„Eines Tages verschwand die Besatzung unserer Garnison. Da die Vermutung bestand, es könnte mit der Insel zusammen hängen, schickte der örtliche Kommandant einen Suchtrupp auf die Insel, um nach den Verschwundenen zu forschen.“
Thibold Eisenhammer wischte sich über das Gesicht.
„Er hatte damit nicht gewartet, bis Verstärkung da war. Und ehrlich gesagt, der gerade erst entstandene Friede ….“ Ein kurzes Hüsteln. „… band schon noch einige Kräfte, so dass wir ihm nicht so unverzüglich zu Hilfe eilen konnten.“
Vollkommenes Schweigen, alle Zuhörenden hingen dem Zwerg an den Lippen, was ihm sichtlich unangenehm war. Die Zwerge, von Haus aus nicht die Mitteilsamsten, hassten nichts mehr, als vor einer interessierten Gruppe sprechen zu müssen. Außer, sie hatten die entsprechende Menge Bier oder Schnaps verkonsumiert.
„Was dann genau geschah ist nicht geklärt. Offensichtlich ist der Suchtrupp in Schwierigkeiten geraten. Nur einem Krieger ist es gelungen, über die Brücke zurück zu kommen. Er hat dann in der Garnison eine Lawine ausgelöst, die die Brücke zerstört hat.“
Nat hob an, eine Frage zu stellen. Doch als er merkte, dass er der Einzige zu sein schien, dem nicht klar war, warum die Zwerge eine Vorrichtung bauten, um ihre eigenen Bauwerke zerstören zu können, hielt er sich lieber zurück.
„Als wir ihn fanden, war sein Geist umnachtet. Er sprach davon, dass er von den Zwergen der Garnison angegriffen worden ist. Und das jeder seiner Freunde, der in dem Kampf gefallen war, wieder aufstand, um ihn anzugreifen. Als er die Lawine auslöste, stand wohl sein bester Freund auf der Brücke, um die Feinde aufzuhalten.“
Für einige Herzschläge schwieg der Anführer der Zwerge und ließ die Worte in den Köpfen seiner Zuhörer nachhallen. Jedem ging ein, welchem Schrecken dieser Zwerg ausgesetzt gewesen sein musste.
„Das wäre der Hinweis auf einen Ort, an dem die Nekromantie in besonders starker Form auftritt. Doch es gibt keine Möglichkeit, dort hin zu kommen. Oder die Insel zu verlassen.“
Brütendes Schweigen lastete auf der Gruppe.
„Jetzt schon.“ Kalistans Worte fielen wie Hammerschläge in die Stille.
„Jetzt gibt es für die Nekromanten die Möglichkeit, die Insel auf dem Rücken eines Drachen zu verlassen. Wenn wir davon ausgehen, dass die Knochen des Drachen fliegen können.“
„Davon müssen wir ausgehen. Ich wüsste nicht, wie jemand in der Nacht mehrere Wagenladungen voller Knochen aus der Stadt geschafft haben will. Oder die Knochen dieses Druiden benötigt haben könnte. Für eine Suppe war da nicht genug Fleisch dran.“
Trotz der bedrückenden Situation gelang es Thorbeil Armstark, mit seinen Worten ein Lächeln auf die Gesichter der Anderen zu zaubern.
„Wann gedachten die Zwerge, uns über diese Gefahr in unserem Nacken zu informieren.“ Der Hochmut des Elfenfürsten troff wie geschmolzenes Blei aus seinen Worten.
Brennende Röte schoss Thibold Eisenhammer ins Gesicht, seine Hand griff automatisch zu der Axt an seiner Hüfte.
„Es gibt keine Gefahr für die Völker dieser Insel. Nichts und Niemand kann diese Insel verlassen.“
„Trotzdem ist es mindestens einem Nekromanten gelungen.“
„Zweien. Einen haben wir bei dem Kampf an der Seite der Barbaren getötet.“
Mit einem Schlag schien die Temperatur im Raum um einige Grade zu fallen. Sharns kurze Bemerkung führte Allen mit wenigen Worten vor Augen, was man lieber verdrängt hätte.
Denn er erinnerte alle daran, dass bei diesem Kampf gegen Rrordrak eine Bande besiegt worden war, die sich aus dem Abschaum aller Völker, Barbaren, Elfen, Menschen und Zwerge zusammensetzte. Das kein Volk sich rühmen konnte, nur aus Angehörigen mit edler Gesinnung und einem reinen Wesen zu bestehen. Zudem machte er deutlich, dass die vollständige Abschottung der Insel der Nekromanten vielleicht nicht so vollständig war, wie der Zwerg es gerne gehabt hätte.
