Die Einklarierung verläuft recht flott und problemlos, der Umfang der damit verbundenen „Präsent-Übergabe“ hält sich auch in Grenzen. Eigentlich untypisch in diesen Breitengraden. Es sieht ganz so aus, als ob hier ein maßgeblicher Vorgesetzter die übelsten Auswüchse der im Süden allgegenwärtigen Korruption mal etwas zurück stutzt.
Nach der Behördenabfertigung zahle ich noch die von den Piepels bestellten Cruzeiros aus, auch für den Seemann heißt es: „Ohne Moos nix los“. Durch die Planungen der Hafenverwaltung ist allerdings der Landgang für die Crew auf ein enges Zeitfenster geschrumpft. Die Schiffsleitung gewährt aber etwas früher „Ausscheiden“, also Arbeitsende, für die Tagesdienste. Damit beweist der Alte wieder einmal, dass er ein Herz für seine Leute hat.
Ich haue direkt nach dem Mittagessen ab, zu tun gibt’s für mich nichts mehr, eine Funkpresse habe ich bereits anhand einer Nachrichtensendung der deutschen Welle fabriziert, jetzt ist die Funkbude dicht. Zunächst mal stolpere ich fast `ne halbe Stunde zwischen den Eisenerzbergen herum, dann kann ich mir am Hafentor ein Taxi ergattern. Etwas schwierig gestaltet sich die Verständigung, mein in der Bananenfahrt angeeignetes Nutten-Spanisch ist nicht so wirksam, man schnackt portugiesisch hierzulande. Taxifahrer, die an Hafentoren warten, labern aber meistens irgendeinen englischen Kauderwelsch, der zur simpelsten Verständigung ausreicht. Das funktioniert weltweit so. Außerdem machte ich die Erfahrung, dass Taxipiloten, die nun einmal überhaupt nichts verstanden, den Seemann in aller Regel zum nächstbesten Puff fuhren, andere Fahrtziele konnten die sich kaum vorstellen. Manchmal war dann eine gesten- und wortreiche Freestyle-Kommunikation angesagt, um doch noch zum eigentlich gewünschten Ziel zu gelangen. Oder man fügte sich in sein Schicksal… und akzeptierte den Puff.
Ich bin aber jetzt nicht in koitaler Mission unterwegs, ich möchte mal eine kleine Sightseeing-Tour durch Vitoria unternehmen. So ein oder zwei Stunden habe ich dafür eingeplant, dann soll mich der Kutscher zurück zum Dampfer karren. Am späten Nachmittag wollen wir in geselliger Runde nochmals los, in der Nähe soll sich ein so genanntes „Campo“ befinden, irgendeine Ansiedlung mit Bars und dem Seemann wohl gesonnenen „Damens“. Unsere Zeit ist knapp bemessen, das wird wohl eine Vergnügungstour im Schnelldurchgang.
Im Schnelldurchgang läuft auch meine Tour durch Vitoria ab.
Mit dem Taxiheini habe ich einen Festpreis vereinbart, nun karrt der mich zu den „Hotspots“ seiner Heimatstadt. Eine schweißtreibende Aktion, der alte Toyota, der mich durch die Gegend schaukelt, ist nicht klimatisiert, draußen hat es 30 Grad bei sehr hoher Luftfeuchtigkeit.
In der Altstadt von Vitoria
Die Stadt ist sehr quirlig, neue und alte Stadtviertel lösen sich einander ab. Hin und wieder veranlasse ich einen Stopp, um zu fotografieren. Dann hurtig zurück an Bord, das „Campo“ wartet. Dabei lerne ich noch, dass die Taxichauffeure problemlos bis an die Gangway fahren dürfen. Man kann sich auch `ne Karre direkt ans Schiff bestellen, die Ladearbeiter rufen bei Bedarf einen Wagen herbei. Den Fußmarsch durch die Erzhalden hätte ich mir schenken können.
Am späten Nachmittag startet die Operation „Hammerharte Drinks und rattenscharfe Weiber“.
Das herbeigerufene Taxi entpuppt sich als betagter VW-Käfer, made in Brazil. Wir hocken drin wie die Ölsardinen, Schweine-Willy, Timmi, der OA Hermann und meine Wenigkeit. Und der Fahrer natürlich. Das angegebene Ziel der Fahrt entlockt dem schon mal ein breites Grinsen, scheint ja was dran zu sein an dem schlüpfrigen Ruf dieses „Campo“. Zunächst schaukelt der uns über eine unmögliche Piste in die Walachei, fast `ne Stunde sind wir unterwegs. „Habt ihr den Tipp richtig verstanden, oder ist dieses Kaff vielleicht in Argentinien?“ nölt Timmi. Nein, dort ist das Kaff dann doch nicht, schließlich gelangen wir in ein kleines Nest, mehrere auch größere Flachbauten, teilweise aus Holz, teilweise Wellblechkonstruktionen. Auf den Gassen keine Sau, das Campo wirkt wie ausgestorben. An den Türen Bier-Reklame, Bar-Schilder. Wir schauen in den ersten Schuppen – leer. Der zweite sieht keinen Deut besser aus. Im nächsten Laden pennt so `ne ältere Madame hinterm Tresen, nach erfolgreicher Wiederbelebung kommt sie aber in die Hufe und fabriziert recht brauchbare Caipirinhas. Ein erster Lichtblick. Und dann erfahren wir, dass hier zwar täglich der Bär steppt. Aber nicht um diese Tageszeit, die Damens sind alle nachtaktiv, und erst am späten Abend gehen hier die Lichter an. Dann kommt jede Menge Kundschaft aus Vitoria und den Nachbarstädten Cariacica, Serra und Vila Velhar. Notleidende Bulkiefahrer, die hier am Nachmittag aufkreuzen, haben die gar nicht auf dem Tippzettel.
