Nachmittags sind wir wieder auf See.
Deck der PROPONTIS – Blick auf Brücke
Der Charterer verlangt „wirtschaftliche“ Geschwindigkeit. Beim Schiff verhält es sich genau so wie bei einem Auto, mit Vollgas verbrät man den meisten Sprit. Also müssen wir es gemütlich angehen lassen, wir laufen 12 Knoten. Bedeutet 15 Tage bis zum Löschhafen Philadelphia. 15 Tage Bordroutine, Wachdienst, Essen, nach Wachende ein wenig Teilnahme am überschaubaren Freizeitangebot. 15 Tage bei permanenter Vibration, das Schiff in ständiger wiegender Bewegung, die Zeit vergeht im Schneckengang. Oft stehe ich auf der Brücke und leiste dem wachhabenden Steuermann Gesellschaft. Wasser bis zum Horizont, so gut wie nie ist ein anderes Schiff zu sehen. Höhepunkte des Alltags sind die Mahlzeiten, man trifft sich in der Messe, klönt, haut das Essen runter und verschwindet wieder in der jeweiligen Arbeitsstation.
Der Koch spielt eine zentrale Rolle, handelt es sich um einen lausigen Frikadellenschmied, der seinen Job nicht beherrscht, ist die Stimmung sofort im Keller. Wir haben Glück, der Herr der Kochtöpfe und Pfannen ist ein Meister seines Fachs und etliche der Piepels plagen sich schon bald mit Gewichtsproblemen herum. Die an Bord verabreichten Kalorien entsprechen eigentlich dem Bedarf eines Schwerarbeiters, gut, das trifft wohl noch auf einige Jungs in der Maschine und auch im Decksbetrieb zu. Typen wie ich, die ihre Arbeit fast vollständig sitzend abwickeln, sollten schon mal den einen oder anderen Gang ausfallen lassen.
Meine letzte tägliche Funkwache endet um 20:00 Uhr. Die Tagesdienste haben dann schon lange Feierabend, in den Nachtstunden arbeiten nur die Wachhabenden auf der Brücke und in der Maschine. Und letztere auch nur eingeschränkt, die Antriebsanlage der PROPONTIS war für einen teilweise wachfreien Betrieb zugelassen.
Ein abendlicher Kneipenbesuch, wie bei Landratten üblich, liegt nicht im Bereich des Möglichen. Aber irgendwo ist immer mal `ne Party fällig. Mal auf der, mal auf jener Kammer trifft man sich mit ein paar Bordkollegen, schlabbert einige Bierchen und schnackt einen aus. Brettspiele kommen immer wieder mal zum Einsatz. Und auf der PROPONTIS wird ein wöchentlicher Preisskat zur festen Einrichtung.
Mit Skat konnte ich mich nie anfreunden, stundenlang konzentriert den Verlauf eines Kartenspiels zu verfolgen hat mich einfach nicht interessiert. Hier aber gibt `s kein Entrinnen, schon beim ersten Preisskat melden sich 14 Mann an, mit `nem 15. Spieler hätte man also 5 Tische bemannen können. Die Gilbertesen scheiden per se aus, die haben keinerlei Neigung zu diesem Spiel. „Sparks, du spielst mit, dann geht’s genau auf!“ – „Mann, ich kann doch gar kein Skat…!“ – „Schnauze, du lernst das, wir machen `nen Schnellkurs mit dir, und morgen Abend steigst du ein!“ Tja, so geschieht es dann auch. Der Chief, der Alte und der Edle von Schwaben unterziehen mich einem Intensivtraining, und als ich gerade mal die einfachste Zählweise der Karten begriffen habe, wird meine „Spielreife“ verkündet.
Schon am nächsten Abend sitze ich mit der Meute in der Messe und liefere ein chaotisches Gezocke ab, den mir zugeteilten Mitspielern klappt mehrfach der Kiefer runter. Macht viel mehr Spaß, wenn man keine Ahnung hat… Trotzdem (und ich habe es als Einziger bemerkt) kriege ich mit, dass Schweine-Willy beim Geben nach Strich und Faden bescheißt. Der jubelt sich jedes Mal beim Mischen und Austeilen die Buben unter, entsprechend gut schneidet er dann auch ab. Meine Beobachtung behalte ich aber für mich und feixe mir einen. Wenn’s die großen Skatexperten nicht schnallen, kann`s mir auch egal sein.
