„Jetzt spann‘ uns nicht länger auf die Folter, verehrte Erzherzogin und Stiefmutter. Erzähl‘ uns endlich, was ihr dabei herausgefunden habt und schüttle zudem mal Brigids Vater die Hand. Ihr kennt euch ja noch nicht“, meldete sich in diesem Augenblick Mora Kranz ganz ungeduldig zu Wort.
„Nun, meine neugierige Fürstin, das tue ich sehr gerne“, erwiderte die larojanische Großkanzlerin, während sie den alten phaetonischen Minister freundlich mit einer festen Umarmung begrüßte. Gleich darauf setzte sie ihre angefangene Rede wieder fort.
„Wir haben ja im ersten Datenabgleich vor allem gezielt nach dem Schicksal der seinerzeit aus der MINOKA evakuierten Besatzung gesucht. Und dazu haben wir in Zusammenarbeit mit Marschall Baldurs Experten und einigen terranischen Wissenschaftlern Hinweise gefunden. Und zwar sowohl in unseren, als auch in den lemurischen Archiven.
Auch wenn wir das alles noch genauer mit der Kommandantin der MINOKA verifizieren müssen, sieht es momentan so aus, als ob die Rettungskapseln des mandoranischen Saatschiffs damals an mehreren Punkten auf der ERDE landeten.
Das muss anscheinend genau in dem kurzen Zeitfenster zwischen dem Start unserer von TERRUM fliehenden larojanischen Vorfahren und dem Einschlag des Asteroiden im Golf von Mexiko passiert sein. Wobei sie sich vermutlich nach ihrer Ankunft größtenteils den mangels ausreichendem Schiffsraum auf unserem Ursprungsplaneten zurückgebliebenen Menschen anschlossen.“
„Das ist eine berechtigte Annahme, die auch von meinen Experten bestätigt wird, die das Wrack der MINOKA momentan untersuchen“, warf an diesem Punkt Flottenmarschall Baldur in das Gespräch ein.
„Alle Rettungsschleusen des Schiffs stehen nämlich noch immer offen. Bis auf den Kommandoteil auf dem vorderen Rumpf, war das Innere der MINOKA also bereits geflutet und komplett ohne Sauerstoff, noch ehe das Schiff am Ende seines Flugs auf dem MOND aufschlug.
Den Log-Dateien zufolge hatte die MINOKA eine Mannschaftsstärke von 600 Mandoranern, die auf Befehl von Kommandantin Amal mit jeweils 10 Leuten und 2 Piloten in die 50 vorhandenen Rettungskapseln des Schiffes einstiegen.
Und so, wie meine Wissenschaftler das sehen, hatten diese für Fernflüge ungeeigneten Boote danach überhaupt keine andere Chance, als die ERDE oder vielleicht auch den MARS anzufliegen. Denn wohin hätten sie angesichts der tobenden Raumschlacht und der anschließenden Explosion von PHAETON sonst auch wenden sollen?“
„Danke Marschall Baldur, das deckt sich mit den Aufzeichnungen, die meine Leute in den larojanischen – und vor allem in den altlemurischen Archiven der beiden Werftkomplexe aufgespürt haben“, meldete sich jetzt der mit am Konferenztisch sitzende Fürst Lando-Shar erstmals zu Wort. Umgehend fuhr Shira-Khors oberster larojanischer Wissenschaftler fort:
„Vergessen wir nicht – auch der MARS war von dem Kampfgeschehen betroffen und verlor darüber hinaus wegen des zusammenbrechenden Magnetfelds rasch seine Atmosphäre. Als Fluchtziel kam also dieser Planet nur bedingt in Frage. Deshalb stimmt es, was Baldurs Experten im Moment nur vermuten.
Die ausgewerteten lemurischen Dokumente sprechen nämlich an mehreren Stellen von Fremden, die aus dem Weltall kamen und den Vorfahren der Lemurer in dem riesigen Chaos halfen, unter der Erdoberfläche Schutz vor den einschlagenden Trümmerstücken PHAETONS zu suchen.“
„Das würde ja bedeuten, dass die von der MINOKA geflohenen Mandoraner mitverantwortlich dafür sind, dass die Vorfahren unseres Volkes auf TERRA überleben konnten“, murmelte Kommodore Brigid-Thor im gleichen Moment.
