„Wenn nicht, werde ich eben die Botschaften hin und her übermitteln, das wäre ja so übel auch nicht! Und wenn du dann wieder in der Stadt bist, hinterlasse doch bitte bei einem der jungen Fräulein beim Modehaus Quasselburg eine Nachricht für mich, bzw. für Frau Sylvestri, so nenne ich mich dort“, meinte Amelie jetzt nachdenklich.
„Das werde ich tun, sobald wir wieder hier sind“, versprach Fribbel. „Trittst du dort auch als alte Kräuterhexe auf?“
„Natürlich nicht, mir scheint, ich gefalle dir so wohl nicht? Obwohl mir diese Tracht doch ausgezeichnet steht!“ Mit diesen Worten küsste sie den Sergeanten nochmals auf den Mund und war, wie eine Fata Morgana, verschwunden.
Gerade zur rechten Zeit, nicht nur konnte Fribbeldropp nun drei der Marktweiber sehen, die sich über das seltsame Paar auf der Bank gar nicht mehr einkriegen wollten, sondern es standen jetzt noch zwei Lausebengel vor ihm, die sie wohl schon eine ganze Weile angegafft hatten.
Hoffentlich haben wir jetzt nicht schon zuviel Aufmerksamkeit erregt, dachte der Sergeant und beschloss sich schleunigst von hier zu entfernen. Immer wieder drehte er sich um, nachdem er sich auf den Weg zurück ins Rotlichtviertel gemacht hatte, doch schien ihm niemand zu folgen. Allerdings konnte man sich nie ganz sicher sein, besonders wenn, wie in diesem Fall, die Nari Dari mit im Spiel waren. Die Kerle waren aber wirklich unheimlich, erinnerte sich Fribbel. Sie tauchten meist wie aus dem Nichts auf, es war, als würden die vermummten Kuttenträger sich wie durch Magie plötzlich materialisieren können; als ob sie sich einfach nur einen Mantel umwarfen, der so verhext war, dass er einen unsichtbar machte. Seitdem Amelie die Meuchelmörder erwähnt hatte, war die Besorgnis um die Geliebte erheblich gewachsen, doch konnte er nichts anderes tun, als zu hoffen, dass die Baronin Vorsicht walten lassen und sich nicht irgendwelchen unkalkulierbaren Situationen aussetzen würde. Hoffentlich war sie so klug, ihrem kopoksianischen Temperament Zügel anzulegen. Das Gleiche galt allerdings auch für die Zofe selbst, die ja in derselben Gegend aufgewachsen war. Kopoks hatte in den letzten Jahrzehnten eine ganze Menge religiöse Eiferer hervorgebracht, die immer wieder mit bekehrerischen Absichten in den umliegenden Fürstentümern mit ihren Reden für Unruhe gesorgt hatten. Diese Aufrufe zur Mäßigung und Selbstkasteiung waren jedoch in den seltensten Fällen irgendwo auf fruchtbaren Boden gefallen. Wer wollte auch schon hören, dass das unendliche Leben in der Hölle auf einen wartete, nur weil man Samstags Schweinekaldaunen zu Mittag hatte.
Als Fribbel schließlich wieder bei Pampfnagels Mietstall angekommen war, schmerzten ihn schon wieder die Füße. Er war aber auch nichts mehr gewohnt, dachte er. Gut, die Frühjahrsübungen der Truppe waren jetzt ja auch schon über ein halbes Jahr her. Da konnte sich schon wieder ein wenig Verweichlichung eingestellt haben. Auf jeden Fall würde er den Weg zur fürstlichen Jagdhütte nicht auf Schusters Rappen zurücklegen. Irgendeinen Gaul würde Pampfnagel wohl übrig haben, auf dem sich bequemer und schneller die weite Strecke bewältigen ließ.
