Nebenbei bemerkt erweist sich Angela Merkel damit auch als eine sehr menschliche, sehr realistische Herrscherin. Sie verspricht nicht das Blaue vom Himmel, das ganz-ganz Andere, so wie einst Barack Obama. »Change has come to America!«, rief Obama bei seinem Regierungsantritt. Was sollte passieren? Fliegt Wyoming raus? Wird Montana neu gestrichen, Texas tapeziert? Soll Danny deVito höher oder der Mount Rushmore tiefer gelegt werden?
Am Tag von Obamas Vereidigung reiste ich die US-amerikanische Ostküste entlang. Alles schien möglich. Viele Amerikaner verspürten eine ungekannte Leichtigkeit, kündigten ihr Weight-Watchers-Abo, jeder Zweite zwischen Washington und Boston glaubte, Obama werde morgen mit zwei Gesetzestafeln vom Gipfel der Rocky Mountains herabsteigen oder doch wenigstens Wasser in Krankenversicherungen verwandeln. War er nicht der Präsident, der die Kraft hatte, eine Buslandung Taliban zum Absingen der amerikanischen Nationalhymne zu bewegen?
Visionäre Höhenflüge dieser Art lassen mich dankbar an einen handfesten norddeutschen Bauern denken. Als er zu Wahlkampfzeiten in seinem Heimatdorf einem Plakat mit dem Slogan »Angela Merkel, gut für unser Land!« begegnete, plädierte er für einen empirischen Test und erbot sich, Teile der Kanzlerin auf seinem Rübenacker auszubringen. Gelobt sei der Bauer! (Belobigung folgt.)
Der Landmann ist mir auch aus einem ganz anderen Grund präsent. Als er Merkels Bodenwirkung prüfen wollte, scharrte er missmutig mit dem Fuß über die völlig ausgedörrte Scholle, es staubte nicht schlecht nach vierzig Tagen Trockenheit. Zwei Tage später überquerte er seinen Rübenacker im Ruderboot, die Schleusen des Himmels hatten sich geöffnet, 30 Liter Regen auf den Quadratmeter pro Stunde, nachfolgend Frost, dann wieder Sommersonnenschein, der Mann verstand die Welt nicht mehr.
»Dies Schietwetter bringt uns noch alle um!«, fauchte er und warf dem Klima vor, es hätte wohl in Bremen Abitur gemacht, so blöd wie es da jetzt wäre. Finnische Klimaforscher kamen quasi zeitgleich zu einem ganz ähnlichen Ergebnis: Bestimmte Wetterzonen kennen keinen der fünf Eisheiligen mehr, können Grönland von Hawaii nicht unterscheiden, Sonne, Regen, Eis und Hitze werden wahllos wechselnd angeliefert, frappanter Weise manchmal eben auch nicht. Der Winter 12/13 z.B. wollte gar kein Ende nehmen, Tiefsttemperaturen am Stück bis Ende März, die Menschen liefen dick vermummt herum, zum Teil sogar im Haus, manch einer wusste am Ende kaum noch, mit wem er da eigentlich zusammenlebte. Ein sauerländischer Landrat berichtete mir von einem polizeilich verhafteten Wildschwein. Das Tier war in Skianzug und Mütze in ein Forsthaus marschiert und hatte mehrere Abende mit dem ahnungslosen Förster vor dem Kamin verbracht.
Sicher, der Klimawandel geht auf unsere Kappe. Winzige Schadstoffe heften sich an Luft und Feuchtigkeit, machen Umwelt und Eisbären das Leben schwer. Und dem Bundesumweltminister im April 2013 auch. Könne man nicht, stöhnte Peter Altmaier, kaum hatte er an »Müllers Beratungstag« in meinem Sprechzimmer Platz genommen – draußen fiel Hagel, die Sonne schien! –, ja also könne man nicht die Industrie und alle Autos verpflichten, große, gut sichtbare Schadstoffe in die Welt zu blasen? Ich blickte skeptisch in Altmaiers gramverzerrtes Gesicht.
»Am besten fußballdicke Klumpen, die man per Hand vom Klima wieder abmachen kann«, fuhr er fort. Hm. Er grübelte tatsächlich.
Tief durchatmend ließ ich ein beruhigendes »Aber Peter …« hören, fast wäre ich dem Minister mit der Hand über den kahlen Kopf gefahren, die Wetterkapriolen setzten dem hartgesottenen Berufspolitiker sichtlich zu. Doch schnelle Lösungen – auch Altmaier weiß das heute – gibt es nicht, zu widerspenstig sind Wetter und Klima, zu komplex vor allem. Sonne, Regen, Schleierwolken, Dunst, Sauwetter, Eisregen, Nebelsuppe, Hurrikan, Lauluft, Frost, Fön, Herbststurm, Hundstage, Niesel, Griesel, Schiesel – wozu das alles? Dieser Aufwand? Und dann noch der in diese ganze Unübersichtlichkeit hineinfahrende Schornstein- und Auspuffdreck, die politische Dimension nicht zu vergessen!