„Also gut. Dass bedeutet für uns, dass wir Schritte einleiten müssen, die Bedrohung, die möglicherweise von dieser Insel ausgeht zu finden und zu vernichten.“
Mühsam erhob Thorbeil Armstark sich und blickte entschlossen in die Runde.
„Ja, aber dabei müssen wir mit weiteren Angriffen rechnen, dürfen auch die Aufbauarbeiten in den Städten und Dörfern nicht vergessen, die durch die Banden Rrordraks beschädigt oder zerstört worden sind. Wir müssen den Seeverkehr nach Sylthania wiederaufbauen und alle Völker informieren, dass der Friede wieder zurückgekehrt ist, auf Iskandrien.“
„Wer sagt, dass wieder Friede herrscht. Ich mag es nicht, wenn andere Völker mir wichtige Mitteilungen vorenthalten.“ Der Elf machte den Eindruck, als wollte er vor dem Zwerg ausspucken.
„Vielleicht paktieren die Erdwühler sogar mit den Grauen, die aus ihrem Land kommen.“
Mit einem Aufschrei riss Thibold Eisenhammer die Axt von seinem Gürtel. Genauso schnell hatte Garondir sein kurzes Elfenschwert gezogen. Doch Nat und Kalistan hatten bereits eingegriffen. Nat packte den Arm des Zwergs, während der Heerführer der Menschen sich vor den Elfen stellte und ihn zurück drängte.
„SEID IHR DES WAHNSINNS?“ Parlass Walgardssons Stimme dröhnte durch den Raum, übertönte das Getümmel und ließ Alle innehalten. Er stand mit hochrotem Kopf in der Tür, soeben erst aus den Arbeitsräumen des Herrschers von Arkadien hier her geeilt.
„Tagelang ...“, Die Stimme des Kanzlers bebte vor Wut. „Tagelang schleife ich euch über die Insel, ertrage eure ungerechtfertigte Wut, rede auf euch ein wie auf ein krankes Maultier, euren Hass zu vergessen. Dann finden wir die wirklichen Feinde, besiegen sie mit einer einigen Macht, die beispielhaft für unsere Völker sein sollte. Und jetzt …“, der Zorn ließ eine Ader auf seiner Stirn pochen, „jetzt habt ihr nicht Besseres zu tun, euch wie Halbstarke zu reizen und im Angesicht der Gefahr AUFEINANDER LOS ZU GEHEN.“
Die letzten Worte hatte er herausgebrüllt. Jetzt holte er tief Luft, um sich zu beruhigen.
„Ich habe nicht alles mitbekommen, was hier gesprochen wurde. Aber vielleicht hat mir gerade das geholfen, die Trauer in den Worten Thibold Eisenhammers zu hören. Wir haben lernen müssen, dass kein Volk, kein einziges, sich rühmen kann, das alle seine Angehörigen gut sind und nur das Wohl Aller im Blick haben. Aber das würde nicht dazu führen, dass wir Mitglieder unseres Volkes diesem unsagbaren Leid aussetzen, ihren untoten Freunden gegenüber zu stehen.“
Er gab Kalistan und Nat ein Zeichen, die beiden Führer ihrer Völker los zu lassen.
„Wenn euer Hass so groß ist, dass ihr nicht in der Lage seid zu begreifen, wo der wirkliche Feind steckt, dann geht jetzt hinunter in den Hof und bringt euch gegenseitig um. Mit etwas Glück sterbt ihr beide und eure Nachfolger sind besonnener und klüger. Aber wenn ihr bereit seid, an unserer Seite wieder einmal die wirkliche Gefahr für Iskandrien zu finden und zu vernichten, dann steckt eure Waffen weg, gebt euch die Hände und LASST DIESEN SCHEISS.“
Noch immer zitterte Walgardssons ganzer Körper vor Wut. Und vielleicht war es das, was genug Eindruck auf Garondir und Thibold Eisenhammer machte. Der Ausbruch dieses Menschen, den sie als echten Politiker kennen gelernt hatte, dem man ein Ohrfeige verpasste und der dann versuchte zu überzeugen, warum es nicht sinnvoll sei, auch die andere Wange hinzuhalten. Denn langsam steckten beide ihre Waffen weg, gingen aufeinander zu und reichten sich die Hände, ohne sich dabei anzusehen.
„Ich weiß, dass ein paar Worte nicht reichen, um die tiefen Gräben zwischen euren Völkern zu füllen. Aber ich hoffe, dass ihr in der Zukunft eure Köpfe benutzt, um darüber nachzudenken, was euer Verhalten für eure Völker bedeutet. Und ob ihr mit euren wilden Vermutungen im Recht seid.“
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