Da hocken wir nun und gucken blöde aus der Wäsche. Den Fahrer haben wir für 20:30 Uhr bestellt, um ganz sicher vor Landgangsende an Bord zu sein. Um diese frühe Stunde sind die Damens zweifelsohne noch mit pudern und parfümieren beschäftigt und kommen für eine Betreuung von zur Unzeit angereisten Seeleuten nicht in Betracht. Shit.
Bleibt der Caipirinha. Und den ziehen wir nun mächtig rein, das Theken-Fossil kommt kaum mit dem Mixen hinterher. Damit erreichen wir, dass wenigstens Teil 1 der Operation „Hammerharte Drinks und rattenscharfe Weiber“ zu einer Erfolgsgeschichte wird.
Und später tauchen dann tatsächlich einige Fräuleins auf, die sind aber das Gegenteil von „rattenscharf“. Ziemlich junge und nicht allzu attraktive Dinger, die man wohl zwecks Ausbildung in die Frühschicht gesteckt hat. In der Mehrzahl haben wir uns bereits in ein desinteressiertes Stadium gezecht und reagieren gleichgültig. Ich vergnüge mich eine Zeit lang mit einem Schlagzeug, auf einer kleinen Bühne sind die Instrumente der am Abend auftretenden Band gelagert. Im ganzen Leben habe ich noch kein Schlagzeug gespielt, und so hört sich mein Geballer auch an. Funkern sagt man allgemein ein herausragendes Rythmusgefühl nach, nur so lasse sich die Tonfolge schnell gesendeter Signale mittels Morsetaste erzeugen. Jetzt beweise ich aber überzeugend, dass man auch ohne jedes Rythmusgefühl der Funkerei anheim fallen kann. Schließlich ertragen die Kollegen den Lärm nicht mehr und ich werde von der Bühne genötigt. Beziehungsweise mittels Caipirinha wieder an den Tisch gelockt.
Der Taxifahrer ist tatsächlich fast pünktlich. Das bedeutet in Lateinamerika, dass er wenigstens am vereinbarten Datum erscheint, die Uhrzeit wird eher großzügig gehandhabt. Jetzt wird’s jedenfalls knapp, um 22:00 Uhr haben wir an Bord zu sein. Kommen wir zu spät und das Auslaufen verzögert sich deshalb, gibt’s jede Menge Ärger. Falls es dem Alten nicht gelingt, die Ursache der Verzögerung zu vertuschen, geht der Dampfer „off hire“. Dann wird für den betreffenden Zeitraum keine Charter gezahlt, auch weitere Kompensationsforderungen seitens des Charterers sind möglich. Die Zeit drängt, wir verpflichten den Taxi-Dödel zu einer Highspeed-Aktion. Der legt auch ganz heftig los, auf der löchrigen Piste haut`s uns fast durchs Autodach. Und plötzlich fängt der Käfer an, wie wild herum zu eiern. Plattfuß. Verdammte Scheiße noch mal, uns läuft die Zeit weg. Jetzt stellt sich raus, dass der Kutscher zwar `nen Ersatzreifen, aber keinen Wagenheber hat. Also spielen wir Wagenheber, wuchten mit vereinten Kräften die Karre hoch, und der Brasi-Driver versucht, sein Ersatzrad auf die wild schwankende Trommel zu wuchten. Irgendwie wird die Kiste immer schwerer, was ist denn da los, verdammt? Wir stellen fest, dass Schweine-Willy nicht mithebt, sondern achtern auf der Stoßstange sitzt und sich somit auch von uns anheben lässt. Der ist breit wie ein Stachelrochen und kriegt absolut nix mehr mit. Hermann pflückt den besoffenen Scheich von der Stoßstange, und jetzt lässt sich der Käfer wieder leichter handhaben. Endlich gelingt der Reifenwechsel, wir zwängen uns wieder in das Vehikel, und weiter geht’s im freien Tiefflug nach Tubarao. Punkt 22:00 Uhr purzeln wir an der Gangway aus dem Wagen, gerade noch geschafft. Der Dampfer ist voll beladen und „ready to go“.
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