Sie wirkte jung, klein, schmal und zierlich, aber bei weitem nicht so verhärmt wie die Nachbarin. Bekleidet war sie mit einem langärmligen beigen Shirt, offenbar ohne irgendetwas darunter, einer glatten, langen und recht eng anliegenden Damenhose, ebenfalls beige, und leichten Halbschuhen in einem etwas dunkleren Ton. Das glänzend schwarze Haar trug sie sehr kurz in einer hinten ausrasierten, abgestuften modischen Form. Das Shirt war am Rücken beim Fallen etwas hochgerutscht und gab den Blick auf ein breitgezogenes geweihförmiges Manga über ihrem fast kindlichen Po frei. Schon von der Rückseite her wirkte sie sehr attraktiv. Unterbewusst fuhr ihre Hand, die zuvor die Pistole gehalten hatte, hinauf zu ihrem Genick.
„Au!“, stöhnte sie, etwas verspätet, als sie den einsetzenden Schmerz dort verspürte, wo Freysings Schlag sie getroffen hatte. Dann rollte sie sich, auf dem Boden liegend, vorsichtig herum.
Sax blickte in ein ungeschminktes hübsches, überwiegend asiatisch wirkendes Gesicht mit schmalen dunklen Augen, einer kleinen Stupsnase und einem ebenfalls kleinen, runden Mund mit zwei gefährlich hervorblitzenden oberen Schneidezähnen. Sie hingegen blickte in die dunkle Mündung ihrer eigenen entsicherten und durchgeladenen Pistole. Eine alte Beretta 418. Fast spielzeughaft, aber gepflegt, und trotz des geringen Kalibers recht wirkungsvoll.
„Verdammt! Wer zum Teufel sind Sie!“, fuhr sie ihn an, stützte sich sorglos auf die Hände und setzte sich dabei etwas auf. Angst schien sie keine zu haben.
„Dasselbe könnte ich Sie auch fragen!“, entgegnete er selbstbewusst trocken, die Waffe weiterhin auf sie gerichtet, damit sie nicht auf dumme Gedanken kam. Sie taxierte ihn und kam wohl zu dem Schluss, dass er kein Polizist war. In gewisser Weise hatte sie damit ja sogar auch recht.
„Ich bin Yasmine !“. Sie sagte es so, als müsse ihm das doch eigentlich völlig klar sein.
„Aha! - Und was tun sie hier, Yasmine?“
„Aufräumen, natürlich!“ - Aus ihrer Stimme sprach Empörung, keine Furcht.
„Und dazu braucht man dann sowas hier…?“. Er bewegte die Waffe leicht in der Hand auf und ab, so, als glaube er ihr nicht recht. Vielleicht war sie wirklich gekommen, um die konspirative Wohnung zu säubern. Vielleicht aber auch nicht. Sie zuckte, nun im Sitzen auf dem Boden, nur mit den Schultern, sagte aber nichts dazu.
„Na schön, Yasmine.“. Er sicherte die erbeutete Waffe und steckte sie ihn seine Manteltasche. Dann reichte er ihr eine Hand, damit sie sich daran hochziehen und aufstehen konnte. Einen Moment lang standen sie sich sehr nah einander gegenüber, und er konnte den leicht würzigen Duft ihrer Haut wahrnehmen. Ein Hauch von Moment de Bonheur von Yves Rocher . Dasselbe Parfum wie auf einem der Handtücher im Bad, erkannte er sogleich. Er besaß einen sehr guten Geruchssinn.
„Sie wollten mir sagen, was sie hier machen!“, forderte sie unverblümt. Er ließ ihre zierliche Hand los, die er einen Augenblick zu lang festgehalten haben mochte.
„Ich suche Tarek!“, sagte er wahrheitsgemäß und log dann weiter: „Ich sollte ihn hier treffen können, aber er scheint schon wieder weg zu sein.“
„Tarek?“, fragte sie. Ihre Augen waren dabei sehr schmale Schlitze. Er beschrieb ihr kurz den Niederländer, so wie er aus dem Zug in Koblenz gestiegen war, ohne ihr das Bild auf seinem IPhone zu zeigen.
„Ach, sie meinen Teun!“, sagte sie, kurz und beinahe kindlich abwinkend, bereits nach wenigen seiner Worte. „Ja, natürlich, der war hier.“ stellte sie dann fest.
