Und weil er sich so übt und in Gottes Gegenwart hält, so überwältigt ihn die Minne, und, wie auch immer sie ihn bewege, er wächst fortwährend in Minne und allen Tugenden. Die Minne aber bewegt allzeit, dem Nutzen und der Tauglichkeit eines jeden entsprechend.
Von himmlischem Wohl und höllischem Weh.
Die nutzbringendsten Antriebe, die ein solcher Mensch fühlen kann, und zu denen er sich eignet, sind himmlisches Wohl und höllisches Weh, und die Fähigkeit, beiden zu antworten mit den entsprechenden Werken, die dazu gehören. Das himmlische Wohlsein erhebt den Menschen über alle Dinge in das freie Vermögen, Gott zu leben, und ihn zu minnen auf jede Weise, nach welcher Herz und Seele begehrt. Dann kommt die höllische Qual und beugt den Menschen nieder in ein Elend und in ein Entbehrender Labung und des Trostes, die er je vorher empfand.
In diesem Elend zeigt sich bisweilen das Wohl und bringt eine Hoffnung mit sich, die niemand leugnen kann. Und darauf fällt man wieder in eine Hoffnungslosigkeit, in der es keinen Trost gibt.
Wenn der Mensch Gott in sich fühlt mit reicher, voller Gnade, das nenne ich himmlisches Wohlsein oder himmlische Gesundheit, denn dann ist der Mensch weise und klar bei Verstand, überfließend von himmlischer Beleh¬rung, heiß und mild in Liebe, überfließend und trunken vor Freude, stark im Gefühl, kühn und schnell bereit zu allem was er weiß, das Gott wohlgefällt, und vieles derart, was nur die wissen können, die es fühlen. Wenn aber die Wagschale der Minne sinkt, wenn Gott sich mit all seiner Gnade verbirgt, dann fällt der Mensch wieder in Trostlosigkeit, in Qual und dunkles Elend, als ob er nimmermehr genesen sollte; dann fühlt er sich nicht anders als ein armer Sünder, der von Gott wenig oder nichts weiß. Aller Trost von Seite der Kreaturen ist ihm ein Verdruss; Geschmack und Trost von Gott wird ihm nicht. Und dann spricht seine Vernunft in ihm: wo ist nun dein Gott? Wohin ist alles gekommen, was du je von Gott fühltest?
Dann werden Tränen seine Speise bei Tag und Nacht, wie der Prophet sagt. Soll nun der Mensch von dieser Qual genesen, so muss er betrachten und empfinden, dass er nicht sich angehört, sondern Gott; und so muss er in freiem Willen Gottes den Selbstwillen vernichten und mit dem Verstand zu Gott hinwenden, in Zeit und Ewigkeit. Sobald der Mensch das ohne Betrübnis des Herzens, mit freiem Geiste tuen kann: sofort wird er gesund, und fühlt
den Himmel in die Hölle und die Hölle in den Himmel. Wie immer die Wagschale auf und niedergehe, er bleibt im Gleichgewicht. Was auch die Minne giebt oder nimmt, - wer sich selbst verleugnet, und Gott minnt, findet den Frieden. Wer im Leid ohne Widerwillen lebt, dessen Geist bleibt frei und unbewegt und er ist im stan¬de, unvermittelte Einheit mit Gott zu fühlen.
Denn die Einigung durch Mittel, die hat er erreicht im Reichtum der Tugend. Und deshalb fühlt er wenn er einträchtig und eines Willens mit Gott ist, Gott in sich samt der Fülle seiner Gnade, als eine lebendige Gesundheit eines Zustandes und seines Wirkens.
Warum nicht alle guten Menschen dahin gelangen.
Ihr könntet mich nun fragen, warum nicht alle guten Menschen dahin gelangen, daß sie dies fühlen. Nun hört, ich will euch die Ursache und das Warum mitteilen. Sie antworten nicht dem Antriebe Gottes mit einem Verleugnen ihrer selbst, deshalb stehen sie nicht mit lebendigem Ernste vor der Gegenwart Gottes‘ auch sind sie nicht sorgfältig in innerer Selbsterforschung. Deshalb bleiben sie stets mehr äußerlich und mannigfaltig, als Innerlich und einheitlich, und sie tun ihre Werke mehr aus guter Gewohnheit, als aus innigem Gefühl. Sie achten ehr auf besondere Weise, auf Größe und Mannigfaltigkeit guter Werke, als auf Meinen und Minnen Gottes. so bleiben sie äußerlich und vermannig -faltigt im Herzen, um werden nicht gewahr, wie Gott mit der Fülle der Gnade in ihnen lebt.