„Dem kann ich nur beipflichten, liebe Nichte“, nahm Admiral Anuk-Thor den Gesprächsfaden an dieser Stelle auf. „Mich würde allerdings interessieren, was aus den Rettungskapseln der MINOKA geworden ist. Die waren doch sicher ziemlich robust. Konntet ihr etwas über deren Bauweise und Bewaffnung herausfinden?“
„Tja, das ist kein großes Geheimnis, Admiral Anuk“, antwortete Marschall Baldur sofort. „Die Boote der damaligen Saatschiffe waren gut 30 Meter hohe Pyramiden mit einer Grundfläche von 15 x 15 Metern und sie waren zur Selbstverteidigung mit einer einzigen, an der Pyramidenspitze eingebauten Strahlkanone bewaffnet.“
„Mit Desintegratoren bewaffnete kleine Pyramiden, aha. Das wundert mich jetzt nicht wirklich“, murmelte die ehemalige Archäologieprofessorin Mora Kranz umgehend. „Das erklärt, wie sie in relativ kurzer Zeit unterirdische Kavernen anlegen und bewohnbar machen konnten.
Und das erklärt möglicherweise darüber hinaus den späteren Götter- und Pyramidenkult seitens unserer terranischen Vorfahren und vielleicht auch, warum es derartige Bauwerke noch heute an vielen Stellen der ERDE gibt. Das ist also ein Punkt, dem wir bei der Erforschung der Pyramiden weiter nachgehen müssen.“
Damit wandte sich Mora Kranz Brigids Tante Anuk zu und fragte sie ganz unverblümt: „Du weißt doch noch etwas – das seh‘ ich dir doch an deiner Nasenspitze an.
Liebe Anuk, es gibt doch einen Grund, warum du grad‘ so explizit nach der Form der mandoranischen Rettungskapseln gefragt hast. Du kennst diese Boote – stimmt‘s?“
Nun ja – sagen wir mal – ich kenne wahrscheinlich das, was von ihnen noch übrig ist. Allein in meinem Werftkomplex befinden sich in einer abgelegenen Halle fünf dieser seltsamen Kleinschiffe. Jedoch sind sie völlig ausgeschlachtet und nur deren leergeräumte Hüllen haben die Zeit überdauert. Deshalb habe ich mich bisher auch nie um diese alten Dinger gekümmert.“
„Was sich jetzt ändern wird – denn in der FREYA-Werft im Mount Hope stehen ebenfalls drei dieser abgewrackten Miniraumer“, warf jetzt der ehemalige Kommandeur der FREYA-Werft, Admiral Hakar-Lun überraschend in die Debatte ein.
„Ich gebe nachher gleich Anweisung, eine dieser Schiffshüllen aus meiner Werft zu den mit der MINOKA beschäftigten mandoranischen Wissenschaftlern hinaus zu bringen und ich schlage vor, dass die Kollegin Anuk dasselbe in ihrem Verantwortungsbereich in die Wege leitet.“
„Das ist eine gute Idee, Hakar. Dann wissen wir hoffentlich schon bald, ob es sich tatsächlich um alte Rettungsschiffe mandoranischer Herkunft handelt, die zu diesem Saatschiff passen“, sagte Mora Kranz sogleich, ehe sie noch anmerkte:
„Wobei sich außerdem die Frage stellt, was aus den übrigen 42 Rettungskapseln geworden ist. Ich wäre jedoch nicht allzu überrascht, wenn wir auch in anderen Pyramidenbauwerken der ERDE auf derart leergeräumte Schiffshüllen stoßen würden. Das ist damit ein weiterer Grund, warum wir uns nach der Erkundung des MARS die großen Pyramiden auf TERRA später einmal genauer ansehen müssen.“
„Kein Widerspruch zu deiner Idee, Mora. Allerdings kannst du den Mount Destiny auf der schottischen Insel Skye und den Großtransmitter in Irland von deiner Liste der zu untersuchenden Objekte streichen. Denn dort gibt es ganz sicher keine pyramidenförmigen Miniraumer, andernfalls wüssten Thure und ich davon“, sagte Kommodore Brigid-Thor jetzt mit nachdenklicher Miene.“
„Das ist auch nicht weiter verwunderlich, Brigid“, stimmte Admiral Mero-Khan seiner Vorrednerin nach kurzem Überlegen zu. „Immerhin war dein Stützpunkt auf Skye ja vormals die Heimat eines phaetonischen Erprobungs- und Kampfgeschwaders – und eigentlich nur am Rande eine kleine Werft.“
„Korrekt, Mero. Und ich kann durchaus nachvollziehen, warum man sich in unseren wenigen damaligen Großwerften später nicht weiter für diesen, in der hintersten Ecke lagernden Weltraumschrott interessierte“, meinte Großadmiral Dagmund-Thor, ehe er noch anfügte:
„Wenn es euch recht ist, sollten wir aber jetzt zunächst einmal mit General Amal reden. Wie wir von Marschall Baldur gehört haben, ist sie ja schon ganz ungeduldig und scheint darauf zu brennen, mehr über den Ausgang ihres damaligen Unternehmens zu erfahren. Lassen wir sie also nicht länger warten.“
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