Entgegen jeder Erwartung, auf die Adam zu hoffen gewagt hatte, hörte Carlo auf ihn. Mit eisernem Willen, dem Willen, dem Grauen und der Lebensgefahr zu trotzen, bezwang Carlo das flatternde Zittern seiner Hände und Arme. In einem großen, langsam durchlaufenen Bogen, führte er das Handy wieder zurück in die Tasche seines Sweatshirts. Und dann begann auch er mit dem beschwichtigenden Winken mit beiden Händen. Auch wenn er nicht die einleitende Bewegung im großen Bogen machte, übernahm er doch die beruhigende, beschwichtigende Geste der sich auf und ab bewegenden Handflächen. Die Schrate sahen es, ruckten ihre Köpfe in einer überrascht wirkenden Bewegung in Richtung Carlo und stellten ihre Bewegung sofort ein. Carlo und Adam erschraken, hielten ebenfalls mitten in der Bewegung inne.
„Was? Was ist jetzt? Was wollen die?“ flüsterte Carlo.
„Ich weiß es nicht. Ich weiß es doch nicht.“
Aber ihm war klar, ohne dass er einen Grund dafür hätte angeben können, dass die größte Gefahr vorüber war. Die Schrate hatten sich wieder aufgerichtet, standen in entspannter Haltung vor ihnen, das Gewicht vom Spiel- aufs Standbein abwechselnd. Für eine ganz lange Weile standen sie da, ganz ruhig, die langen Arme hingen an ihren Seiten hinunter. Dann atmete der Anführer sichtbar durch zum Zeichen, dass er nun mit Adam und Carlo kommunizieren wollte. Langsam hob er den rechten Arm, einen Finger ausgestreckt, auf Carlo deutend. Vor und zurück bewegte er die Hand mit dem ausgestreckten Finger, jetzt eindeutig auf Carlo zeigend. Dann beugte der den Arm, ballte die Hand zur nach oben gestreckten Faust und bewegte den Ellbogen in Richtung Erde, wiederholte das zweimal. Dann begann er die Sequenz von neuem, zeigte auf Carlo, beugte den Arm und ballte die Faust, bewegte den Ellbogen dreimal in Richtung Erde. Fünfmal wiederholte er diese Abfolge. Dann ließ er den Arm wieder sinken und an seiner Seite hängen.
„Es ist alles in Ordnung“ redete Adam beschwörend auf Carlo ein. „Sie lassen uns gehen. Aber du darfst nicht alleine wiederkommen. Du darfst nicht alleine in ihren Wald kommen.“
„Keine Sorge, das geht von mir aus völlig klar.“ Carlo konnte sich den Ansatz eines heiseren Lachers abringen.
Jetzt begann der Anführer der Schrate wieder in seiner Gestik. Zunächst hob er wieder nur den rechten Arm mit ausgestrecktem Finger, dieses Mal deutete er mit kräftigem Stochern auf Adam. Dann bewegte er beide Arme zugleich und als er beide Arme in simultaner Bewegung in weitem Bogen von sich weg führte, wusste Adam bereits, was jetzt kommen würde: Weit schwenkte der Schrat die Hände von sich und vollendete den Bogen dann, indem er die Hände wieder an seinen Körper führte. Auch diese Sequenz aus dem Deuten und dem kreisenden Heranführen beider Hände zugleich wiederholte er fünfmal.
„Ich... ich soll wieder kommen.“
„Was?“
„Sie lassen uns gehen, aber ich soll wieder zu ihnen kommen. Ich muss wieder zu ihnen kommen.“
„Lass uns jetzt abhauen, ja? Komm lass uns gehen, Adam, schnell!“
„Warte!“ herrschte Adam ihn an. „Warte! Rühr dich nicht vom Fleck. Sie gehen zuerst. Dann können wir gehen. Aber beweg dich jetzt bloß nicht.“ Er war nun gar nicht mehr erstaunt, dass Carlo ohne Widerspruch gehorchte.
Eine letzte Gestik führte der Anführer der Schrate jetzt aus. Beide Hände hielte er geöffnet vor sich, um sie dann ruckartige nach vorne und auseinander zu bewegen, als wolle er etwas von sich wegschubsen. Ohne zu zögern oder sich zu bedenken, wiederholte Adam die Geste, die dann auch die drei weiteren Schrate übernahmen.
„Was ist denn jetzt?“ fragte Carlo, ohne den Blick von den Schraten zu lösen.
„Sie verabschieden sich. Gleich gehen sie, dann können wir auch gehen.“
„Schnell, mach schnell, verabschiede sie, und dann lass uns abhauen.“
„Ich kann sie nicht drängen. Beruhige dich, sie sind gleich weg.“
Es war auch gar nicht nötig, die Schrate zu drängen. Sie brachen die Verabschiedungsgeste so abrupt ab, wie sie sie aufgenommen hatten, dann verschwanden sie mit großen Sätzen im Blattwerk der Farne. Wie dicht die Farne hier doch standen! Undurchdringlich Blattwedel in Blattwedel verschränkend und übermannshoch. Es war Adam nur deshalb nicht aufgefallen, weil er so sehr mit Carlo ins Gespräch vertieft gewesen war. Zuerst sprangen die drei weiter hinten stehenden Schrate in die Farne und waren verschwunden, schließlich wandte sich ihr Anführer um und machte aus dem Stand einen großen Satz. Sie waren wieder alleine.
„Lass uns jetzt gehen“ sagte Adam ganz ruhig. „Es ist vielleicht sogar kürzer, wenn wir von hier aus den Weg weitergehen, aber wenn wir umkehren, kennen wir den Weg wenigstens. Ich finde, dafür können wir eine kleine Verlängerung riskieren. Einverstanden?“
„Ja. Ja, ja, lass uns abhauen.“
Sie gingen den Weg zurück, Carlo wollte loslaufen.
„Nein!“ herrschte Adam ihn schon wieder an. „Nein! Nicht laufen. Geh zügig, aber laufe nicht. Und dreh dich nicht um. Sie sind noch ganz nah und können uns sehen. Aber sie werden sich nicht wieder zeigen und uns auch ganz bestimmt nichts tun. Beruhige dich.“
Wieder gab Carlo nicht das kleinste Widerwort. Verbissen schweigend marschierten sie so schnell es der gehende Schritt erlaubte zum Auto zurück. Durch die Farnfelder, die sie schließlich hinter sich ließen, und durch den dann wieder dichter werdenden Wald. Da! War dieses Gurren nicht ein Geräusch, wie es der Anführer der Schrate gemacht hatte? Adam zwang sich, nur auf den Weg zu blicken. Eine letzte Biegung, da stand das Auto. Carlo hielt es nicht länger, er stürzte zum Auto, rief „Mach auf! Mach auf!“ Adam holte den Funkschlüssel hervor und schloss den Wagen auf. Aber Carlo stieg doch nicht ein, vor dem Auto ging er in die Knie, klammerte sich an der Oberkante der Motorhaube fest und übergab sich mit heftigem Würgen. Adam ging einfach an ihm vorbei und setzte sich auf den Fahrersitz, blickte nach unten. Sie hatten ihm gesagt, dass er wiederkommen musste. Und hatten sich verabschiedet wie von einem, den sie bald wiedersehen würde.
Carlo rappelte sich vor dem Auto wieder auf, taumelte zur Beifahrertür, krabbelte ins Auto. „Fahr los“ stöhnte er und keuchte wie ein sterbendes Tier. Adam wendete und fuhr zur Straße und in die Stadt zurück.
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