Übung um mit Gott ohne Mittel vereint zu werden.
Wie sich nun ein innerlicher Mensch, der neben aller Qual doch Gesundheit genießst, mit Gott ohne Mittel eins fühlen soll, das will ich euch sagen. – Wenn sich ein solcher lebendiger Mensch mit seinem ganzen Sein und mit allen seinen Kräften aufrichtet, und sich an Gott anlehnt mit lebendiger werktätiger Minne, so fühlt er, dass sei¬ne Minne in ihrem Grunde, wo sie beginnt und endet, genießend und ohne Grund ist. Will er nun vorandringen mit seiner wirkenden Minne in die genießende Minne, so müssen alle Kräfte seiner Seele weichen, und müssen die durchdringende Wahrheit und Güte, die Gott selbst ist, tragen und über sich ergehen lassen. So wird die Luft durchdrungen von der Wärme und Helligkeit der Sonne, und so wird das Eisen durchdrungen von dem Feuer, so daß es mit dem Feuer Feuers Werke wirkt, indem es brennt und leuchtet wie das Feuer.
Und so sage ich auch von der Luft; denn wenn die Luft Verstand hätte, so spräche sie: ich erleuchte und belichte die ganze Welt. Ein jedes aber behält seine eigene Natur, denn das Feuer wird nicht zu Eisen, noch das Eisen zu Feuer aber die Einigung geschieht ohne Vermittlung, denn das Eisen ist im Feuer drin und das Feuer im Eisen.
So auch ist die Luft im Lichte der Sonne und das Sonnenlicht in der Luft. So ähnlicherweise ist Gott jederzeit in dem Wesen der Seele, und wenn die obersten Kräfte nach innen kehren mit wirkender Minne, so werden sie mit Gott vereinigt ohne Mittel, in einem einfachen Wissen aller Wahrheit und in einem wesentlichen Fühlen und Schmecken alles Guten. Dies einfache Fühlen und Wissen Gottes wird erreicht durch wesentliche Minne , und wird geübt und erhalten durch thätige Minne; darum fällt es den Kräften zu durch die sterbende Einkehr in die Minne es ist aber der Wesenheit wesentlich zugehörig und verbleibt immer in der Wesenheit.
Deshalb müssen wir immer wieder aufs neue in die Minne einkehren, wenn wir die Minne durch die Minne auffinden wollen. Und das lehrt uns Sankt Johannes, da er sagt: „Wer in der Minne wohnt, der wohnt in Gott, und Gott in ihm.“ Obgleich nun diese Einigung zwischen dem minnenden Geist und Gott eine unmittelbare ist, so ist dennoch ein großer Unterschied, denn die Kreatur wird nicht Gott, noch wird Gott Kreatur, ähnlich wie ich dies vorhin an dem Beispiel vom Eisen und von der Luft erläutert habe. Und wie sich so schon materielle Dinge, die Gott gemacht hat, ohne Mittel vereinigen können, um wieviel mehr kann sich Gott selbst vereinigen mit seinen Geminnten, so er es will, und so diese sich mittels seiner Gnade dazu schicken und bereit machen. Deshalb steht auch (wenn Gott einen solchen innerlichen Menschen mit Tugenden geschmückt, und über diese hinaus in das schauende Leben erhoben hat) bei seiner höchsten Einkehr nichts mehr als Mittleres zwischen ihm und Gott, als nur seine erleuchtete Vernunft und seine tätige Minne. Vermittelst dieser beiden aber hat er einen Zusammenhang mit Gott, und das ist das „Einswerden mit Gott“, wie Sankt Bernhard es nennt.
Aber über der Vernunft und über der tätigen Minne ist er in ein nacktes Schauen erhoben, und ist ohne Tätigkeit in wesentlicher Minne; und da ist er ein Geist und eine Minne mit Gott, wie ich vorhin sagte. In dieser wesentlichen Minne ist er durch die Einheit, die er wesentlich mit Gott hat, unendlich über seinen Verstand erhöht, und das ist ein den schauenden Menschen gemeinsames Leben.
In dieser Erhabenheit ist der Mensch dazu befähigt (falls Gott es ihm zeigen will), in einem Gesichte alle Kreaturen im Himmel und auf der Erde, mit ihrem Unterschieden sein durch Leben und Lohn zu erkennen. - Aber der Unendlichkeit Gottes der muss er weichen und muss ihr wesentlich und ohne Ende nachfolgen; denn diese vermag keine Kreatur zu begreifen noch zu erreichen, selbst die Seele unseres Herrn Jesu Christi nicht, die doch über allen Kreaturen die höchste Vereinigung erlangt hat.
Von inneren Wirkungen der Gnade Gottes.
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