Mira Birkholz
Dolúrna
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Inhaltsverzeichnis
Titel Mira Birkholz Dolúrna Dieses ebook wurde erstellt bei
1 Gerüchte
2 Ankunft in Portmullen
3 Misstrauen
4 Aquamarinfarbene Höhlen
5 Die Pflanzliste
6 Das Geheimnis des Heliotrops
7 Spionage
8 Der große Plan der Götter
9 Pflanzenmedizin
10 Hazels Traum
11 Der Keltische Jahreskreis
12 Böse Saat
13 Der große Plan der Mary MacFarlane
14 Mrs. Montgomerys Manipulationsmethoden
15 Von Drogen und Dämonen
16 Versuchung
17 Die Zeit steht still
18 Kirchen-Komplott
19 Flucht vor der Flut
20 Boykott
21 Ausflug mit einer Schlange
22 Verlorene Seele
23 Ein Opfer für die Götter
24 Und führe uns nicht in Versuchung…
25 Lucy im Visier
26 Verletzt
27 Neighbourhood Watch
28 Dämonenzauber
29 Schwarze Schatten
30 Auf der Flucht
31 Verrat!
32 Die Mission
33 Teuflische List
34 Seerettung
35 Hetzrede
36 Das goldene Amulett
37 Ein unglaublicher Verdacht
38 Dolúrna
39 Ogham-Zeichen
40 Eine Lüge für den Pfarrer
41 Ein Wunder
42 In der Falle
43 Pakt mit dem Pfarrer
44 “Greater love hath no man than this…”
45 Frieden
Impressum neobooks
1 Gerüchte
Donnerstag, 19. August 2010 – Portmullen, Baumschule
„Hey, Jamie“, hallte es laut über den Hof, „hilfst du mir, die Töpfe von der Palette zu heben?“
„Hast wohl nicht genug gefrühstückt, Hazel?!“, lachte Jamie und schlenderte breit grinsend auf sie zu.
Die grüne Hose schmiegte sich eng an seinen Körper und ließ keinen Zweifel daran, dass Jamie mit einer Muskelmasse gesegnet war, die Ihresgleichen suchte. Das Becken leicht vorgeschoben bewegte er sich lässig über den Hof.
„Na, komm‘ schon!“, drängte Hazel.
Als Jamie endlich vor ihr stand, hielt sie ihrem Kollegen den gewölbten Bizeps unter die Nase. „Von wegen zu schwach! Ist das etwa nichts?!“
Trotzig warf sie ihre dunklen Haare in den Nacken und blinzelte ihn böse an.
„Na ja, ist nicht schlecht“, gestand Jamie, „für eine Frau…“
Und schon musste er den Kopf einziehen, um Hazels vermeintlichem Schlag auszuweichen.
„Pass‘ auf, was du sagst!“, drohte sie mit erhobenem Zeigefinger und versuchte, sich das Lachen zu verkneifen.
„Ich liebe es, wenn du wütend bist, Hazel Blackwell!“, stellte Jamie vergnügt fest und legte kumpelhaft den Arm um die Schulter seiner Kollegin.
Gemeinsam zogen sie den Hubwagen mit der schweren Holzpalette in den Verkaufsbereich, wo Caitlin bereits Platz geschaffen hatte.
„Ich hab‘ uns Jamie mitgebracht!“, verkündete Hazel stolz und fügte mit gespielter Demut hinzu: „Männer sind eben doch das stärkere Geschlecht.“
„Komm‘, Hazel, albere nicht rum“, schalt Caitlin, „bestimmt kommt gleich Magnus um die Ecke und schimpft, weil wir noch nicht fertig sind.“
„Ach, der soll sich nicht immer so aufregen!“, schimpfte nun Hazel über ihren Chef, der von seinen Mitarbeitern verlangte, dass sie in Windeseile perfekte Ergebnisse präsentierten.
Magnus Hartmann war aus Deutschland eingewandert und hatte vor gut zehn Jahren die Baumschule in Portmullen eröffnet. Niemand wusste so genau, warum er sich gerade diesen entlegenen Ort in Schottland ausgesucht hatte. Gab es nicht Gegenden, in denen günstigere Klimabedingungen herrschten und ein größerer Umsatz zu erwarten war, weil dort mehr Menschen lebten? Menschen, die wohlhabender waren, größere Gärten mit fruchtbareren Böden besaßen und die entsprechende Leidenschaft, jedes verfügbare oder nicht verfügbare Pfund in Pflanzen zu investieren?
