7. März abends.
Bei unserer um 4 Uhr nachmittags erfolgten Ankunft fanden wir schon unsere von Japan gekommene Fregatte „Elisabeth“ hier vor. Der Commandant dieses Schiffes wird den Oberbefehl über ein hier zusammentretendes deutsches Geschwader, zu welchem auch wir gehören, übernehmen, um von dem Freistaat Nicaragua eine Genugthuung für die dem deutschen Consul in der Stadt Leon vor einiger Zeit zugefügte Gewaltthat zu erzwingen, da Nicaragua die Gewährung der von unserer Regierung geforderten Genugthuung verweigert hat. Außer „Elisabeth“ und uns wird noch die „Leipzig“ hier erwartet, während unsere Corvetten „Freya“ und „Medusa“, von denen die letztere auch schon in Colon anwesend ist, von der atlantischen Seite aus gegen Nicaragua operiren sollen. Da nun der Zweck unsers Hierseins schon am Lande bekannt ist oder doch soweit vermuthet wird, daß unserm Geschwaderchef bereits die Warnung vor einigen Abenteurern, welche im Auftrage Nicaraguas unsere Schiffe hier mit Torpedos angreifen sollen, zugehen konnte, so ist die Geheimhaltung unserer eigentlichen Mission nicht mehr geboten, zumal wir uns jetzt schon zur Abwehr eines etwaigen feindlichen Handstreichs in Kriegszustand befinden.
12. März.
Das Geschwader ist nach erfolgter Ankunft der „Leipzig“ beisammen. Kohlen und Proviant sind eingenommen, ein Dampfer mit Kohlen und Proviantvorräthen ist gemiethet und alle militärischen Vorbereitungen sind beendet, sodaß wir gleich nach Ankunft unsers Ministerresidenten aus Guatemala, welcher von dort aus noch den letzten Versuch macht, die Streitfrage auf diplomatischem Wege zu lösen, vorgehen können.
Unter den obwaltenden Umständen haben wir von dem hiesigen Aufenthalt wenig oder nichts gehabt, aber auch nichts verloren. Bei einem Gang durch die Stadt sieht man wol alles, was zu sehen ist. Die Stadt, welche zur Zeit der spanischen Herrschaft blühend, mächtig und reich war, wie noch die imposanten Straßen mit den übriggebliebenen palastartigen Gebäuden zeigen, glänzt jetzt nur noch durch großartige Ruinen. Die einheimische Bevölkerung besteht aus alten spanischen Familien, Mischlingen und Negern; dazu kommen die wenigen Fremden, von welchen die Engländer (die Besitzer der großartigen Kohlenlager, die Directoren der Eisenbahn und Agenten der Dampfschifflinien) wol die erste Stelle einnehmen. Unser Consul und der Photograph, ein früherer bairischer Unteroffizier, sind die einzigen Deutschen; das Gasthaus ist in französischen Händen.
Sollte Nicaragua nicht doch noch im letzten Augenblicke nachgeben, dann sehe ich übrigens mit einiger Sorge der Entwickelung der Dinge entgegen, weil es mir sehr fraglich erscheint, ob unsere Leute wegen ihrer ungeeigneten Fußbekleidung im Stande sein werden, den weiten Marsch nach der Hauptstadt von Nicaragua zu machen, wenn sie nicht etwa schließlich den Weg barfüßig zurücklegen können. Die uns zugegangenen Warnungen vor Giftschlangen und Sandflöhen und die damit verbundenen Rathschläge haben zur Folge gehabt, daß für den Marsch das Tragen hoher Stiefeln angeordnet wurde. Da nun aber unsere Leute gewohnt sind, auf dem Schiff barfuß zu gehen, und die Stiefel, wie alles Lederzeug auf den Schiffen, so von Salzwasser durchzogen sind, daß sie trotz aller Bemühungen hart bleiben, so ist ein weiter Marsch in ihnen, und zwar in diesem Klima, meiner Ansicht nach ein Ding der Unmöglichkeit. Mein Vorschlag, Segeltuchschuhe zu beschaffen oder doch wenigstens die leichten Lederschuhe zu wählen, ist zurückgewiesen worden, und so müssen die Leute, um sich an die Stiefel zu gewöhnen, dieselben jetzt schon über eingefetteten Füßen und wollenen Strümpfen tragen. Ein gegen die Natur laufender ärztlicher Rath ist aber auch nicht immer der beste, und das vorläufige Resultat ist, daß nach dreitägiger Probe nahezu ein Viertel des ganzen Landungscorps mit kranken Füßen im Lazareth liegt. Ich sollte meinen, daß man von den hiesigen einheimischen Truppen auch etwas lernen kann, und da diese Leute, bei möglichst leichter Bekleidung, nur Sandalen unter den Füßen tragen, so kann die Gefahr vor den Schlangen und Flöhen keine so große sein, zumal wenn eine Truppe von nahezu 1000 Mann zusammen ist. Schließlich würden aber auch Segeltuchgamaschen die Flöhe abhalten, und die Schlangen werden schwerlich ein so großes Lager, wie wir es während der Nacht bilden würden, aufsuchen.
16. März.
Vorgestern haben wir mit dem Geschwader Panama verlassen und dampfen seitdem mit Nordcurs in Sicht des Landes an der Küste von Centralamerika entlang. Gestern haben wir die Grenze zwischen Columbien und Costa-Rica passirt, morgen werden wir die Küste von Nicaragua sehen.
