Dieser neue Band 66 hat das Zeug, zu einem Bestseller der Seemanns-Erinnerungsliteratur zu werden und wird sicher wieder nicht nur ehemalige Seeleute lebhaft an ihre aktive Fahrzeit erinnern, sondern auch Landratten einen guten Einblick in die Seefahrt der 1970-80er Jahre vermitteln. Ohne bürgerlich-moralische Verklemmungen oder Tabus schildert Bernhard Schlörit sehr offen auch die Bewältigung der jugendlichen Libido der Seeleute.
In diesem Zusammenhang wurde ich bei der Lektüre des Manuskripts wieder einmal an den bekannten Theologieprofessor und langjährigen Prediger auf der Kanzel des Hamburger Michels, Helmut Thielicke, erinnert, der 1958 eine Seereise nach Japan auf einem Frachtschiff der Hapag unternahm und seine Erlebnisse an Bord in dem Buch „Vom Schiff aus gesehen“ zusammenfasste. Seine hautnahen Begegnungen auf dieser wochenlangen Reise mit Seeleuten brachten ihn zu dem Bekenntnis, dass ihm eine ganz neue, bisher unbekannte Welt erschlossen worden sei und er nun eigentlich sein kurz zuvor veröffentlichtes Ethikwerk umschreiben müsse: „ Ich bemühte mich nach Kräften, offen zum Hören zu bleiben und – so schwer es mir fällt – selbst meine stabilsten Meinungen in diesem thematischen Umkreis als mögliche Vorurteile zu unterstellen, die vielleicht einer Korrektur bedürfen. Ich frage mich ernstlich, was an diesen meinen stabilen Meinungen christlich und was bürgerlich ist… Ich merke, wie schwer es ist, sich im Hinblick auf alles Doktrinäre zu entschlacken und einfach hinzuhören – immer nur hören zu können und alles zu einer Anfrage werden zu lassen... Bei meiner Bibellektüre achte ich darauf, wie nachsichtig Jesus Christus mit den Sünden der Sinne ist und wie hart und unerbittlich er den Geiz, den Hochmut und die Lieblosigkeit richtet. Bei seinen Christen ist das meist umgekehrt. “
Hamburg, September 2013 / 2014 Jürgen Ruszkowski
Vorbemerkungen des Autors:
Seefahrt in den 1970er und 80er Jahren. Damals trug die deutsche Handelsflotte ihren Namen noch zu Recht, nicht nur der Reeder war ein so genannter „Bundesbürger“, auch die Mehrzahl der Besatzungsmitglieder hatte einen deutschen Pass in der Tasche. Ein großer Teil der Schiffe führte Schwarz-Rot-Gold am Flaggenstock, Leben und Arbeiten an Bord verliefen noch in jenen zum Teil recht traditionellen Bahnen, die deutsche Seeleute seit Generationen kannten. Und der Seemannsberuf hatte zu dieser Zeit noch seinen festen Platz im Bewusstsein vieler Küstenbewohner und auch im Bewusstsein vieler Landratten aus südlicheren Gefilden der Bundesrepublik. Eine Epoche, die dann in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre zügig zu Ende gehen sollte. Die Globalisierung schwemmte in kurzer Zeit die gewachsenen Traditionen hinweg, Schiffe deutscher Reeder sind heute ganz überwiegend unter fremder Flagge und mit ausländischer Crew unterwegs. Nur die hin und wieder gerne mal abgegriffenen Subventionen für die Branche sind noch deutschen Ursprungs…
Seemann. Das war der allgemeine Begriff für jene Mitmenschen, die sich beruflich der See verschrieben hatten. Dabei handelte es sich eigentlich um eine ganze Palette von Berufen, die für den Betrieb eines Seeschiffes benötigt wurden. Kapitäne und nautische Offiziere, zuständig für Schiffsführung, Ladung und Navigation, Schiffsingenieure, verantwortlich für den Betrieb der Antriebsanlage. Matrosen und Decksleute, angeleitet vom Bootsmann, in der Maschine Motorenwärter und Motorenhelfer, geführt vom Lagerhalter, dem „Storekeeper“.
Es gab Köche und Stewards, die für das leibliche Wohl und den Komfort der Besatzung sorgten. Jawohl, damals interessierte man sich auch noch für den Komfort der Besatzung, monatelange Reisen mussten ja nicht zwangsläufig auf dem Niveau eines Überlebenstrainings ertragen werden.
