„Wo genau soll ich anfangen zu suchen?“, fragte sie. „Europa ist groß!“
„Unser Mann in München, von dem wir die Informationen über Tarek haben, wird mit dir auf übliche Weise Verbindung halten. Melde dich bei ihm, wenn du in Deutsch-land eingetroffen bist. Es gibt Anhaltspunkte, die auf Westeuropa hinweisen.“
Murad bestätigte damit, was vorher aus seiner Rede nur zu vermuten gewesen war. Er und seine Agentin hatten geistig das Bild eines deutsch-Ägypters namens Umari vor Augen, der in München-Pullach beim BND aufgrund seiner Sprachkenntnisse eigentlich für Übersetzungen abgehörter Telefonate aus Nordafrika zuständig war, und somit begrenzten Datenbankzugriff besaß. Die Abfrage Freysings über Tareks Identität von Bonn aus war nicht besonders klassifiziert gewesen. Niemand würde Rückschlüsse auf Umari ziehen können – jeder halbwegs Versierte mit einem Computeranschluss innerhalb des BND hätte die Anfrage rückverfolgen können.
Da sich insbesondere Tarek der besonderen Aufmerksamkeit des DMG erfreuen durfte, kontrollierte Umari ständig mittels eines kleines von ihm installierten Phishing-Programms Datenabfragen zu internationalen Terroristen aus dem Nahen Osten oder Nordafrikas, die über Pullach liefen. So wusste er nur wenige Minuten später Bescheid, nutzte seine „Kaffeepause“ außerhalb des Geländes und nahm mit Kairo Kontakt auf. Natürlich konnte er nicht vom BND-Areal aus mailen – das wäre sofort aufgefallen. Auch Handys sind im Sicherheitsbereich des BND nicht zulässig, man musste sie vorher abgeben, aber er besaß ein Gerät im Versteck eines außerhalb variabel abgestellten Mofas, um dringliche Informationen absetzen zu können.
Umari war bislang der unregelmäßigen Innenrevision entgangen, denn er verhielt sich allgemein sehr unauffällig – andere Mitarbeiter wurden zudem wegen ihrer Sicherheitsrelevanz wesentlich genauer überprüft. Er verriet keine deutschen Staatsgeheimnisse, und er tat es nicht für Geld, sondern aus Überzeugung, mit der Weitergabe gewisser Informatioenn etwas Sinnvolles für das Land seiner Väter zu tun. Er hatte in München inzwischen nach langen Jahren seiner zuverlässigen Tätigkeit nicht mit besonderem Misstrauen zu rechnen, trotzdem war er ständig auf der Hut. Bei seinen Kollegen galt er als lustiger und humorvoller Zeitgenosse.
„Leitet er die Operation, oder ich?“, fragte die Frau allerdings sofort mißtrauisch. „Du weisst: Ein Schiff, auf dem sich zwei Kapitäne befinden, geht unter. “
Als bedeutender Informant besaß Umari einen sehr hohen Stellenwert in der DMG-Hierarchie, aber sie wollte sich die Entscheidungskompetenzen im Ernstfalle nicht wegnehmen lassen. Nur Murad durfte ihr befehlen! Es war daher wichtig, klarzustellen, wer im Streitfall das Kommando innehatte. Gerade als Frau in einem zunehmend muslimisch geprägten Land! Ihr Gegenüber lächelte, wurde dann aber gleich wieder ernst.
„Selbstverständlich Du, meine liebe Sphinx !“. Es war das erste Mal, dass er in dem Gespräch ihren Codenamen gebrauchte, aber es klang, als handele es sich lediglich um ein weiteres Kosewort. Er fuhr fort: „Umari wird dich mit Informationen aus erster Hand versorgen können, also behandle ihn nicht wie einen Lakaien. Wir sind auf ihn angewiesen. Immer daran denken: Erfolgreich sein kann man nur als Wissender! Aber du allein setzt dich auf Tareks Fährte und stellst sicher, dass er nie wieder einen Anschlag in unserem Land verüben kann.“
Sie wusste, was er damit meinte. Es war ein eindeutiger Tötungsauftrag, und sie war darauf spezialisiert.
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Kapitel 7: North by Northwest
Deutschland, Montag, 13. Oktober 2014, Nachmittag. North by Northwest.
Freysing stellte den BMW auf dem Park-and-Ride-Parkplatz am Koblenzer Bahnhof ab und suchte dann die Taxireihe am Platz vor dem Gebäude auf. Schnell fand er heraus, welcher Fahrer am Sonntagmorgen den Mann befördert hatte, der unter den Sax bisher unbekannten Namen Till Amerland und Teun Andergast gereist war.
