Dann, in einer Nacht, verschwand die gesamte Besatzung der Festung. Drei Tage später entdeckten die Zwerge, die die Ablösung für ihre Kameraden darstellten, dass alle Wächter verschwunden waren. Ein eilig zusammengestellter Suchtrupp, der über die Brücke geschickt wurde, um die Besatzung zu finden, stand plötzlich den eigenen Brüdern gegenüber. Mit verzerrten, leblosen Gesichtern und steifen hölzernen Bewegungen stapften sie auf die Angehörigen ihres eigenen Volkes zu und griffen sie ohne Vorwarnung an.
Der Suchtrupp setzte sich verzweifelt zur Wehr.
Im Kampfgeschehen tauchten plötzlich grau gewandete Gestalten auf. Sie berührten die gefallen Zwerge, verharrten einige Momente neben ihnen. Daraufhin erhoben sich die Zwerge und drangen ebenfalls auf den Suchtrupp ein. Mit Entsetzen sahen die Überlebenden ihre Freunde und Mitstreiter mit dumpfen Gesichtern auf sich zu trotten, mit gehobener Axt und seelenlosem Blick.
Mit letzter Kraft gelang es zwei Zwergen zu entkommen. Blutend und von Grauen erfüllt hasteten sie über die Brücke.
Der eine legte dem Anderen eine Hand auf die Schulter.
„Wir müssen die Brücke zerstören. Dieses Grauen darf unser Volk nicht erreichen. Ich halte sie auf und du löst die Lawine aus.“
Es lag im Wesen der Zwerge, sich doppelt und dreifach abzusichern. So war man stolz auf das Bauwunder, das diese Brücke darstellte. Aber man sorgte gleichzeitig für eine Möglichkeit, sie mit einem Schlag zu zerstören, wenn sie Gefahr bringen würde. Also sammelten die Zwerge Ladungen schwerer Steine zu einer Lawine, die durch eine weitere geschickte Konstruktion zurück gehalten wurde. Mit dem Zug an einem Hebel, konnte die Lawine auf die Brücke hernieder gehen.
Der Zwerg nickte. Seine Wunden waren zu schwer, um dieses Grauen auch nur einen Moment aufhalten zu können. Aber er brauchte einen Vorsprung, damit der Feind den Plan nicht vereitelte.
Während sein Freund die Axt fester packte und sich den nachrückenden Feinden entgegen stellte, schleppte der verletzte Zwerg sich mit letzter Kraft zu dem langen Hebel, der in einer kleinen Kammer der Festung aus dem Boden ragte.
Ein letzter Blick aus dem Fenster zeigte ihm, dass sein Freund immer weiter zurück gedrängt wurde, jetzt da stand, wo die Lawine die Brücke in Stücke schlagen würde. Mehrere Graue näherten sich dem verzweifelt kämpfenden Zwerg.
Mit einem bitteren Fluch auf den Lippen riss der Zwerg an dem Hebel. Er hörte ein leises Gleiten, dann ein schwaches Rumpeln, das immer lauter wurde. Eine Lawine aus Felsen stürzte auf die Brücke und dort, wo sich eben noch eine Gruppe von Wesen auf den verzweifelten Verteidiger gestürzt hatte klaffte bloß noch eine riesige Lücke. Der Einbruch ließ die gesamte ausgeklügelte Konstruktion in Sekunden über die gesamte Länge hinab in die aufspritzenden Wassermassen stürzen.
Weinend brach der letzte Überlebende neben dem Hebel zusammen. So entgingen ihm die beiden grau gewandeten Gestalten, die sich über den Hof der kleinen Festung schlichen und im Zwergenland verschwanden. Mit schnellen Schritten strebten Nat, Tally, Kalistan, Sharn, Ilana, Odu, Ygomir Wallin, Parlass Walgardsson, Thorbeil Armstark, Jorina, Mahti, Garondir und Thibold Eisenhammer der Tür zum Schlosshof zu.
„HALT!“ Jorinas Stimme übertönte das Geräusch der Schritte.
„Das ist Kuhdreck, was wir hier machen. Wir müssen uns nicht mit zwanzig Leuten eine Stelle auf dem Boden anschauen.“
„Wir sind nur dreizehn“, wandte Sharn ein, doch ein Blick der Alten ließ ihn verstummen.
„Einige von uns sollten sich darum kümmern, die anderen dringenden Aufgaben zu erfüllen. Manch einer hat ziemlich lange geschlafen.“ Sie ließ ihren strengen Blick über Nat, Tally, Sharn und Ilana gleiten.
Dann stieß sie Thorbeil Armstark auffordernd an.
Der Herrscher der Stadt Arkadien sah verlegen zu der alten Frau herüber.