Weilte ich im Urlaub zu Hause, wurde ich immer wieder mal mit der Frage konfrontiert: „Wie hälst`n das aus? Wochenlang auf See, keine Abwechslung, keine kulturellen Angebote, kaum Unterhaltung, und vor allem – keine Weiber.“ – Ach ja? Wie habt denn ihr Junggesellen an Land damals gelebt? OK, Kneipenbesuche waren für euch möglich, aber in der Regel zogt ihr immer in dieselben Läden. Kulturelle Angebote? Wie oft wart ihr denn im Theater? Unterhaltung? Hatten wir genug, wenn auch in einem überschaubaren Personenkreis. Kino? Einen Projektor und ab und an wechselnde Leihfilme schleppten wir auch mit. Und Weiber? Na gut, falls ihr solo wart, habt ihr täglich welche gesehen, hattet aber noch lange keine im Bett. So what? Und was das betrifft, ließen `s die Maaten in den Häfen manchmal richtig krachen. Hemmungslos und mit Juchhu. Sooo viel schlechter als Landratten lebten wir auch nicht. Und in mancher Hinsicht sogar besser. Und nach jedem, im Durchschnitt sechs Monate dauerndem, Einsatz schlossen sich zwei bis drei Monate bezahlter Urlaub an. Es gab schlimmere Schicksale…
Im letzten Drittel der Überfahrt wird`s wacklig. Um uns herum ist das Wetter OK, aber weiter nördlich ziehen Frühjahrsstürme über den Teich. Deren Dünung lässt uns rollen, und zwar auf eine ekelhafte Art und Weise. Durch die Erzladung liegt unser Schwerpunkt verdammt tief, der Kahn bewegt sich wie ein Stehaufmännchen, mit schnellen und oft ruckartigen Bewegungen und kurzen Rollperioden. Unangenehm, aber es gibt sowieso kein Entrinnen, also setzt jeder eine gelassene Miene auf und wartet auf bessere Tage.
Bei längeren Seetörns reduziert sich manchmal das Gefühl für Raum und Zeit, die Tage, die Nächte, die Wachen, die Mahlzeiten, die Skat- und Bierrunden vergehen… und auf einmal sind wir vorm Zielhafen.
Zunächst ankern wir einen Tag lang. Dichter Nebel, wir werden von den Port-Authorities erst mal vertröstet. Am zweiten Tag kommt der Lotse an Bord, in langsamer Fahrt geht’s den Delaware River hoch zum Liegeplatz. Morgens um 04:30 Uhr sind wir an der Erzpier.
Es folgt die übliche Nummer beim Anlaufen US-amerikanischer Häfen. Eine Einklarierungsprozedur an der Grenze des Zumutbaren. Die komplette Besatzung defiliert am Immigration Officer vorbei, wird mit strenger Miene begutachtet und erhält erst nach eingehender Überprüfung mittels des mitgeführten Fahndungsbuches ein Landgangs-Permit ausgestellt. Ein weiterer Officer versiegelt die Provianträume, zuvor darf noch Proviant für die voraussichtliche Liegezeit entnommen werden. Wir nehmen das lästige Procedere gleichmütig hin, was bleibt uns auch sonst übrig.
Löschen der Erzladung
Unmittelbar danach bewegen sich große Kräne mit Greifern über den Luken, das afrikanische Eisenerz wandert an Land. Maximal zwei Tage sollen wir hier liegen.
Am späten Nachmittag verschwinde ich von Bord. US-Häfen gelten für deutsche Seeleute als Shopping-Paradiese, zu günstigen Preisen erwerben wir dort Jeans, sonstige Klamotten amerikanischen Stils sowie einiges Naschwerk, das nicht in der Bordkantine gefahren wird. Auch Musikkassetten und diverse Elektronikartikel erhält man hier günstiger als zu Hause.
Mit zwei Kollegen durchstreife ich ein Shoppingcenter und kehre später beladen wie ein mazedonischer Lastesel an Bord zurück.
Am Abend erneuter Landgang. Mit Norbert lande ich nach angemessener Taxifahrt in der Innenstadt, und gemeinsam schlendern wir ein wenig umher. Landen in einer Kneipe, die im hawaiianischem Stil dekoriert ist, Kellnerinnen in Baströcken und im Übrigen spärlicher Textilausstattung schleppen uns Getränke herbei und wir tickern uns gemächlich einen an. Das war’s dann aber auch, kurz nach Mitternacht landen wir wieder auf dem Dampfer, ein unvergesslicher Landgang sieht anders aus.
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