„Nein, sicher nicht.“ So sehr der Heiler seinen Freund auch schätzte, der lange Marsch durch die Felder missfiel ihm. Wenn es wenigstens nicht so heiß gewesen wäre. Ausgerechnet in dieser Sommerhitze musste Jedener über die Felder schreiten.
„Es war das Beben, weißt du?“
Der Heiler sah den Ältesten verwirrt an. „Was meinst du?“
„Das Beben. Das große Beben.“
„Ich weiß, dass es ein großes Beben war“, knurrte Larmuth verdrießlich.
„Ach, du verstehst nicht“, seufzte Jedener. „Erinnere dich an die Zeit vor dem Erdwackeln. Die Ernten waren schlecht.“
„Nun, sie waren nicht so reichhaltig, das will ich wohl zugeben“, meinte Larmuth, der einfach nicht wusste, worauf sein Freund hinauswollte.
„Es war der Boden, alter Freund, der Boden.“ Jedener stampfte demonstrativ mit dem Fuß auf. „Unter der Oberfläche war er fest und hart.“
„Das ist dasselbe“, knurrte Larmuth.
„Wie auch immer, jedenfalls war er sehr fest. Wir hatten weniger Bohrwürmer und sie kamen kaum hindurch.“
„Damals hatten wir noch keine Bewässerungsgräben und der Boden war ausgedörrt.“
„Unsinn. Es war das Beben. Es hat den Boden kräftig durchgerüttelt und das Erdreich gelockert, das kannst du mir glauben. Ein wahres Glück für uns, dieses Beben.“
Larmuth stieß ein Schnauben aus. „Ein Glück? Sag das jenen armen Menschen, die durch das Erdwackeln ums Leben kamen oder ihr Heim verloren. Soll unser Glück auf dem Blut anderer beruhen? Soll dies ein Blutacker sein? Nein, Freund, es war die Bewässerung. Das hat die Würmer angelockt.“
Jedener biss sich auf die Unterlippe. Er war erfahren genug, um die Brisanz in den Worten des Freundes zu begreifen. Wenn er auf seiner Meinung beharrte, dann konnte es sein, dass sich der Begriff des Blutackers ausbreitete, und das wäre schlecht, sehr, sehr schlecht. Landvolk hing alten Traditionen und altem Aberglauben nach und die Ernte eines Blutackers war keine Ware, die sich gut verkaufen ließ.
Der Älteste nickte zögernd. „Du hast recht, alter Freund. Es war das Wasser. Die Arbeit unserer fleißigen Hände und der findige Geist meiner Person, wie ich anzumerken wage, der das Wasser in die richtigen Bahnen lenken ließ.“
„Wohl wahr, dein Verdienst sei unbestritten“, meinte der Heiler. „Nun, ich denke, du hast alles gesehen, um den Ertrag der Ernte beurteilen zu können. Wenn du keine Einwände hast, sollten wir nun endlich wieder in den Schatten zurückkehren und einen Schluck kühlen Gerstensaftes zu uns nehmen. Es mag ja sein, dass die Pflanzen gut bewässert werden und nicht unter Hitze und Dürre leiden, doch das gilt nicht für meine Kehle.“
Der Älteste blinzelte. „Jetzt, da du es erwähnst, verspüre ich auch das leichte Kratzen der Trockenheit in meiner Kehle. Gut denn, lass uns ins Dorf gehen.“
Heiler Larmuth war sichtlich erleichtert. Gemeinsam gingen sie denselben Weg zurück, den sie zuvor genommen hatten, damit nicht mehr Getreidehalme beschädigt wurden, als unbedingt erforderlich war. Immer wieder blieb der Älteste stehen und betastete einzelne Pflanzen, wobei er an Kommentaren seiner Zufriedenheit nicht sparte. Früher war Jedener ein bescheidener und eher schweigsamer Mann gewesen, doch seit er die Ernte nicht einbrachte, sondern sie verkaufte, hatte er einen Hang zur Geschwätzigkeit entwickelt.
Auf dem Weg kam ihnen Bolkar entgegen, der für dieses Feld verantwortlich war.
