Mit gutem Grund wird also der Leser hier wenige „echte“ Namen der agierenden Kollegen finden. Überhaupt erzähle ich einige der Vorkommnisse nur, weil die handelnden Personen in diesen Fällen nicht mehr unter den Lebenden weilen. Und viele Namen damaliger Seeleute sind mir einfach nicht mehr erinnerlich, auch aus diesem Grund habe ich fiktive Namen verwendet.
Wenn ein Seemann aus der Fahrt berichtet, tauchen auch häufig die deftigen Begleiterscheinungen der Seefahrt auf. Immer wieder einmal kam es zu alkoholischen Exzessen mit manchmal fatalen Folgen für die Betroffenen. Zog es die Janmaaten an Land, zog es sie manchmal auch zum Weibe hin. Unternehmungen, die in schönster Regelmäßigkeit in den Armen einer Hafennutte endeten. Oder auch nicht, wenn widrige Umstände dem entgegen wirkten. Klischees, mag der eine oder andere Leser denken. Ja, Klischees, aber die hatten durchaus ihren wahren Kern.
Zu dem Thema Hafennutten noch ein Wort: Die Begegnungen mit solchen Damen nahmen in meinem ersten Buch breiten Raum ein. Die Bananenfahrt nach Mittel- und Südamerika brachte es nun einmal mit sich, dass es in den dortigen kleinen Hafenstädtchen häufig zu solchen Kontakten kam. Etliche Leser zogen daraus den Schluss, dass sich Seeleute grundsätzlich durch die Puffs der Häfen vögelten und die Arbeit so nebenbei erledigten. Falsch. In bestimmten Fahrtgebieten herrschte gewissermaßen ein Überangebot williger und auch exotisch reizvoller Damen, das von einem Großteil, aber nicht von allen Besatzungsmitgliedern, freudig wahrgenommen wurde. In anderen Fahrtgebieten war das nicht der Fall, und die Sailors verbrachten ihre Monate an Bord in mönchischer Enthaltsamkeit. Früher und heute ist es aber zutreffend, dass die Triebabfuhr eines Seemannes in Fahrt fast ausschließlich mit Prostituierten stattfand. Und, das soll hier nicht unerwähnt bleiben, etliche Janmaaten versagten sich diese „Freuden“. Teilweise, weil sie in der Heimat glücklich liiert waren, aber auch aus Angst vor Ansteckungen oder einfach aus grundsätzlichen Überlegungen heraus. Hin und wieder gab es an Bord auch mal einen Moralisten, der empört den Zeigefinger hob. Und dann in allen Decks brüllendes Gelächter auslöste. In der Masse gingen wir Seeleute locker mit diesem Thema um.
Erzählen werde ich nun die folgende Geschichte so, wie ich sie auch verbal rüberbringen würde, unter teilweiser Nutzung unserer damals üblichen Bordsprache. Das schließt einen gewissen rustikalen Ton mit ein, wenn der Seemann zum Vögeln an Land ging, dann gedachte er zu vögeln. Und nicht zu kopulieren. Wer dies nicht lesen möchte, ist mit der Lektüre eines verträumten Heimatromanes besser bedient, da bleiben ihm solche Zumutungen erspart.
Die schon erwähnten langen Seetörns auf den Bulkern führten bei mir zu einer gesteigerten Schreibfreudigkeit, was Briefe in die Heimat betrifft. Daher liegen mir gerade zu den Fahrtzeiten auf diesen beiden Schiffen besonders viele meiner Schilderungen und detaillierte Berichte vor, die ich damals meinem Freundeskreis übermittelte. Danke an Christa und Willi, die mir mein früheres Geschreibsel wieder zur Verfügung stellten. Danke an die Kapitäne Klaus Bergmann und Hermann Ehlers, die als junge Offiziersanwärter mit mir auf diversen Pötten fuhren und mir besonders im nautisch / technischen Bereich Detailfragen beantworteten, die mir nicht mehr so genau erinnerlich sind. Danke an meinen Funkerkollegen Jürgen Coprian, der, selbst Verfasser zahlreicher Bücher über seine Seefahrtserlebnisse, letztlich den Anstoß dafür gab, dass ich meine Erinnerungen niederschrieb. Und meiner Inge danke ich für ihre Leidensfähigkeit, mit der sie das wochenlange Abtauchen des lieben Gatten in seine Seefahrtserinnerungen ertrug. Während der Niederschrift eines solchen Buches ist man ja kaum noch ansprechbar und auch sonst für nichts Sinnvolles mehr zu gebrauchen… Also, noch mehr Gelaber zur Einleitung braucht ’s nun wirklich nicht.
Ich begebe mich auf eine Zeitreise in den Februar 1978. Die Reederei Laeisz hat meinen zweimonatigen Urlaub mittels eines Telefonanrufes abrupt beendet und mich nach Rotterdam beordert. Und dort soll ich auf MS PROPONTIS einsteigen.
