„Du sprichst deine Gedanken recht deutlich aus.“
„Ich habe Vertrauen zu dir. Bei deiner Biografie. Scheinst ein leidenschaftlicher Mensch zu sein und gleichzeitig ein Pragmatiker. Seltene Mischung.“
„Was macht dich so sicher, dass die Amerikaner und Engländer mit uns verhandeln werden? Sie halten uns für amoralisch. Wenn sie die Lager im Osten entdecken, dann erst recht ...“
„Die Lager ... über diese Geschichte werden sie nicht viele Worte verlieren. Juden. Keiner will die haben. Wir nehmen denen doch die Drecksarbeit ab. Du verstehst Politik nicht, Manfred. Moral dient immer nur dem Vorteil der Regierenden. Wir haben die ... Umsiedlungen nicht an die große Glocke gehängt. Wenn das Reich und das Generalgouvernement unbesetzt bleiben, breiten wir einfach ein Tuch des Schweigens darüber aus. Da sehe ich kein Problem. Die Leute wollen so etwas auch gar nicht wissen.“
„Und die Juden in Amerika? Die werden wissen wollen, was mit ihrem Volk geschehen ist.“
„Glaub´ mal nicht so sehr unserer eigenen Propaganda. Die Juden sind auch in den USA nicht tonangebend. Jedenfalls nicht in dem Maße, wie uns das der Goebbels immer weißmachen will. Ich weiß das. Deine Macht ist begrenzt.“
Der Rittmeister schwieg. Es war erschreckend mit anzusehen, wie schnell bei Himmler die Leidenschaft für die kompromisslose Ideologie des Nationalsozialismus einem machterhaltenden Pragmatismus wich. Er blickte zum Reichsleiter herüber, der sich etwas Wein nachschenkte.
„Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass wir von der SS es sind, die Deutschland vor der totalen Vernichtung schützen können. Und vielleicht retten wir ja auch den Führer vor sich selbst.“
Himmler ließ sich, wie es dem Rittmeister erschien, erschöpft in seinen Sessel zurück sinken. Sein Gesicht war mit einem Male grau und hart.
„Diese Bombe darf nicht zum Einsatz kommen!“, sprach Himmler bestimmt aber dennoch sehr leise. Fast war es ein Flüstern: „Wenn wir dieses Ding gegen die Westalliierten einsetzen, werden unsere Chancen, mit ihnen noch eine gütliche Einigung zu erzielen, gegen Null gehen.“
Der Rittmeister war wie vom Donner gerührt. Hatte er richtig gehört?
„Habe ich dich richtig verstanden? Du willst ein Projekt, das unter deiner eigenen Regie läuft, sabotieren?“
Himmlers Mund umspielte ein Lächeln.
„Wenn du es so nennen willst. Ich dagegen denke, dass wir lediglich die Kontrolle über gewisse Optionen bewahren sollten.“ Himmler ließ sich in seinen Stuhl zurücksinken. Dann sagte er langsam: „Du, Herr Rittmeister, wirst dafür sorgen, dass wir die Kontrolle über dieses Projekt bekommen. Ich kann das nicht befehlen. Denn anscheinend haben Mannerheim und Kammler die Unterstützung des Führers. Außer, sie begehen eine große Torheit. Dann kann ich helfend einspringen und dich mit der Leitung des Projektes ... wie heißt es gleich ...?“
„ Nemesis !“
„... Nemesis betrauen. Du bekommst vorläufig natürlich jede erdenkliche Unterstützung. Sichere diese Technologie und ein oder zwei funktionstüchtige Bomben. Zu gegebener Zeit werden diese Geräte mal eine gute Verhandlungsmasse mit den Westalliierten abgeben.“
Der Rittmeister starrte am Reichsleiter vorbei auf die vorbeiziehende Landschaft. Das ständige Tock, Tock, Tock der Schienen schob sich unangenehm in seine Denkprozesse.
Verhandlungsmasse abgeben? Wohl eher für dich selbst, Himmler, dachte er. Langsam wurde ihm klar, dass der Reichsleiter SS bereits Vorkehrungen traf, seinen Arsch zu retten. Der Rittmeister war entsetzt. Nicht, dass er noch an einen Sieg glaubte, aber die Direktheit, mit der ihm Himmler von seinen eigenen Sabotageplänen berichtete, bestürzte ihn. Ihm schien mit einem Male alles verlogen und niedrig. Wenig heldenhaft jedenfalls. Die guten Zeiten waren vorbei und es galt nun eine neue Stufe des Überlebens zu erklimmen. Auch wenn es schmerzte. Vielleicht hatte der Reichsleiter ja recht. Vielleicht konnte man die Alliierten doch noch umstimmen. Zum Wohle Deutschlands.