Der Taxifahrer entpuppte sich als ein pfälzisches Urgestein von ungefähr fünfzig Jahren, welcher bereits wieder für eine nicht ganz legale Doppelschicht bereit stand. Beim Anblick von Freysings eindrucksvollem Ausweis erschrak er zunächst, wurde dann aber schnell redselig, nachdem er gewiss sein konnte, seine Personenbeförderungslizenz nicht wegen Überschreitung der Fahrzeiten zu verlieren. Der vom BND gesuchte Mann war ihm tatsächlich aufgefallen, weil er vom Nachtzug kam, aber keinerlei Gepäck bei sich trug. Abgesehen davon, handelte es sich der Sprache nach um einen Niederländer, und er war nicht in einem Hotel untergebracht. Zudem geizte er sehr mit Trinkgeld! Einen Namen hatte er allerdings dem Taxifahrer nicht genannt. Sax stieg daraufhin in das Taxi ein und ließ sich in einer guten Viertelstunde dorthin fahren, wo der gesuchte Terrorist ausgestiegen war. Im Gegensatz zu Amostar gab er gutes Trinkgeld und bedankte sich damit sogleich bei dem Fahrer für dessen Unterstützung.
Natürlich hatte Amostar alle Vorsicht walten lassen, und war sicher die letzten paar hundert Meter zu seinem Ziel zu Fuß gegangen. Drei weiße, verwinkelte Hochhäuser mit flachem Dach und zahlreichen Balkonen ringsum im Stadtteil Metternich kamen vorrangig als Aufenthaltsort des Bombenlegers in Frage. Irgendwo hier musste sich eine Fluchtunterkunft befinden, so Freysings Annahme. Das Areal war wie dafür geschaffen: Groß, anonym, ein Ort, an dem sich jeder gewöhnlich nur um seine eigenen Angelegenheiten und nicht um die Nachbarn kümmerte.
Sax verbrachte die nächsten eineinhalb Stunden damit, die Häuser aufzusuchen, bei den Mietern der Wohnungen zu klingeln, um diesen dann, wenn sie öffneten, immer dieselbe kurze Lügengeschichte abzuspulen und auf dem IPhone das Foto des Mannes zu zeigen, der in Koblenz aus dem Zug gestiegen war. Er erntete lange Zeit nur Kopfschütteln, begleitet von mal freundlicheren und mal unfreundlicheren Worten. Genervt von der notwendigen Routinearbeit klingelte er bei der gefühlt einhundertsten Wohnung im fünften Stock des Hauses der Wohnanlage und vernahm einen Moment später kurzes Hundegebell und Schritte im Flur hinter der Tür. Der Nachname „Kiebitz“ stand auf einem einfachen Pappschildchen neben der Klingel.
Es öffnete ihm eine abgezehrte kleine dunkelhaarige Frau von Anfang dreißig in Jeans und Pulli, die etwas zu stark nach einem herben Parfum roch und leidlich erschrocken darüber erschien, das ihr unerwarteter Besucher bereits oben vor der Tür stand. Ihre Stimme klang zwar angenehm, aber dennoch ein wenig ungehalten.
„Ja, Bitte?” - Sie schien ihn für einen Handelsvertreter zu halten.
„Mein Name ist Freysing!“, sagte er. „Entschuldigen Sie bitte die Störung, ich möchte Sie nur kurz etwas fragen.“ - Das IPhone hatte er bereits in der Hand. „Haben Sie diesen Mann hier schon einmal gesehen?“. Er zeigte ihr den Bildschirm. Sie besah sich das Hybridbild von Tarek in seiner letzten bekannten Aufmachung aufmerksam und wandte dann den Blick wieder Freysing zu.
„Warum wollen Sie das wissen?“
„Ich bin privater Ermittler.“, log er. „Soll im Auftrag seiner Frau feststellen, ob er was mit einer anderen hat. Und die denkt, er hat hier irgendwo in der Anlage so etwas wie eine sturmfreie Bude eingerichtet.“
Sie grinste und schien nicht mehr ganz so misstrauisch zu sein. „Na, sowas hätte ich mir ja schon fast denken können.“, gab sie beinahe verschwörerische Auskunft.
„Sie kennen ihn?“
„Kennen ist zu viel gesagt. Kam Sonntagmorgen hier in aller Frühe an, als ich gerade mit Sheybal Gassi gehen wollte.“
´Sheybal´ war ein kleiner, noch nicht ganz ausgewachsener Spitz, der gerade, seine eigene Angst überwindend, neugierig durch den Wohnungsflur herangetrottet war und nun seine Schnauze an den Beinen der Frau vorbeiquetschte, um Freysing beäugen zu können. Das Tierchen hatte den Kopf etwas schief gelegt und schien keine aggressiven Absichten zu hegen. Die Geräusche, die er von sich gab, waren eher jaulend als kläffend.
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