Auf dicken Pötten um die Welt
– Ein Funkoffizier erinnert sich an die Bulkfahrt–
Eisenerz und „Yellow Corn“
Es ist früher Nachmittag, als meine Linienmaschine auf Amsterdam-Schiphol landet. Freunde hatten mich am Morgen nach Frankfurt zum Flughafen gebracht, nach dem „Check in“ tranken wir noch ein letztes Bier zusammen, und damit war mein Urlaub zu Ende. So, und jetzt stehe ich in der Ankunftshalle in Amsterdam und kann zusehen, wie ich zum Schiff gelange. Nach zwei Einsätzen auf Kühlschiffen hatte das „Mutterhaus“ in Hamburg beschlossen, dem Funker Schlörit mal `ne andere Art der Seefahrt nahe zu bringen. Auf mich wartete einer der beiden Massengutfrachter der Reederei F. Laeisz, die PROPONTIS. Ein Bulkie wie aus dem Bilderbuch: 255 Meter lang, knapp über 32 Meter breit, 80.000 Tonnen Tragfähigkeit, 43.476 BRT. Die kleinen Bananenjäger, auf denen ich in meiner noch recht kurzen Funkerlaufbahn bisher gewirkt hatte, sahen neben diesem Schlorren wie Faltboote aus.
Aber zunächst mal muss ich den Kahn finden. Am Telefon hatte mir Frau Schibinsky, die fürsorgliche Personalsachbearbeiterin der Reederei Laeisz, lediglich den Liegeplatz mitgeteilt.
Vom Amsterdamer Airport gibt`s `ne Busverbindung zum zentralen Busbahnhof Rotterdam. Nach einigem Hin und Her gelange ich zum Bus. Gurke eine Stunde mit zwei Dutzend Mitpassagieren über holländische Schnellstraßen. In Rotterdam fange ich mir ein Taxi ein. „Zum Botlekhafen bitte!“ Bei der Nennung des Fahrtzieles wird der Taxipilot saufreundlich, bietet mir umgehend seine Zigaretten und den Beifahrersitz an und zeigt jenes bei Taxlern übliche Verhalten, wenn sie einen Großauftrag erhalten. Es folgt ein Taxi-Ritt von 45 Minuten. Rotterdam bleibt im Nebel zurück, und eine ganze Weile geht es vorbei an Industriebetrieben, Öltanks, Raffinerien. Dann Kohle- und Erzhalden, Berge von Kali und sonstigem Dreck.
Schließlich landen wir an einem riesigen Hafenbecken. An den Kais etliche Dickschiffe, die von gigantischen Portalkränen mit Greifern entladen werden. Und mitten in diesem Hafenbecken, an Bojen vertäut, liegt ein schwimmender Koloss.
Die PROPONTIS. Mann, was für ein Brocken. Endlos lang, keinerlei Masten oder sonstiges Geschirr an Deck, schwarzer Rumpf, weiß gestrichene Aufbauten, der riesige Schornstein laeisz-typisch in fahlem Gelb.
Aber wie komme ich jetzt da rüber? Der Taxifahrer trägt die Lösung dieses Problems im besten Holländer-Deutsch vor: „Musst du mit die kleine Bout faare!“
An einem Anleger, Liegeplatz mehrerer kleiner Barkassen, setzt er mich ab. Und schon quakt mich einer der Barkassenführer an, der ist von unserer Agentur beauftragt worden, die über den ganzen Tag eintreffenden Neuanmusterer zur PROPONTIS zu schippern. Na also, dann ist ja für Alles gesorgt. Minuten später tuckert das „kleine Bout“ mit Sparks, seinem Koffer und seiner Reisetasche los in Richtung Dampfer. Näher am Schiff fällt mir zunächst die Riesensauerei ins Auge, die den Kahn einhüllt. Auf der Backbordseite haben zwei große Pontons festgemacht, auf diesen Plattformen stehen hohe, mehrgeschossige Aufbauten mit mehreren Treppenaufgängen. Von den Türmen hängen an Auslegern verbaute gewaltige Rüssel in den geöffneten Luken der PROPONTIS. So genannte Saugheber. Und über den Luken steht eine weiße Staubwolke, dieser Staub hüllt auch das ganze Schiff ein, der Schlorren sieht aus wie gepudert. Und da die nebligen Februarnächte nun mal viel Feuchtigkeit mit sich bringen, hat sich die Staubschicht inzwischen zu einem flächendeckenden weißen Schleim verwandelt. Was für einen Dreck haben die denn transportiert? An der dem Schiff abgewandten Seite der Pontons liegt ein Binnenschiff, der weiße Mist wird direkt von meinem neuen Pott in diesen Rheinfrachter umgeladen. Na, das kann ja noch `ne Weile dauern, der Tiefgang der PROPONTIS signalisiert mir, dass man gerade erst mit den Löscharbeiten begonnen hat.
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