„Was sollten Sie ihm denn bringen?“
„Ein Auto und die Schlüssel dazu, für seine Weiterfahrt.“
„Ein Leihwagen?“
Yasmine blickte auf: „Sie stellen ja viele Fragen! Was interessiert Sie das? Vielleicht geklaut? Ich habe ihn im Gewerbegebiet abgeholt und kenne die Leute nicht, die ihn besorgt haben.“
„Und wenn etwas außergewöhnliches ist?“, fragte er weiter, um nicht weiter auf Tareks Flucht einzugehen und damit Verdacht zu erregen.
„Für den Notfall habe ich eine Telefonnummer.“
„Hier in Koblenz?“
„Ist ein Handyanschluss. Wird sicher anonym weitergeleitet.“, gab sie zurück. „Die großen Lauscher sind doch heutzutage überall.“
„Rufen sie dort an!“, befahl er.
„Was soll ich denn für einen Notfall melden?“ - Es klang schnippisch, so als nähme sie ihn nicht richtig ernst.
„Sagen sie die Wahrheit! Sagen Sie einfach, sie hätten in der Wohnung einen Mann angetroffen, der sie jetzt mit einer Waffe bedroht!“
„Na schön. Was springt für mich dabei heraus?“. Er konnte förmlich sehen, wie sich die Eurozeichen hinter ihren schmalen Augen drehten.
„Sie bleiben möglicherweise am Leben!“, sagte er jedoch kalt und tätschelte dabei die Manteltasche mit der Pistole. Ihrem Gesicht entwich das asiatische Dauerlächeln.
„Ist ein Argument!“, bestätigte sie, schien sich aber dennoch sicher zu sein, dass er sie nicht umbringen würde. Aber er konnte vielleicht wesentlich Schlimmeres mit ihr anstellen. Wenngleich … - sie musste schmunzeln bei dem Gedanken daran, was sie mit ihm oder er mit ihr so anstellen konnte. Die Gefahr löste bei ihr wie eh und je ein besonderes Prickeln aus. Sie liebte fast krankhaft die Gefahr!
Yasmine angelte, sich sitzend im Unterleib fast anstößig ein wenig hochreckend, mit den Fingern in ihre enge, schmale Hosentasche und zog ein winziges, etwas älteres und an den Außenschalen schon deutlich angekratztes weinrotes Nokia-Handy heraus. Es taugte nicht zu viel mehr als zum Telefonieren. Prepaid, aus irgendeinem Handyladen, zum baldigen wegwerfen. Die Nummer, die sie eintippte, war nicht eingespeichert, sie befand sich nur in ihrem Kopf.
„Stellen Sie es laut!“, befahl er, bevor der Anruf zustande kam. Sie gehorchte.
Es klingelte viermal, dann meldete sich eine männliche Stimme.
„ Yeah?“
„ Yasmine´s calling.“
„ Why?“
„ A Problem!“
„ Kind of…?”
„ Teun isn´t here anymore.”
„ Of course, not! Knowing this! Not a Problem…!“
Freysing glaubte bereits aus den wenigen Worten des Mannes eine Art Hiberno -Dialekt, also „irisches Englisch“, heraushören zu können, während Yasmines Ausdrucksweise eher dem Deutsch-englischen Kauderwelsch entsprach, was man bei ausgewanderten Asiaten oder Mischlingskindern häufig vorfand. Beide Gesprächspartner verstanden einander recht gut, aber trotzdem schaltete Sie bald ins rein Deutsche um, das auch er, wenn auch weniger als sie, beherrschte.
„Dafür ist jemand anderes hier.“, sagte sie, einen Blick auf Sax werfend.
„Wer?“, ging ihr Gesprächspartner vorsichtig darauf ein.
„Ein Mann. Er hat eine Waffe.“ - ´Meine Waffe´ wäre richtiger gewesen.
Einen Moment lang herrschte Schweigen am anderen Ende.
„Gib ihn mir!“, sagte die Stimme dann.
Sie beugte sich etwas vor und reichte Freysing, der einen Schritt auf sie zugetreten war, das Handy, ohne selbst auch nur an einen Angriff zu denken. Der kurze Blick in den leichten Ausschnitt ihres Shirts konnte Männerphantasien wecken, aber er verscheuchte den frivolen Gedanken und widmete seine ganze Aufmerksamkeit dem weiteren Telefonat.
„Hallo!“, sagte er langsam in das Gerät, behielt Yasmine aber dennoch im Auge.
„Wer sind Sie?“, wurde er mit Akzent gefragt.
„Nicht wichtig – im Moment, und für Sie ! Aber ich muss mit Teun sprechen.“
„Das will so mancher.“, lachte der Mann auf der Gegenseite kurz.