„Teun?“
„Teun Andergast. Ist sicher ein falscher Name.“ - Sie kicherte. „Aber ich bin überrascht, dass er hier mit ihnen verabredet gewesen sein soll.“
„Ja? – Wieso erstaunt sie das?“
„Diejenigen, die hier gelegentlich übernachten, sind normalerweise sehr vorsichtig, und lassen sich nicht gleich auf neue Verabredungen ein, sondern tauchen erst einmal unter. Und ich kenne Sie auch nicht, Herr… ?“ - Sie wandte sich dabei arglos ab, ging ein paar kurze Schritte durch den Raum und ließ sich in das Sofa fallen, die Beine nahm sie geschickt mit hoch, sodass sie fast im Schneidersitz angelehnt auf dem Polster saß.
„Es gibt etwas, etwas sehr wichtiges, das ich mit ihm besprechen muss, und meine Informationen lauten, dass er für zwei oder drei Tage hier sein soll.“, sagte er, ohne auf ihre Frage nach seinem eigenen Namen einzugehen.
„Dann hat er seinen Plan wohl kurzfristig geändert. Gesagt hat er nichts. Ich habe vorhin die Nachricht bekommen, das ich die Wohnung cleanen soll.“
„Wissen Sie vielleicht, wo er hin wollte?“
Sie zuckte abermals die Schultern und schüttelte dabei leicht den Kopf. Kaum Vorstellbar, dass sich hinter dieser hübschen Fassade die Sympathisantin, wenn nicht Komplizin einer terroristischen Vereinigung verbarg. Er verstand aber durchaus, dass sie gewiss nicht in alle Details eingeweiht war. Amostar war, dem Dossier zufolge, keineswegs leichtsinnig!
„Zu dumm!“, sagte er daher mit gespielter Niedergeschlagenheit. „Ich muss ihn unbedingt treffen!“. Sie schien einen Augenblick lang scharf zu überlegen, inwiefern sie Sax trauen mochte.
„Da sind sie zu spät.“, sagte sie dann. „Ich weiß ja nicht, was genau er dieses Mal gemacht hat, aber es schien etwas Größeres gewesen zu sein, und ich kann mir vorstellen, dass er erstmal ganz von der Bildfläche verschwinden will.“
„Sie wissen nicht, was er gemacht hat? Sie schauen wohl keine Nachrichten?“ Freysing unterdrückte seinen Zorn. Entweder die junge Frau war sehr naiv oder eine sehr gute Schauspielerin. Yasmine versuchte so etwas wie ein Stirnrunzeln hinzubekommen, das ihr bei ihrer glatten Haut freilich völlig misslang, dann lag so etwas wie gespieltes Entsetzen in ihrem Gesicht, und für einen Moment weitete sich ihr kleiner Mund.
„Sie meinen… der Zug ? Der Zug in Bonn? Das war Teun?“
Sie wirkte keineswegs schockiert, sondern eher seltsam aufgeregt und bewundernd, und Freysing nickte tonlos. Seine Lippen waren dabei schmale Striche.
„Was denken sie denn, wozu er sonst eine Wohnung hier brauchte?“
„Ich kümmere mich nicht um Details.“, sagte sie bestimmt, offenbar ohne weiter in irgendeiner Weise über Teuns Opfer nachdenken zu wollen. „Ich sorge dafür, dass hier frische Handtücher, Wäsche zum Tauschen und etwas Verpflegung ständig bereit liegen. Wenn jemand hier ist, habe ich Anweisung, möglichst fernzubleiben.“ Sie hielt einen Moment inne, dann ergänzte sie kichernd: „Allerdings, bei Teun habe ich gern eine Ausnahme gemacht – er ist so… männlich ! Na, Sie waren ja sicher auch schon im Schlafzimmer …“.
Sax hatte es bereits geahnt. Verdächtige Geräusche, der Geruch am Handtuch. Tarek hatte sich hier entspannt… „Die Schöne und das Biest…“ , murmelte er, schüttelte aber nur kurz den Kopf, als sie ihn fragend anblickte. Sie plapperte ungehemmt weiter: „Ansonsten sehe ich einmal in der Woche nach dem Rechten, lüfte und lasse es halbwegs bewohnt aussehen. Wenn die Wohnung benutzt wurde, räume ich auf und beseitige alle Spuren. Das ist alles.“
Er fragte: „Und wer gibt die Anweisungen?“
„Warum wollen Sie das wissen? Sind Sie vielleicht doch ein Bulle?“ - Sie schien plötzlich erbost.
„Ihre Auftraggeber sind warscheinlich auch Tareks… - Teuns Auftraggeber, und wie gesagt, mir ist sehr daran gelegen, ihn persönlich zu sprechen.“, wich er aus.
„Das ist ihr Problem. Nicht meins. Und alle Anweisungen bekomme ich sowieso nur telefonisch. Man hatte mir gesagt, dass „Teun“ kommt – mehr nicht. Dann sollte ich ihm etwas bringen, und dabei hat sich was zwischen uns ergeben…“, zuckte sie die Schultern.
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