Die Frauen nickten eifrig.
„Daher könnt ihr euch vorstellen, dass die Prüfung eures Anspruchs sicherlich einige Umläufe in Anspruch nehmen wird. Alle verfügbaren Leute sind bis auf weiteres dafür eingesetzt, zu eurer aller Sicherheit die Anlagen der Stadt wieder instand zu setzen.“
Den Frauen fiel die Kinnlade hinab. Mehrere Umläufe ohne andere Kleidung. Soldaten im Haus, die zu allem Überfluss vielleicht noch etwas kaputt machten und das hämische Gelächter der Schneider, wenn sie die fadenscheinige Wäsche in Augenschein nahmen.
„Ääh Herr, ich habe es mir überlegt. Ich möchte keine Kräfte der Stadt binden, um meinen Anspruch zu prüfen. Alles soll dafür gegeben werden, unsere geliebte Stadt wieder aufzubauen. Ich glaube, ich ziehe meine Anfrage damit zurück.“
Eine der Hennen faltete ihre Hände wie zum Gebet und sah den Kanzler von Rimmond reumütig an.
Die Andere seufzte, ihr Gesicht legte sich in kummervolle Falten.
„Ich sehe das natürlich genau so wie meine Freundin, hier. Was sind schon unsere Schäden im Vergleich zu dem Schicksal unserer Stadt. Auch ich ziehe natürlich meinen Anspruch für einen höheren Zweck zurück.“
Der Kanzler erhob sich von seinem Stuhl und verneigte sich tief vor den Frauen.
„Ich danke euch, auch im Namen des Herrn von Arkadien für euer Verständnis und eure Großmut. Wenn alle, die hier herkommen so anständig sind wie ihr, ist mir um die Zukunft dieser Stadt nicht bange.“
Mit diesen Worten geleitete er sie zur Tür und schob sie hinaus.
Als sich die Tür hinter den beiden Frauen schloss, blickte Walgardsson kopfschüttelnd zu Pangratius und Baldun.
„Was ist nur in die Menschen gefahren. Keine Notlage ist groß genug, dass man nicht versuchen kann daraus einen eigenen Vorteil zu ziehen. Wir sind eine Rasse von Ich-Wesen. Das wird noch einmal unser Ende sein.“
Seufzend ging er zurück zu seinem Stuhl.
Hinter ihm öffnete sich die Tür und die Wache brachte den nächsten Bittsteller herein.
Mit einem Krachen landete der skelettierte Drache auf der Lichtung, die Gelenke, die nur noch von dunkler Magie zusammen gehalten wurden, knirschten wie schlecht geölte Türscharniere.
Siegoin versuchte sich aufzurichten, doch seine kalten steifen Muskeln gehorchten den Befehlen seines Gehirns nicht.
Dann eben anders, dachte er bei sich. Per Gedankenbefehl forderte er Rrordrak auf, seinen Körper aufzurichten und vorsichtig aus dem Halt der Rippenbögen des Drachen heraus zu lösen. Nur mit Mühe gelang es dem Untoten, der schon zu Lebzeiten kein Muskelpaket gewesen war, dem Befehl nachzukommen.
Unsanft setzte der Nekromant auf dem Boden auf, strauchelte und brach in die Knie. Seine Hände krallten sich in den Staub. Im gleichen Moment spürte er eine starke dunkle Macht, die aus dem Boden in seine Hände zu ziehen schien, wie Kälte, die einem in einer frostigen Nacht die Knochen malträtiert. Doch diese Macht empfand er nicht als unangenehm. Es war das Sehnen, die tiefe Finsternis, die der Monolith immer in Siegoin auslöste. Die ihm die Kraft verliehen hatte, auch im fernen Arkadien zu wirken und ihm so starke Verbündete bescherte. Wobei das mit der Stärke Rrordraks vielleicht ein etwas falscher Begriff war. Wenn der über etwas nicht verfügte, war es körperliche Stärke.
Siegoin hob den Kopf und sah sich um. Unter den nahen Bäumen erkannte er die schemenhaften Umrisse von Menschen. Das waren die Anderen seines Stammes, seines Volkes, die mit weit aufgerissenen Augen die Wesen ansahen, die Siegoin auf die Insel geführt hatte.
Mit einer mühsamen Armbewegung versuchte der Nekromant die Anderen heran zu winken. Seine Stimme gehorchte ihm noch nicht, sein Rufen war nur ein schwaches Krächzen.
Ach verdammt, bei der Macht des Monolithen. Warum sollte er sich jetzt noch Gedanken machen. Er war wieder da, stand wieder unter dem Einfluss des Monolithen. Hier war er in Sicherheit, umgeben von seinen Leuten und zwei mächtigen Verbündeten, die unter seiner Kontrolle standen. Mit diesen beruhigenden Gedanken schloss er die Augen und ließ sich auf die Erde sinken. Noch bevor sein Kopf den Boden berührte, schlief er tief und fest.
