„Danke, Matthew, ich bin Connor.“
„Connor, hast du meine Frau gesehen? Im Haus ist sie nicht. Bleibt also nur der Garten“, schlussfolgerte Matthew und fügte verschwörerisch hinzu: „Markttag ist ja erst übermorgen!“
Connor schmunzelte. Das hatten wohl alle Märkte gemeinsam. Alte tratschende Dorffrauen, die den halben Tag mit Geschwätz über Nachbarn und vermeintliche Freunde auf dem Wochenmarkt zubrachten.
„Nein“, erwiderte er, „ich habe sie nicht gesehen. Aber Moment, ich habe etwas gehört!“
Plötzlich raschelte der Wind heftig in den Haselnusssträuchern, und Mary MacFarlane trat hervor. Mit den Händen wischte sie abgerissene Blätter von der Kittelschürze fort und strich verlegen ihren Rock glatt. Dann richtete sie ihre grauen Haare, in denen kleine Zweige steckten wie der Kopfschmuck einer Geisha.
„Mary!“, rief Matthew überrascht. „Wo hast du dich denn herumgetrieben?!“
Sein schallendes Gelächter drang mit dem Wind bis hinüber zur Bucht von Portmullen.
Böse funkelte sie ihren Ehemann an.
„Ich habe nachgesehen“, zischte sie, „ob die Nüsse schon reif sind.“
„Aber Mary“, wunderte sich Matthew, „wir haben August!“
„Na und“, erwiderte sie schnippisch, „manchmal spielt die Natur eben verrückt.“
„Solange du nicht verrücktspielst!“, lachte Matthew und zeigte mit dem Finger auf einen dichtbelaubten Zweig, der vorne in Marys Haussandale steckte.
„Hast du denn alles gesehen, was du wolltest?“
„Ich habe nur nach den Nüssen gesehen!“, behauptete sie trotzig und warf ihren Kopf in den Nacken. Dabei sah sie mürrisch an Matthew vorbei und begegnete ungewollt Connors Blick, der stumm die Szene verfolgt hatte.
„Hallo, Mrs., äh, Mary! Ich bin Connor. Connor Wood“, stellte er sich freundschaftlich vor und streckte ihr die rechte Hand entgegen.
„Guten Tag, Mr. Wood“, sprach sie steif und verschränkte die nackten Arme vor der üppigen Brust, die sich wie ein Verteidigungswall hinter der bunt gemusterten Kittelschürze aufbäumte.
„Ich bin Mrs. MacFarlane“, erläuterte sie und ließ keinen Zweifel daran, dass sie auf einer förmlichen Anrede bestand.
„Guten Tag, Mrs. MacFarlane“, sprach Connor, „wie schön Sie es hier haben!“
„Ach was, schön“, wehrte sie mit einer abfälligen Handbewegung ab, „hier gibt es immer Arbeit! Hier hat man keine Zeit, unnütz in der Gegend herumzustehen und...“, unterbrach sie sich selbst.
Connor schmunzelte und erklärte: „Ich habe mir den Garten angesehen. Ich werde auf der Wiese einige Bäume pflanzen. Ich hoffe, das stört Sie nicht.“
„Das ist schön, nicht wahr, Mary!?“
Über den Zaun hinweg knuffte Matthew seine Frau aufmunternd in die Seite, doch sie drehte sich unwirsch um.
„Man sagt“, berichtete der Farmer, „vor sechstausend Jahren sei Schottland zu achtzig Prozent von Wäldern bedeckt gewesen! Leider wurden die meisten Bäume zum Heizen verbraucht und für den Schiffs- und Hausbau, so dass es zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts nur noch vier Prozent gewesen sein sollen. Stell dir vor, Connor“, freundschaftlich legte Matthew ihm die Hand auf den Arm, „die haben einfach alles abgeholzt!“ Er überlegte. „Na ja, wer will schon frieren?!“
„Matthew, ich friere!“ Das war Marys Stichwort gewesen.
„Dann geh‘ doch schon ins Haus“, schlug ihr Mann vor.
„Ich werde mich noch etwas mit Connor unterhalten.“
„Matthew!“ Drohend bohrte sich Marys Blick in seine Augen.
„Du wolltest doch essen!“
„Stimmt!“, gab er lachend zu. „Aber woher weißt du das? Dann hast du mich also die ganze Zeit rufen hören?!“
Empört stemmte er seine dicklichen Arme in die ebenso dicklichen Hüften.
„Ach, Schluss jetzt“, bestimmte seine Frau, packte ihn energisch am Ärmel und zog ihn von Connor fort. Mühsam stieg er über den Zaun zurück.