Fribbeldropp traf den Schmied bei der Arbeit an, wieder hatte er ein Eisen im Feuer, das er, noch glühend, mit dem Hammer bearbeitete. Kammergarn stand daneben, angelehnt an einen Pfeiler, einen Krug Bier in der Hand, und schaute müßig Pampfnagel bei seiner Tätigkeit zu, während die beiden Hurveniks dafür sorgten, dass die Esse immer die richtige Temperatur hatte. Wirklich fleißige Kerlchen, dachte Fribbeldropp bewundernd. Seit er die anderen Winzlinge, die zum selben Clan gehörten, wie Krautschuk und Kringskranx, näher kennengelernt hatte, war ihm alsbald die alte Sage von den Heinzelmännchen wieder in den Sinn gekommen. Sobald sich die Hurveniks einmal in einer menschlichen Umgebung niedergelassen hatten, begannen sie auf der Stelle damit, sich nützlich zu machen. In atemberaubendem Tempo hatten sie auch die, seit längerer Zeit vernachlässigte, Jagdhütte des Barons wieder auf Vordermann gebracht, so dass man es dort schließlich gut aushalten konnte. Nach nur einem halben Tag hatte das Mobiliar auf eine Weise geglänzt, als sei es eben gerade erst beim Tischler abgeholt worden. Die Lampen waren geputzt und gewienert und vermochten jetzt wieder des Nachts eine angenehme Atmosphäre zu zaubern. Beinahe eine ganze Woche lang hatten sie dort oben in der Hütte zugebracht und Fribbeldropp hatte so einiges erfahren über die Lebensweise der Hurveniks. Dinge, von denen in den alten Sagen niemals die Rede gewesen war. Mit der Zeit hatte es der Sergeant auch fertiggebracht, nicht mehr auf einen der kleinen Kerle zu treten, die beständig herumgewuselt waren, um alles im Haus in Ordnung zu halten. Obwohl selbst die schweren Militärstiefel, die Fribbeldropp immer noch trug, den zähen Hurveniks keinen wirklichen Schaden hätten zufügen können.
Pampfnagel legte bald den Hammer hin und beendete somit sein Tagwerk. Er wollte Fribbeldropp noch den Weg zeigen, mit dem Athanasius und die Hurveniks ungesehen in die Stadt kommen konnten. Er hatte sich die Erlaubnis hierzu bei der Witwe Zimmerschreck eingeholt, wie er jetzt berichtete. Diese geheimnisvolle Frau musste ja wirklich einen erheblichen Einfluss auf das Leben im Viertel haben, wunderte sich Fribbel wieder, als es forsch an der nur angelehnten Werkstatttüre klopfte.
Die Sonne war schon im Sinken begriffen und beleuchtete die Figur im Türrahmen in eindrucksvoller Manier. Der Sergeant vermochte zuerst lediglich eine dunkle hochgewachsene Gestalt zu erkennen, dann trat diese einen Schritt näher ins Innere des Raums und schüttelte eine löwenartige, jedoch schlohweiße Mähne. Wenn Fribbeldropp nun eine alte, verwitterte Person in der Witwe Zimmerschreck erwartet hatte, fand er sich jetzt aufs Allergründlichste enttäuscht.
Die Witwe mochte zu diesem Zeitpunkt wohl an die sechzig Jahre zählen, doch hatte das Leben es allem Anschein nach gut mit ihr gemeint. Mit der Figur und der Agilität eines jungen Mädchens ausgestattet, von hinten hätte man sie gar für einen recht stattlichen jungen Mann halten können, betrat die Frau die Werkstatt Pampfnagels und blickte den Sergeanten mit ernsten Augen an. Und diese Augen waren von einem Blau, dass Fribbeldropp das Gefühl hatte, er müsse hilflos darin versinken, eine solche Intensität strahlten diese aus. Wie das Meer schienen sie beständig ein wenig ihre Farbe zu ändern, je nachdem in welche Richtung sich der Blick der Witwe wandte, wirkten sie einmal azurblau, dann wieder türkisgrün. Der Sergeant hatte nicht den Eindruck, als könne das Wesen, das hier vor ihm stand, überhaupt jemals der menschlichen Rasse angehört haben. Es war etwas von einer Elfe an ihr, etwas zauberisch Glitzerndes, eine Aura von Sanftmut, doch auch von kalter Schönheit umgab die Gestalt der Witwe Zimmerschreck. Ein großes, uraltes Geheimnis schien die Frau zu verhüllen, wie ein Mantel von Unwägbarkeiten. Dem Sergeanten kam es vor, als ob Märchen wahr werden würden, als ob der Vorhang einer profanen Realität dabei wäre, zu zerreißen. In dem Moment als die Gestalt durch das schwindende Sonnenlicht die Schwelle zur Werkstatt überschritt, schien auf einmal alles Wunderbare möglich zu sein. Bis,...ja, bis sie anfing zu reden.
„Ihr seids wohl die neuen Rekruten!“, sagte die Witwe eher feststellend als fragend. Ihre Stimme schien sich weit außerhalb ihres gut gewachsenen, doch gertenschlanken Körpers zu befinden, so wenig schien das eine zum andern zu passen. Da war ein Grollen, ein Brummen von einer abgründigen Tiefe, die auch einem Bassisten im Chor der ehemals kaiserlichen Oper zur Ehre gereicht hätte. Noch dazu war ihre Sprache von einem Dialekt gefärbt, der nur noch weit, weit im Süden des Kontinents, in den wilden Bergregionen der Alpenninen gesprochen wurde, ein gutturaler Akzent, in dem auch irgendwie etwas Animalisches mitschwang.
Читать дальше