„Gute Pflanzen und eine gute Ernte, Bolkar“, grüßte Jedener. „Wir können alle sehr zufrieden sein.“
Der Bauer blieb stehen und stützte sich auf die Hacke, die er mit sich führte. „Die Bewässerung hat sich bewährt, Ältester. Die Pflanzen sind in voller Kraft.“
„Die Bewässerung, ja“, meinte Jedener. „Gerade so, wie ich es unserem guten Larmuth soeben schon erklärt habe.“
Der Heiler räusperte sich, verzichtete aber auf einen Kommentar.
„Wir haben die Wühlnager im Feld“, meinte Bolkar seufzend. „Eine verdammte Menge von ihnen.“
„Ach, keine Sorge, wir haben reichlich Getreide. Davon werden alle satt“, beruhigte der Älteste. „Den größten Teil werden wir wohl wieder an die Garnison von Nerianet verkaufen können.“
„Ich weiß nicht, ob mir das so richtig gefällt“, gestand der Bauer. „Seit wir so viele goldene Schüsselchen verdienen, wird meine gute Frau immer anspruchsvoller. Nach jeder Ernte erwartet sie, dass ich ihr neue Stoffe oder unnützes Zeug aus der Stadt besorgen lasse. Früher genügten ihr zwei Kleider zum Wechseln, heute will sie gar deren drei.“
„Nun, es geht Denderon gut und ein jeder von uns kann sich inzwischen mehr leisten“, sagte Larmuth mit versöhnlicher Stimme. „Auch du hast deinen Vorteil. Denk an die schönen Teller und das Besteck, welches wir aus Khalaneris einhandeln.“
„Ein Napf und ein Löffel reichen mir“, brummte Bolkar pragmatisch. „Holz findet sich überall und wir können es selbst bearbeiten.“ Er wies über das Feld. „Wir werden eine verdammt gute Ernte haben.“
Heiler Larmuth konnte es bald nicht mehr hören. „Der gute Herr Jedener erwähnte dies schon mehrfach.“
Bolkar nickte und schnäuzte sich in seinen Ärmel. „Nun, ich meine damit, dass wir weit mehr Halme einzubringen haben als früher üblich.“
„Es mehrt unseren Wohlstand“, stimmte Jedener freudig zu.
„Aber nicht die Zahl der Hände, die es einbringen“, erwiderte der Bauer. „Kornspeicher haben wir genug, bis die Handelswagen eintreffen, aber wir könnten noch ein paar Hände brauchen, die bei der Ernte zupacken.“
Der Heiler stieß seinen Freund an. „Da hat er recht. Vielleicht könntest du in Hemjalis nachfragen, ob sie uns ein paar Helfer schicken?“
Hemjalis war das nächste Dorf. Es lag gut zwanzig Tausendlängen weiter nördlich, und dichter am Spaltpass. Zwischen beiden Dörfern bestand eine gute Nachbarschaft und man hatte sich schon gelegentlich gegenseitig geholfen, wenn größere Arbeiten anstanden.
Jedener strich sich über das Kinn. „Die werden eine ebenso gute Ernte und selbst alle Hände voll zu tun haben. Bei der Gelegenheit fällt mir ein, dass wir schon lange keine Neuigkeiten mehr aus Hemjalis gehört haben.“
„Wie du schon sagtest, die werden selbst genug Arbeit haben“, sagte Larmuth, der immer stärkeren Durst empfand. „In der Zeit der Ernte hat man Besseres zu tun, als für ein wenig Tratsch durch die Gegend zu reisen.“
Jedener nickte. „Du hast sicherlich recht, alter Freund. Nun, ich denke, wenn die Ernte eingebracht und verkauft ist, wird sich die Gelegenheit finden, unsere Freunde einmal zu besuchen.“
„Und die Wühlnager?“, meldete sich Bolkar erneut zu Wort. „Was ist mit den Wühlnagern?“
„Lass sie wühlen und nagen“, entschied Jedener in bester Laune. „In diesem Jahr ist genug für alle da. Eine gute Ernte, Freunde, eine wahrhaftig gute Ernte.“
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