Hat 1992 Klaus Töpfer in seiner Funktion als Umweltminister zur Aufbesserung der deutschen Staatsfinanzen sieben erstklassige Schlechtwetterfronten an den dürstenden Wüstenstaat Oman verkauft? Zum Schleuderpreis? Ja. Um zugleich aus Gran Canaria überteuerte Hochdruckzonen importieren und dann die per Schiff angelandeten Schäfchenwolken und Südwinde unsachgemäß montieren zu lassen, zu einem fulminanten Herbst nämlich mitten im Mai. Das war schlimm. Fast noch schlimmer die globale Lage: Der Chinese baut deutsches Wetter nach, kopiert es. In Shanghai fiel neulich ein Regen, den selbst ZDF-Meteorologin Inge Niedeck vom letzten Schauer in Dortmund-Aplerbeck nicht mehr unterscheiden konnte. Kriminell, ja, aber auch irgendwo bewundernswert. Obwohl ich nicht glaube, dass die asiatischen Brüder heute schon einen Gelsenkirchener Nachtfrost naturgetreu packen. Oder den ozonlochfreien Deutschlandsommer ’58 mit viel Sonne, Musik und Peter Kraus in kurzen Hosen. Was dann wiederum schön wäre.
Dass die Klimadefekte die Menschen verwirren, geht auch aus dem Schreiben eines anonym bleiben wollenden Familienvaters hervor, in dem er davon berichtet, wie er und die Seinen sich für den Winter präparieren.
Seit zwei Wochen schon bereiten wir uns auf einen knallharten Winter vor. Ein paar Nachbarn meinten, das wäre übertrieben. Wir sind da anderer Meinung. Wenn man frühzeitig die Körpertemperatur auf 4 Grad runterfährt und den Garten weiß anstreicht, kommt ja nicht nur Vorfreude auf, nein, die ganze Familie ist dann auf kommende echte Schneegestöber viel besser eingestellt.
Unsere Maßnahmen sind professionell. Der Kalender wird bis Januar vorgespult und das Thermometer so tief gehängt, dass der Ofen einfriert. Allerdings wissen wir nie, ob wir uns als Eisbär oder Pinguin verkleiden sollen. Eisbär ist einfacher, aber jeden Mittag am Loch im Wohnzimmerboden warten, bis eine Robbe auftaucht, nervt gewaltig. Gegen Pinguin spricht, dass Opa keine Lust hat, wochenlang mit einem Ei auf den Füßen durchs Haus zu schlurfen.
Der Tagesablauf ist genau geplant. Früh um sechs: Mutter brummt mit dem Schneepflug durch alle Korridore, anschließend werden die Kinder freigeschaufelt, der große Schanzentisch festlich eingedeckt, und wenn dann Großmama mit einem Satz frischer Winterreifen in die Küche rollt, ist das Hallo natürlich riesig. Sobald die Kleinen ihr Schälchen Hagelkörner mit Pulverschnee verputzt haben, geht’s für sie durch den Eiskanal runter auf die Straße und dann ab zur Schule.
Es funktioniert alles prima, ja wir sind richtig glücklich, und speziell nachts, wenn der Deckel der Tiefkühltruhe über uns zuklappt, ist sich die ganze Familie sicher: Wir packen den Winter. Aber eiskalt!
Family Life
Ein schönes Beispiel für einen geradezu beglückenden Familiensinn, der heute alles andere als selbstverständlich ist. Über Jahre habe ich Untersuchungen durchgeführt, die belegen, dass immer weniger Bundesbürger wissen, was eine Familie überhaupt ist, wie sie funktioniert, wie man sie bedient und wartet. Selbst altgediente Hasen sind oft ratlos, stellen immer wieder dieselben Fragen: Wo kann ich Familienmitglieder umtauschen, gibt es eine lebenslange Garantie auf alle Teile, und wie lasse ich missratene Familientage annullieren? Und – was genau ist eigentlich eine Familie? Für den einen ist es der Anblick kleiner blockflötender Anzugträger am Weihnachtsbaum, der andere sieht vor seinem inneren Auge zackige Morgenappelle mit schnellem Aufstellen in einer Reihe bei allseits großer Freude, wenn nach dem Durchzählen Vater mit dem Stemmeisen kommt und den Familienzusammenhalt prüft.
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