Seit Jahren munkelten die Einwohner Portmullens, Magnus sei geflohen. Vielleicht vor dem Gesetz, einer Frau oder gar vor sich selbst. Mit großer Skepsis beobachtete man das Wirken dieses Mannes, der in all den Jahren immer ein Fremder geblieben war.
Hazels Chef schien nicht mit sich im Reinen zu sein. Dauerhaft unzufrieden wirkte er, gehetzt und ungeduldig. Niemals kam er zur Ruhe. Von morgens bis abends eilte er durch den Betrieb, zu Kunden, zu Lieferanten. Und je geschäftiger er war, desto mehr verwandelte sich sein Umfeld in ein heilloses Durcheinander von schmutzigen Werkzeugen, liegengelassenem Schnittgut und vergessenen Arbeitshandschuhen, die sich über das gesamte Baumschulgelände verteilten. Das Chaos, das er regelmäßig hinterließ, wünschte er wortlos von seinen Mitarbeitern beseitigt zu wissen. Ebenso verlangte er stillschweigend, dass sie Gespräche aller Art vermieden. Magnus war misstrauisch und vermutete hinter jedem Wort seiner Angestellten Privatgespräche, die sie von der Erledigung ihrer Arbeit abhielten. Dieses Misstrauen führte dazu, dass morgens keine Zeit für die notwendige Besprechung und Organisation einzelner Arbeitsbereiche blieb, denn alle Mitarbeiter stoben wie Hühner vor dem Fuchs in alle Richtungen davon, sobald Magnus aus irgendeinem Gebüsch gehuscht kam.
Hazel fand dieses Verhalten lächerlich, obwohl auch sie sich von den Kollegen fernhielt, wenn Magnus unverhofft auftauchte. Warum mussten erwachsene Menschen vor einem Mann fliehen, der nicht zu begreifen schien, dass die Arbeit zu zweit oder in Gruppen sich viel effektiver gestaltete? Das menschliche Miteinander, das Gespräch zwischen Menschen setzte Energien frei, aus denen Kreativität und Motivation erwuchsen! Doch diese ließ Magnus nicht zu.
Hatte das wirklich etwas mit der Selbstdisziplin zu tun, die man hier in Portmullen den Deutschen nachsagte? Bedeutete Selbstdisziplin den Verzicht auf zwischenmenschliche Beziehungen? Den Verzicht auf Dinge, die man sich nur kaufte, weil sie einem gefielen, obwohl man sie nicht brauchte ? So wie die schönen keltischen Ohrringe, die Hazel gestern im Ort erstanden hatte? Beinhaltete Selbstdisziplin, dass man sich keinem Menschen öffnen durfte? Niemals sein Selbst preisgeben oder die Kontrolle über sich verlieren? Niemals weinen? Niemals vor Glück die Welt umarmen? Nein, das war nicht Hazels Mentalität!
Wenn es ihr – im Gegensatz zum Großteil der Bewohner Portmullens – auch völlig gleich war, woher ein Mensch stammte, so blieb doch auch Magnus ihr ein Rätsel.
Wie konnte man fröhlich und friedlich miteinander leben, wenn die Menschen sich jede Freude verwehrten, nicht miteinander sprachen, lachten und Dinge erschufen. Wenn sie sich keine Ruhe gönnten, keine Zeit zum Leben und zum Träumen? Wo blieb denn in all dieser hektischen Betriebsamkeit der Lebenssinn?
„Fass‘ mal mit an, Hazel!“, riss Caitlin sie aus ihren Gedanken.
„Du hast schon wieder geträumt, was?“, neckte Jamie.
„Wenn ich bloß wüsste, ob ich der Auserwählte bin!“
Grinsend musterte Jamie seine Kollegin.
Hazel war einen Kopf kleiner als er, ungewöhnlich breitschultrig für eine Frau, kräftig, aber doch geschmeidig in ihren Bewegungen, wie die Fischotter, die sie an der Küste beobachtet hatten. Ihre Haare glänzten in einem dunklen Braun und trugen einen Hauch Widerspenstigkeit zur Schau, die das Spiegelbild ihres Wesens darstellte. Hazels braune Augen ließen Jamie an zwei reife Haselnüsse denken, und regelmäßig zog er sie damit auf. ‚Hasel-Äuglein‘ nannte er sie spöttisch, worauf sie sich stets wütend auf ihn stürzte.
Ja, Hazel hatte etwas Burschikoses an sich, etwas Wildes. Doch das machte sie für Jamie umso attraktiver.
„Glaubst du ernsthaft, ich träume von dir ?“
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