„Auf Wiedersehen, Connor!“, rief Matthew über die Schulter, während er unbeholfen hinter seiner resoluten Frau hinterher stolperte.
„Wir reden morgen“, fügte er lachend hinzu, „oder übermorgen!“
Verschmitzt zwinkerte er Connor zu. Übermorgen war Markttag und seine Frau in ihrem Element.
Die Hände in den Hosentaschen vergraben schlenderte Connor nachdenklich zu seinem Haus zurück, das im Dämmerlicht weiß leuchtete. Die Sonne war längst untergegangen und hatte alle Makel im Dunkel versteckt. Graue Löcher im Putz, von den Fensterrahmen abblätternde rote Farbe, einen Sprung im Glas des Küchenfensters und das leicht eingesunkene graue Wellblechdach. Es gab noch viel zu reparieren, fürchtete Connor. Viel lieber wollte er mit der Arbeit im Garten beginnen. Und wer wusste schon, wie lange er hier wohnen würde.
In der Küche beheizte er den alten Herd mit Torfsoden, die in einem geflochtenen Weidenkorb aufgeschichtet waren. Qualmend breitete sich der kräftige Geruch des Torffeuers im Zimmer aus, während Connor in einer schmiedeeisernen Pfanne Rührei zubereitete. Dazu gab es kerniges Bauernbrot und eine Flasche Schottisches Ale. Während er nun am Küchentisch seine erste warme Mahlzeit einnahm, seit er im Cottage eingetroffen war, ließ er den Tag noch einmal Revue passieren.
Bei Sonnenaufgang hatte Connor Llanfairpwllgwyngyll verlassen und war mit seinem Auto die knapp vierhundertvierzig Meilen von Anglesey nordwärts bis nach Portmullen gefahren, wo Mr. Gillespie, der Makler, ihn empfangen und zum Cottage am Rande der Stadt geführt hatte. Nachdem die letzten Formalitäten erledigt worden waren, hatte Connor sein Gepäck ins Haus getragen und flüchtig die drei bescheiden möblierten Zimmer des alten Cottages begutachtet. Da die kleinen staubigen Fenster aber so wenig Licht hereinließen, hatte Connor nichts mehr im Haus gehalten. Er war durch die hintere Küchentür hinaus in das Sonnenlicht getreten, hatte tief die salzige Seeluft eingeatmet und war neugierig durch den Garten gestreift.
Zu beiden Seiten der Holztür befanden sich schmale Beete, die einst mit Malven bepflanzt worden waren, welche nun aber eine wilde Gemeinschaft mit allerlei Zuwanderern aus der freien Landschaft eingegangen waren. Daran schloss sich eine Rasenfläche an, in der ebenfalls die wilden Verwandten die Regie übernommen hatten. Dadurch war die Gleichförmigkeit der Grünfläche verloren gegangen, und deutlich konnte Connor unterschiedliche Blattstrukturen und Farbschattierungen wahrnehmen. Vereinzelt wuchsen Heide- und Heidelbeersträucher dazwischen, die sich eng an den Boden schmiegten, damit der frische Seewind sie nicht auspeitschen konnte. Das hatte er bereits mit der Reihe Ebereschen getan, die grau und struppig, mit Flechten besetzt, der Naturgewalt standhielten und wie zum Trotz besonders üppig mit leuchtend orangeroten Früchten behängt waren.
Connor lächelte. Sie waren also schon da. Ansonsten gab es einige Bäume weiter hinten auf der Weide, die wohl einst einer Schafherde als Futterplatz gedient hatte. Davon zeugten vertrocknete schwarze Hinterlassenschaften, mit denen Connor seine Neuanpflanzung düngen wollte.
Er hatte seine Hemdsärmel aufgekrempelt und im Schuppen nach einem Spaten gesucht. Nur knapp war er dem Angriff einer metallenen Gießkanne entkommen, die sich aus einem der Regale auf ihn gestürzt und die komplette Webarbeit einer ganzen Spinnenkolonie mit sich geführt hatte. Doch nachdem Connor seine Haare von den feinen Fäden befreit und die Kanne nach draußen vor die Tür gestellt hatte, war er zwischen verrosteten Werkzeugen und alten Ackergeräten sehr bald auf einen Spaten gestoßen. Damit hatte er hinter dem Haus auf der Wiese ein Loch gegraben und den Erdaushub betrachtet. Sorgfältig hatte Connor an der Erde gerochen und sie zwischen den Fingern geknetet und zerrieben, bis er zu dem Schluss gekommen war, dass es sich um ausreichend fruchtbaren Boden handelte, der seinem Zweck dienen würde.
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