Neben ihm stand bewegungslos die dürre Gestalt Rrordraks. Seine Gesichtszüge waren durch den Tod denen eines Skeletts noch ähnlicher geworden. Seine dunklen Augen waren trübe und starrten blicklos in die Luft. Die dreckverschmierte von geronnenem eingetrocknetem Blut verkrustete Kleidung hing ihm wie Sackleinen um den ausgemergelten Körper. Er war untot, eine Marionette des Mannes, der jetzt zu seinen Füßen lag. Gezwungen, jeden Befehl auszuführen, den der Nekromant ihm zudachte. Doch etwas war anders. So, wie es kein Nekromant und kein Untoter je erlebt hatten.
Die tiefe Bösartigkeit, die Schwarzdruidenmacht, das Besondere, das aus Rrordrak einen Menschen gemacht hatte, der eine Verbindung mit einem Drachen eingegangen war, das alles wehrte sich gegen ein untotes Dasein. In seinem toten Körper ruhend, versuchte es jetzt, wo der Körper wieder mehr oder weniger funktionierte die Macht über seine Gedanken zu ergreifen. Die Macht der Nekromantie und die Mächte, über die Rrordrak gebot, sie begannen einen lautlosen aber heftigen Kampf um die Vorherrschaft in der Hülle, die sein Körper darstellte.
Während er bewegungslos verharrte, tobte in seinem Inneren ein erstes Gefecht. Durch seine Füße schien eine schwarze Macht in seinen Körper einzudringen, wirkte unentschlossen ob sie die nekromantischen Mächte stärken sollte oder sich der neuen bisher unbekannten, aber nicht weniger schwarzen Macht des Druiden unterwerfen sollte.
Man hätte glauben können, dass man Schlachtenlärm vernommen hätte, wenn man das Ohr an den Bauch des Druiden gehalten hätte. Doch davon hielt einen schon der strenge Verwesungsgeruch ab, der ihn umwehte.
Von all dem merkten die Gestalten nichts, die sich langsam den drei Wesen näherten. Brenok führte die Gruppe an. Er hatte Siegoin natürlich sofort erkannt obwohl diesen die Strapazen der letzten Stunden gezeichnet hatten. Aber der Drache aus Knochen war so ein überraschender Anblick, dass er sich überwinden musste, um sich zu nähern.
Er blickte auf die ausgemergelte Gestalt in den dreckverkrusteten Sachen. Dann auf den Drachen, der völlig reglos da stand und aus leeren Augenhöhlen in die Ferne zu starren schien.
Brenok gab den Anderen, die ihn begleiteten ein Zeichen. Sie hoben Siegoin auf und trugen ihn von der Lichtung.
Mit steifen, scheinbar widerstrebenden Bewegungen folgte der Untote und hinter diesem setzte auch der Drache sich in Bewegung. Als der merkte, dass er den Menschen nicht unter die Bäume folgen konnte, blieb er wie zur Salzsäule erstarrt stehen.
Brenok blickte über die Schulter und sah den Drachen. Er konnte sich der Faszination nicht entziehen, die der Anblick dieses Drachen auf ihn ausübte. Eine Macht, die einen Drachen zu einem willenlosen Gehilfen machte. Unfassbar. Die Nekromantie, die Macht des Monolithen musste einfach die einzige Kraft auf dieser Welt werden. Nichts und Niemand konnte sich dem in den Weg stellen. Nat, Sharn, Ilana und Tally stapften durch die Stadt. Kalistan hatte sich von der Gruppe abgesetzt, um Gronik zu holen. Sharn vermutete, dass der Kanzlersohn die Gelegenheit nutzen wollte, die junge Frau, Ridora, wieder zu sehen, die hier in Arkadien so mutig an ihrer Seite gestanden hatte.
Überall herrschte reges Treiben. Am Stadttor stand eine lange Schlange von Händlern, Marktschreiern und anderen Bürgern Arkadiens. Sie wollten nach dieser langen Zeit des Eingesperrt seins die Umklammerung der Stadtmauern verlassen, Waren kaufen und verkaufen, die Märkte bereisen oder einfach nur ihre Freunde und Familien in den anderen Teilen Thorlands besuchen. In der Stadt wurde an vielen Stellen gebaut, repariert oder zerstört. Alles was an die Herrschaft Rrordraks erinnerte wurde zerschlagen, verbrannt und vergraben. Die Verwüstungen, die der Drache, der Druide oder seine Männer angerichtet hatten, wurden ausgeräumt.
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