Dank des technischen Fortschritts gab es weitere Spezialisten an Bord. Schiffselektriker, die mit der Bändigung der ausufernden E-Technik und Elektronik alle Hände voll zu tun hatten. Ja, und auch solche Exoten wie die Funkoffiziere gab es in jener Zeit noch. In den Augen ihrer Bordkollegen oft etwas merkwürdige Vögel, die hoch oben in ihrer Funkbude kauerten und in einer schnellen Folge kurzer und langer Töne eine lesbare Nachricht erkannten. Und mit Hilfe ihrer Morsetasten aus genannten Tönen selbst solche Nachrichten erstellten und versandten.
Nun, ich war einer dieser Gesellen, die seinerzeit noch auf den Schiffen die Verbindung zum Land und zu anderen Seefahrzeugen sicherstellten. Mittels Morsetelegrafie, Funkfernschreibbetrieb und Funktelefonie sorgten wir für die Erreichbarkeit der Schiffe. Außerdem waren wir die „Purser“ auf den Frachtschiffen, Verwalter und Zahlmeister, zuständig für die Behördenabfertigung in den Häfen, verantwortlich für Heuer- und Proviantabrechnungen und vieles mehr.
Auch wenn in den Erzählungen von der See der Spaßfaktor immer etwas überhöht dargestellt wird, so war es letztlich die Arbeit, die den seemännischen Alltag bestimmte. Offiziere im Wachdienst, Mannschaften teilweise ebenfalls, im Übrigen aber mit der permanenten Pflege und Wartung des Dampfers befasst. Maloche und Monotonie. Matrosen, die in südlicher Hitze tagelang an der Rostmaschine ackerten, Maschinenleute, die bei Höllentemperaturen an ihrem Diesel werkelten. Und dann im Hafen Stunden mit Kolbenziehen und anderen Reparaturarbeiten verbrachten, die im Fahrbetrieb nicht möglich waren. Für viele Seeleute eine Plackerei über Tage, Wochen, Monate. Dabei nehme ich mich als Funker ausdrücklich aus, wir „Sparkys“ in unserer klimatisierten Funkbude hatten noch ein vergleichsweise gutes Leben. Es liegt in der menschlichen Natur, dass man immer glaubt, das „härtere“ Los in der Arbeitswelt gezogen zu haben als der Kollege nebenan, diesem Irrglauben unterlag ich nicht. Die Tätigkeiten eines Matrosen sind nicht vergleichbar mit der Beanspruchung eines Stewards, ein Koch arbeitet mit anderen Belastungen als ein Storekeeper, das Arbeitsprofil eines dritten Ingenieurs ist ein anderes als das des etwa gleich hoch bezahlten Funkoffiziers. Aber Seeleute waren wir alle, vereint in dieser Arbeitswelt Schiff teilten wir die gleichen Sorgen und Nöte sowie auch die Freuden und Abenteuer, die die damalige Seefahrt noch mit sich brachte. „Seemann“ war letztlich nicht nur ein Beruf. Wer die Seefahrt wählte, wählte eine von der Norm stark abweichende Lebensform. Diese Erläuterungen mögen einem seefahrtsfernen Leser nützlich sein, wenn er sich die nachfolgenden Schilderungen zu Gemüte führt.
In meinem ersten Buch „Hast du mal einen Sturm erlebt?“ habe ich mich detailliert über meinen seemännischen Werdegang und meine erste große Fahrt als Funkoffizier ausgelassen. Etliche, früher selbst auf See tätige Leser ließen mir Anregungen und Kommentare zuteil werden. Darunter war auch der Satz „Mich würde interessieren, was der Autor über seine Erfahrungen in der Bulkfahrt zu berichten weiß“. Zunächst schenkte ich dieser Aussage wenig Beachtung, ich hatte damals meine Erlebnisse in der Kühlschifffahrt zum Themenschwerpunkt gewählt. Aber irgendwie legte sich diese Bemerkung in meinem Hinterkopf ab, und eines Tages kam sie mir wieder in den Sinn. Warum sollte ich eigentlich nicht mal die von mir erlebte Geschichte über die Bulkfahrt niederschreiben? In meinem Seefahrtbuch sind neben einigen Stückgutfrachtern, Kühl- und Containerschiffen immerhin auch vier dieser Massengutfrachter vermerkt, auf denen ich fuhr. Auf zweien dieser dicken Pötte kam ich sogar zweimal zum Einsatz, ich habe also einen nicht unerheblichen Anteil meiner Gesamtfahrtzeit auf solchen großen Schlorren verbracht. Und da gibt es ’ne Menge zu erzählen…
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