decksgang ganz schön zu tun haben, um den Kahn wieder sauber zu kriegen.
In dieser Woche hat sich Einiges getan. Die rührige Dame mit dem unruhigen Unterleib hat selbst abgemustert. Als Abschiedsvorstellung schleppte sie ihren Lover Luki O’Brian noch zum Generalkonsulat nach Amsterdam und wollte den dort ehelichen. Unter denkbar schlechten Voraussetzungen, es fehlten beider Geburtsurkunden, die in dieser Zeit noch verbindliche Aufgebotsfrist war nicht eingehalten worden, eigentlich legten die nur ihre Reisepässe vor. Der Konsul schickte sie umgehend vor die Tür, man sei schließlich nicht in Las Vegas. Lucky Luki tauchte am nächsten Tag wieder alleine an Bord auf, die Hochzeit sei zunächst mal verschoben.
Der harte Kern der alten Crew ist inzwischen vollständig abgelöst worden, die Ereignisse an Bord haben doch einigen Wind in Hamburg ausgelöst. Und auch der Kapitän wurde von Bord genommen. Der neue Alte, Kapitän Behneke, genießt bei den Leuten, die ihn bereits kennen, einen guten Ruf, er gilt als kollegial und soll die Dinge nicht so verbissen sehen. Schauen wir mal.
Einmal war ich in dieser Zeit an Land. Ich hatte mich einigen Maschinenleuten angeschlossen, zu viert war die Taxifahrt halbwegs erschwinglich. Natürlich landeten wir im „Katendrecht“, dem Rotlichtviertel Rotterdams. War aber ein Schuss in den Ofen, der Abend verlief äußerst trist. Wir zogen durch ein paar schmuddelige Bars, hockten trübsinnig auf zerschlissenen Barhockern und trafen überwiegend auf Damen fossilienhaften Alters, deren Gesichter unter dicken Schichten von Farbe oder Glasur kaum zu erkennen waren. Führten blödsinnige Dialoge, so etwa: „Na, Süßer, bist `de mit dem Schiff hier?“ – „Nee, mit `nem Zeppelin!“ – „Gibst `de einen aus?“ – Seh ich aus wie beknackt?“ Wir waren froh, als wir morgens gegen zwei Uhr wieder an Bord waren. Rausgeschmissenes Geld.
In drei Tagen sollen wir eigentlich auslaufen. Der Charterer hat sich aber noch nicht über die Route ausgelassen, kein Schwanz weiß, wo wir eigentlich hinfahren sollen. Oder wie es der Gilbertesen-Steward in etwas schrägem Englisch rüberbringt: „Nobody knows, what way!“
Und dann, einen Tag später, liegt die Reise-Order auf dem Tisch. Der Alte verkündet in der Messe die frohe Botschaft: Ballast-Reise nach Westafrika, wir sollen Lower Buchanan in Liberia ansteuern. Dort wird Eisenerz geladen, anschließend geht’s rüber nach Philadelphia, US-Bundesstaat Pennsylvania. Hätte schlimmer kommen können…
Von links: der Alte, der Chief, Norbert „Edler von Schwaben“, ein Assi,
NOA Hermann und Schweine-Willy
Mittags Smalltalk in der Offiziersmesse. Keiner der Jungs war schon mal in Buchanan gewesen, also Neuland für alle Piepels an Bord. „Sind über 3.300 Seemeilen!“, verkündet Herbie. „Der Charterer hat 13 Knoten Speed vorgegeben, da dödeln wir so knappe 11 Tage auf See rum, bis wir dort sind!“ 13 Knoten. Auf den Bananenjägern heizten wir meistens mit 20 oder 21 Knoten übern Teich. Eisenerz ist kein eiliges Frachtgut. Ist schließlich nicht von Fäulnis bedroht, im Gegensatz zu Bananen. Na ja, unser fetter Bulker war eh nicht so schnell. Wenn man alles aus der 17.000 PS starken Antriebsanlage rauskitzelte, waren 15,5 Knoten drinn. Und bei dieser Geschwindigkeit wurden dann täglich locker 40 Tonnen Schweröl verbrannt…
Über eine Woche später. Fast zwei Drittel der Seereise sind bewältigt, Zeit für ein erstes Resümee. Es hat dann tatsächlich zwei Wochen gedauert, bis die komplette Tapiokafracht gelöscht war. Inzwischen war eine stattliche Anzahl von kleinen Binnenfrachtern rheinaufwärts und sonst wo unterwegs, um dieses Zeug an seine Bestimmungsorte in Mitteleuropa zu transportieren. Mit dem Auslaufen begann das große Cleaning-Manöver für die Decksgang, der komplett versaute Dampfer musste gereinigt werden. Ebenfalls die riesigen Laderäume. Insgesamt neun dieser Räume gibt es auf dem Schiff, groß wie Kathedralen. Tagelang war Schweine-Willy mit seiner Matrosentruppe im Einsatz, um die Rückstände dieser Ladung wieder vom Deck und aus den Luken zu kriegen.
Von einem Irrglauben werde ich schon kurz nach dem Passieren des englischen Kanals geheilt. Ich hatte mir eingebildet, dass so ein dicker Schlorren wohl kaum allzu spürbar ins Wackeln gerät, wenn die See mal unruhig wird. Und die ist unruhig, Ende Februar bläst es ganz stramm in der Biskaya. Wir fahren in Ballast, die Ballasttanks sind mit Wasser befüllt, um die Kiste stabil zu halten. 30.000 Tonnen Ballastwasser, verteilt auf Doppelboden- und Wingtanks sowie Luke 5. Aber der Bock rollt wie wahnsinnig. Merke: dickes Schiff ist nicht gleich ruhige Fahrt.
Ich selbst freue mich nach wie vor über meine höchst leistungsfähige Funkstation. Ganz schnell stecke ich wieder in meiner täglichen Arbeitsroutine, den immer gleichen Tätigkeiten in der Funkbude. Regelmäßig nehme ich die für das befahrene Seegebiet ausgestrahlten Wetterberichte auf. Auch unsere Nautiker auf der Brücke erstellen fortlaufend Berichte mit Wetterbeobachtungen, die ich dann sende. Unser Beitrag zur Erstellung großräumiger Wetterprognosen. Ich nehme täglich eine Funkpresse auf, die Crew will schließlich auch verfolgen, was in der Welt dort draußen gerade Sache ist. Konstant höre ich die Sammelanrufe von Norddeichradio ab, um so zeitnah wie möglich für das Schiff eingehende Nachrichten zu empfangen. In gewissen Zeitabständen sende ich Positionsmeldungen und ETAs für Charterer und Reederei, berechnete Ankunftszeiten. Über acht Stunden täglich überwache ich die Not- und Anruffrequenz 500 kHz. Ich schreibe nautische Warnmeldungen mit, die auf Unregelmäßigkeiten im befahrenen Seegebiet hinweisen. Vertriebene Fahrwassertonnen, defekte Leuchtfeuer und dergleichen. Hin und wieder erscheint ein Besatzungsmitglied und will nach Hause telefonieren. Funker-Alltag. Und hier kann man auch fast immer und überall telefonieren, mit einem Einseitenband-Sender, der mit 1.500 Watt in den Äther bläst, ist das überhaupt kein Problem. Jedenfalls nicht auf unserer Route. Und mit diesem sehr leistungsfähigen Equipment bin ich nun auch häufiger Teilnehmer bei der „Quasselwelle“.
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