„Wie geht es übrigens deiner Frau“, plauderte Himmler mit verändertem Tonfall und machte sich über ein zweites Stück Brot her. „Ich habe gehört, sie sei in anderen Umständen?“
„Äh ... ja. Ich ...“ Der Rittmeister erwachte wie aus einer Starre, „Wir erwarten unser Kind im November.“
„Schön, schön.“
Himmler, der fühlte, dass dem Rittmeister nicht wohl war, beugte sich zu ihm. „Manfred. Vertrau mir. Der Führer ist, wie soll ich sagen ... in diplomatischen Dingen ... wenig geübt. Er kennt nur den aufrechten Kampf für das deutsche Volk. Er führt weiterhin begnadet, ohne Frage. Aber man muss das deutsche Volk auch vor seiner Leidenschaft schützen, die manchmal über das Ziel hinaus zu schießen droht. Glaub mir, es ist niemandem im Reich damit gedient, wenn es ausgelöscht wird. Diese Bombe hat keinen militärischen Wert mehr. Genauso wenig wie die Strahlflugzeuge, die Raketen, die neuen U-Boote. Zu spät. Aber all dass kann uns im entscheidenden Augenblick die Aufmerksamkeit der Alliierten sichern, wenn es zu einer Entzweiung mit den Bolschewiken kommt. Und das wird passieren. Verlass dich darauf. Diese Bombe ist ein Geschenk der Vorsehung. Nur gilt es, sie richtig einzusetzen. Denk an deine Frau und an ihr ungeborenes Kind. Wenn wir nichts mehr zum Verhandeln haben, werden sie uns einfach auslöschen.“
Der Rittmeister nickte benommen. Er wusste nicht, was er von all dem hier halten sollte. „Ja, vielleicht hast du recht. Wir müssen an die Zukunft denken.“
„Ziel ist, dass dieses Projekt für den Führer uninteressant wird. Sei verschwiegen. Lass die Alliierten machen. Die werden nicht untätig bleiben. Greif ihnen ein wenig unter die Arme. Denk an den Angriff auf die Schwerwasserproduktion der Norsk Hydro . Hier ist die Gefahr für ein alliiertes Kommando größer. Sorge dafür, dass sie soweit zum Ziel kommen, wie es uns nutzt. Wenn eine funktionstüchtige Bombe übrig bleibt, reicht das als Verhandlungsmasse. Mit einer einzelnen kann man militärisch nicht viel anstellen, aber politisch macht sie durchaus Sinn.“
Der Rittmeister schüttelte seine Beklemmung ab. „Mit deiner Unterstützung kann ich rechnen?“
„Wie ich sagte. Und ich stehe zu meinem Wort. Bist du satt?“
„Äh ... ja.“
„Dann entlasse ich dich. In Frankfurt Oder kannst du aussteigen. Informier´ mich bitte immer nur persönlich. Nichts schriftliches.“
Der Rittmeister erhob sich und grüßte: „Heil Hitler!“
„Heil Hitler“, wiederholte Himmler eher beiläufig und geleitete seinen Gast zur Abteiltür. Bevor der sie aufzog, hielt er den Rittmeister zurück.
„Und Manfred. Du solltest diese Friedel-Ehe mit der dänischen Journalistin beenden. Aus Sicherheitsgründen. Halte dich vorerst an deine eigene Frau.“ Damit zog er die Abteiltür auf. Der Rittmeister fühlte sich übertölpelt, brachte aber nur ein dünnes „Jawoll“ zustande.
„Na, dann is' ja gut!“ Himmler lächelte väterlich.
Ächzend und mit einem trockenen Gefühl im Mund richtete sich Cyrus in seinem Sitz auf und blickte durch ein kleines wie ein Bullauge geformtes Fenster. Durch vereinzelte, rot leuchtende Wolken konnte er hin und wieder einen Blick auf das Meer erhaschen. Träge kehrte seine Erinnerung zurück.
Überraschender Weise saß er in einem Flugboot der Navy. Ziel Southampton. Die Motoren dröhnten und verursachten in den Ohren einen unangenehmen Druck. In mehreren Sitzreihen hintereinander sah er Männer und Frauen in amerikanischen und englischen Uniformen, die entweder lasen, schliefen oder einfach nur dösten. Der Platz neben ihm war frei.
Ein Steward in einer graublauen Uniform kam den Mittelgang hinauf auf ihn zu. Vor Cyrus blieb er stehen und beugte sich grinsend zu ihm hinunter.
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