„Es ist wichtig!“, beharrte Freysing.
„Es ist immer wichtig. Aber im Moment ist es nicht möglich.“
„Wie kann ich ihn erreichen?“, gab er nicht auf.
„Sagen Sie mir, wer sie sind und warum sie ihn sprechen wollen?“
Freysing überlegte und machte eindringlich klar: „Keine Namen am Telefon. Eine neue Sache! Nächste Woche bereits!“, sponn Freysing weiter. ´Nötigenfalls improvisieren´ , hatte Stoessner gesagt, und das erschien realistisch, um ein zeitnahes Treffen zu verlangen.
„Welche Fraktion?“
´Mist!´, dachte Sax. Was sollte er darauf entgegnen?
Dem Gesprächspartner schien die Antwort zu lange zu dauern. Er wiederholte seine Frage schärfer: „Welche Fraktion?“
„Rotfrontaktivisten!“, sagte Freysing intuitiv und nannte damit eher willkürlich eine der extremistischen Organisationen, über die ihn Generalmajor Stoessner noch einmal genauer informiert hatte. Einige Sekunden lang herrschte Schweigen, sodass er fast schon befürchtete, man hätte auf der anderen Seite das Gespräch beendet.
„Nehmen Sie jemand anderen.“, kam dann jedoch wieder eine Antwort.
„Wir wollen aber Teun !“, beharrte Sax.
„Warum?“
Freysing überlegte nur kurz. „Er hat das Material, und Erfahrung damit!“. Er dachte dabei an das 711-Foxite .
Am anderen Ende der Verbindung wurde offenbar länger nachgedacht. Dann kam die Anweisung: „Groningen. Heute Nacht. Im Casino. Spielen sie am Tisch zwei beim American Roulette um ziemlich genau 23 Uhr fünfhundert Euro auf die ersten sechs. Dann sehen wir weiter.“ – Die Stimme unterbrach sich einen Moment und fügte dann noch hinzu: „Lassen Sie Yasmine ihre Arbeit tun, und bringen Sie sie mit!“
Vom anderen Ende her wurde die Verbindung unterbrochen.
„Zufrieden?“, fragte sie, als er ihr das Handy zurückgab. Die Nummer, die sie getippt und die im Display gestanden hatte, war in sein Gedächtnis gebrannt, und dort blieb sie es auch, wenn sie die Verbindungsdaten längst aus dem Wahlwiederholungs-speicher der Anrufliste gelöscht oder das Handy weggeworfen haben mochte.
„Sie haben es mitbekommen?“, fragte er sie. Die Unterhaltung war dann schnell.
„Ich soll sie nach Holland begleiten.“ - Sie schien nicht sonderlich begeistert.
„Richtig!“
„Dann brauche ich ein paar Sachen aus meiner Wohnung.“
„Vorher sollen sie aber noch hier aufräumen. Ich schlage vor, ich hole sie um sechs Uhr zuhause ab. Wo ist das?“
Sie nannte ihm eine Adresse in der Nähe. „Wissen Sie, wo das ist?“. Er nickte. Sein Navi würde es jedenfalls finden.
„Sie haben ein Auto dabei?“, fragte sie dann.
„So ist es. Steht im Moment aber nicht vor der Tür.“
„Was ist mit meiner Pistole?“, fragte sie und streckte offen eine Hand aus.
„Ich glaube, es ist besser, wenn ich die noch eine Weile behalte.“
„Sie trauen mir nicht?“. Es klang etwas schnippisch. Dabei rieb sie sich den Hals an der Stelle, an der sein Schlag sie getroffen hatte. Es würde einen hübschen blauen Fleck geben und mindestens eine halbe Woche lang schön schmerzen. Aber der Schmerz schien ihr nicht unbedingt ein negatives Gefühl zu bereiten.
„Ich traue niemandem!“, stellte er klar. „Man sieht sich!“. Er tippte sich mit zwei Fingern der Hand zum Abschied an die Schläfe und verließ die Wohnung, während sie mit den Aufräumarbeiten begann.
Viel hatte sie nicht zu tun, aber sie arbeitete sehr sorgfältig. In einer guten Stunde hatte sie sämtliche Spuren von „Teuns“ Aufenthalt dort beseitigt und alles für einen neuen möglichen Gast hergerichtet. Haltbare Speisen, Handtücher und einiges mehr hatte sie in einer großen Tasche mitgebracht gehabt, die nun im Flur stand und in der alles Gebrauchte und Benutzte verschwunden war. Sax war beim hinausgehen beinahe darüber gestolpert. Auch hier schien alles sorgfältig geplant, wie bereits beim Anschlag selbst.
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