Welch märchenhafte Erinnerungen aus der Jugend tauchen bei diesen Namen auf und wie prosaisch ist doch die Gegenwart! Großartig zwar ist die Umgebung, die von der hoch oben im Zenith stehenden Sonne beschienene weite Meeresfläche und das mit unendlichen Wäldern dicht bedeckte hohe gebirgige Land; aber Land und Wasser sind ohne Leben und ohne besondern Reiz. 32° haben wir in der Luft und 31° im Wasser; keine Stadt, kein Dorf, keine Hütte ist zu sehen, nur Wald, Strand und Brandung. Kein fremdes Schiff ist in Sicht — die diese Länder begrenzenden Fluten werden nur von den drei mächtigen deutschen Kriegsmaschinen durchfurcht, welche in eiligem Laufe dem Haupthafen Nicaraguas zustreben, um dieses Land mit Schrecken zu überziehen. Uebermorgen, Montag den 18., sollen wir auf der Rhede von Realejo eintreffen, die nächsten vier Tage werden also die Entwickelung bringen.
8. April.
Nicaragua hat nachgegeben, das Geschwader ist aufgelöst und unsere Schiffe haben ihren Curs nach den verschiedensten Himmelsrichtungen gesetzt. Von den im Atlantischen Ocean befindlichen bleibt „Medusa“ noch in Westindien, während „Freya“ um das Cap der Guten Hoffnung nach China geht; wir sind auf dem Wege nach Panama, um die Geschwaderpost dort abzugeben und dann nach den Samoa-Inseln zu gehen. Die „Leipzig“ hat die Reise nach Japan angetreten, und die „Elisabeth“ wird nach einem kurzen Aufenthalt in Guatemala, wohin sie den Ministerresidenten bringt, nach Europa zurückkehren.
Am 18. März vormittags kam das Geschwader auf der Rhede von Realejo an und lief, nachdem die Einfahrt zum Hafen von Corinto und der Hafen selbst daraufhin untersucht waren, daß sich keine künstlichen unterseeischen Hindernisse und Minen dort befanden, am 19. vormittags in den Hafen ein. Derselbe ist groß und gut, während der Ort nur unbedeutend ist und eigentlich nur eine Zollstation darstellt. Zwei deutsche Kauffahrer befanden sich dort, welche edle Nutzhölzer, vorläufig noch der Hauptausfuhrartikel, luden.
Es wurden der Regierung von Nicaragua sogleich noch einmal, und zwar jetzt mit dem Nachdruck von fünf Kriegsschiffen, die deutschen Forderungen zugestellt, welche in Folgendem bestanden:
1. Die Regierung von Nicaragua spricht ihr Bedauern über den Vorfall aus;
2. Nicaragua zahlt an den Consul für die ihm widerfahrenen Unbilden ein Sühnegeld von 30000 Dollars;
3. Nicaragua salutirt in noch näher festzusetzender Form die deutsche Flagge;
4. die an dem Vorfall schuldigen Beamten und Civilpersonen werden bestraft.
Wenn bisher der Freistaat die deutschen Forderungen in der überhebendsten Weise zurückgewiesen hatte und die uns anfänglich zugehenden Nachrichten auch anzudeuten schienen, daß Regierung und Volk entschlossen seien, es zum Kampf kommen zu lassen, weil sie vertrauensvoll auf leichten Sieg hofften, so änderte sich die Lage doch sehr bald. Nachdem nach drei Tagen keine Antwort eingegangen war, überbrachte ein Offizier von uns das deutsche Ultimatum nach Leon und alle Vorbereitungen für die Eröffnung der Feindseligkeiten wurden getroffen. Hierzu gehörte auch die Recognoscirung des in Aussicht genommenen Marschweges, welche der Geschwaderchef mit uns Commandanten vornahm. Wir fuhren morgens, von einer Dampfpinasse geschleppt, zunächst einen Fluß hinauf, bis wir ziemlich weit oben mitten im Urwald an die Landestelle kamen, wo der Weg seinen Anfang nimmt. Anfänglich ist der Fluß, oder hier wol richtiger Meeresarm genannt, ziemlich breit, an beiden Ufern mit dichtem Mangrovegebüsch bestanden, über welches die mächtigen Laubkronen der Baumriesen des Urwaldes hervorragen. Taucher und Möven beleben das Wasser, Scharen krächzender Papagaien, von denen ab und zu ein Geschwader mit lautem Geschrei über unsern Köpfen von Ufer zu Ufer fliegt, den Wald. Zwischen den Wurzeln der Mangroven nach Würmern suchende Schnepfen und in kleinen Einbuchtungen fischende Reiher, sowie andere uns unbekannte hochbeinige große weiße Vögel werden aufgescheucht und suchen fliegend das Weite. Ein üppiges, echt tropisches Bild umgibt uns. Der Fluß wird enger, niedrige Sträucher, Wasser- und Schlingpflanzen treten an Stelle der Mangroven und zeigen an, daß wir die Scheide, bis zu welcher das Seewasser vordringt, überschritten haben. Die Laubkronen rücken zusammen und bilden schließlich einen hohen, prächtigen, grünen Dom, unter dessen Decke wir hinfahren, begleitet von dem Leben des Waldes, zu welchem sich hier ab und zu auch schon ein kleiner vorwitziger Affe gesellt.
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