„Du hast Recht.“ Er räusperte sich.
„Also, ich möchte, dass die Zwerge den Aufbau der zerstörten Verteidigungsanlagen vorantreiben, falls uns weiteres Ungemach droht.“
Thibold Eisenhammer zögerte kurz, warf den Anderen einen undefinierbaren Blick zu. Dann nickte er und stapfte aus dem Schloss.
„Die Elfen möchte ich bitten, dass Umland abzusuchen, ob Spuren des Flüchtenden zu finden sind oder es noch Leute des Schwarzen dort draußen gibt.“
„So sei es.“ Garondir folgte dem Zwerg.
„Gronik, mein Freund. Du sagtest, du bräuchtest Zeit, um das Greifenjunge an dich zu gewöhnen. Diese Zeit sei dir hiermit gewährt.“
„Aber mein Greif …?!?“
„Wir werden dir berichten, mein Freund, da sei dir sicher.“
Mit festem Blick sah Jorina den Barbarenführer an, bis dieser widerstrebend nickte.
„Odu, Mahti. Euch fällt die Aufgabe zu, den Hafen von Wrackteilen räumen zu lassen und die Brander von der Hafeneinfahrt zu entfernen. Mein Hafenmeister hatte wohl Furcht, ob seiner Unterstützung der Piraten in Ungnade gefallen zu sein.“
Das finstere Gesicht Armstarks zeigte, dass diese Sorge nicht völlig unbegründet war.
„Er hat sich den Piraten angeschlossen und ist wohl bei eurem Angriff gefallen. Zu Recht. Daher brauche ich erfahrene Leute, die diese Aufgaben übernehmen.“
„In Ordnung.“ Odu fasste Mahti am Arm und zog ihn hinter sich her.
„Aber ich bin der Hafenmeister“, hörte man noch die Stimme des Alten, dann waren sie verschwunden.
„Parlass, mein Freund. Dich würde ich bitten, weiter die Ansprüche der Städter aufzunehmen. Mir fehlt derzeit noch etwas die Geduld mit diesen Pfeffersäcken. Pangratius, die treue Seele und sein Vetter warten bereits auf dich. Ich würde dir auch gerne Wallin zur Seite stellen, da vielleicht nicht alle eine Ablehnung so klaglos hinnehmen.“
Der Kanzler nickte zustimmend.
„Gerne, aber seid vorsichtig da draußen.“
Er gab Ygomir Wallin ein Zeichen und gemeinsam begaben sie sich in die Arbeitsräume des Herrschers von Arkadien.
Thorbeil Armstark sah Jorina aus müden Augen an.
„Ist diese Gruppe mehr in deinem Sinne, meine Liebe?“
Die Alte nickte.
„Schon besser. Nun bleibst du noch zurück, um dich zu schonen. Du wärest nur ein Klotz am Bein.“
Ihr fester Blick ruhte auf der Gestalt Armstarks. Die Zeit, eingeschlossen im magischen Eis hatte ihm doch schwer zugesetzt.
Einen Moment lang schien er aufbegehren zu wollen. Doch dann nickte er müde.
„Du hast Recht. Ich könnte euch gar nicht mehr so folgen, wenn ihr jetzt zum Friedhof lauft. Ich bin nicht mehr so eine Gazelle wie du.“
Ein schelmisches Grinsen huschte über sein Gesicht.
„Aber meine Leute können das.“
Aus einem Durchgang kamen vier Männer und trugen eine große Sänfte heran.
„Ein Geschenk unseres verehrten Königs von Sylthania. Bis heute wusste ich nicht, was das sollte, aber jetzt sehe ich eine Verwendung für das Trumm. Du bist herzlich eingeladen, mit mir durch die Straße Arkadiens zu schweben, Jorina.“
Über das verblüffte Gesicht der alten Frau musste er herzhaft lachen. Galant reichte er ihr die Hand und führte sie zu der Sänfte, die die Träger auf den Boden gestellt hatten.
Widerstrebend stieg die Alte in das Gefährt. Mit einem Ruck, der sie aufschreien ließ, hoben die Träger die Sänfte an und verließen den Schlosshof.
Lachend und kopfschüttelnd folgten ihnen die Anderen.
Nach einem Zug durch die Stadt, bei dem sie viele staunende Bewohner passierten, kamen sie zum Friedhof.
Thorbeil Armstark ließ die Sänfte absetzen und kletterte hinaus. Er reichte Jorina die Hand und gemeinsam mit Nat, Ilana, Kalistan, Sharn und Tally gingen sie zu einem offenen Grab, um das mehrere Soldaten herum standen. Der Ring der Männer teilte sich und gab den Blick frei auf die offene Grube und den Leichnam, der an der Seite lag, wie ein alter Lumpensack.
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