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Uebersichtskarte der Magelhaens-Straße.
Ich enthalte mich einer nähern Beschreibung der Mühen mit welchen die Herbeischaffung der Boote bei dem schlechten Wetter verknüpft war; der Umstand, daß die Jolle erst um 3 Uhr und die Dampfpinasse erst abends um 6 Uhr im Schlepptau eines Kutters zum Schiff zurückkehrte, sagt wol genug. Boote und Leute habe ich also gottlob! unversehrt wieder, nach dem in Aussicht genommenen Hafen kann ich aber wegen der vorgerückten Tageszeit nicht mehr kommen. Vielleicht ist es möglich, vor vollständiger Dunkelheit noch einen näher gelegenen Ankerplatz (Connor-Cove) zu erreichen. Also vorwärts mit dem Schiffe!
Bei Dämmerung wird noch die Stelle festgestellt, wo der Eingang zu dem kleinen Hafen liegen muß, und mit Volldampf geht es darauf los. In dunkler Nacht stehen wir vor einer hohen Wand, weder ein Eingang ist zu sehen, noch die am Eingang liegende, noch die in dem Hafen liegende kleine Insel. Soll ich umdrehen? Eine im Fahrwasser verborgene blinde Klippe macht den Aufenthalt dort bei Nacht gefährlich; noch ein Blick auf die dunkle Wand läßt eine leichte Senkung in den obern Contouren erkennen, darunter wird der Eingang wol liegen. Der Navigationsoffizier sitzt auf dem Bugspriet, um zu melden, wenn dieses die vor uns liegende Felsenwand berühren will. Das Schiff geht langsam vorwärts, immer dunkler wird es, das Vordertheil des Schiffes scheint sich schon in die Felsenwand einzubohren, zu beiden Seiten haben wir schon feste schwarze Massen: da meldet der Navigationsoffizier die kleine Insel am Eingang dicht voraus. Ich schaue mich um und sehe hinter uns in der Dunkelheit einen dunkler schattirten kleinen Fleck, welcher die Insel am Eingang, mithin die vorn gemeldete die im Hafen liegende sein muß. Ein Rundblick sagt mir, daß die Dunkelheit rund um uns her gleich tief ist, daß wir also nach allen Seiten hin annähernd gleich weit vom Lande abliegen — Fallen Anker! Der Navigationsoffizier mißt noch in einem Boote mit einer Leine die Entfernung nach vorn, hinten und beiden Seiten aus und bestätigt, daß das Schiff ohne Gefahr so liegen bleiben kann, da es sich ziemlich in der Mitte des Hafens befindet. — Die Seefahrt in der Magelhaens-Straße hat doch ihre ganz eigene Seite!
Stiller Ocean, 24. Januar.
Gestern morgens 5 Uhr verließen wir Connor-Cove wieder und ankerten nach drei Stunden im Inselhafen, um dort noch etwas Holz zu fällen und unsern Wasservorrath zu ergänzen. Heute nachmittags 3 Uhr war das Schiff nach Beendigung der Arbeiten wieder seeklar, verließ den letzten Hafen in der Magelhaens-Straße und steuerte abends 6 Uhr in den Stillen Ocean ein. Die große Wasserfläche vor mir berührt mich fremdartig, es ist mir als gewänne ich nach langer Einschließung die Freiheit wieder. Vor uns und zu beiden Seiten freies Wasser, keine Aufregung, keine besondere Anstrengung mehr, und hinter uns verschwindet in der hereinbrechenden Nacht allmählich das mächtige Felsenthor, aus welchem wir vor wenig Stunden wieder in das freie Leben eintraten.
Ein steifer Südwind treibt uns unter Segel mit 12 Seemeilen Geschwindigkeit in der Stunde unserm nächsten Ziele entgegen; aber weder diese schöne Fahrt, noch die auf ihren riesigen Schwingen hinter uns herschwebenden Albatrosse haben mich an den Schreibtisch geführt, sondern ein eigenthümlicher Wahn, welchem ich Ausdruck geben muß. Die Fahrt durch die Magelhaens-Straße hat die fixe Idee in mir hinterlassen, daß wir uns nunmehr schon auf dem Heimwege befinden. Die acht Tage, welche ich in jenen Straßen zubrachte, fassen eine solche Fülle von Anstrengung und Aufregung in sich, haben den für Erinnerung bestimmten Theil des Gehirns mit so viel großartigen Naturschönheiten und interessanten kleinen Zufällen angefüllt, daß es sorgsam vertheilt für ein ganzes Jahr ausreichen würde. So nahe die Zeit noch liegt, so fern ist sie mir schon gerückt; sie erscheint mir wie ein langes Ringen, nach welchem die Ruhe folgen muß. Ich habe 11000 Seemeilen oder nahezu 3000 deutsche Meilen jetzt schon zurückgelegt, der Weg durch den Stillen Ocean über Australien, Indien, Suezkanal, durch das Mittelmeer, weist nur noch 18000 Seemeilen auf, auf meiner eigentlichen Station werde ich höchstens sechs Monate sein: so macht das vor mir Liegende auch fast nur den Eindruck einer ununterbrochenen Reise nach der Heimat zu.
Kapitel 2. – Von Valparaiso nach Panama und Nicaragua.
Stiller Ocean, 9. Februar 1878.
Seit heute Mittag liegt auch Valparaiso hinter uns und damit eine ununterbrochene Kette von Festlichkeiten und Vergnügungen, welche uns dort während unsers neuntägigen Aufenthalts geboten wurden. Am letzten Januar hatten wir vormittags im Hafen geankert. Schon mit Tagesanbruch war das hohe, die Bai von Valparaiso umrahmende Bergland zu sehen, welches allerdings im Vergleiche zu den im Hintergrunde liegenden Anden so ziemlich verschwindet, obgleich wir diese nicht einmal in ihrer ganzen Größe und Majestät zu Gesicht bekommen haben, da sowol auf dem 7000 m hohen Aconcagua wie den übrigen Bergriesen während der ganzen Dauer unsers Aufenthalts Wolken lagen, welche die Kuppen und Gipfel dieses mächtigen Gebirgszugs unsern Augen entzogen.
Valparaiso bedeutet bekanntlich „das paradiesische Thal“, eine Benennung, welche schwer zu verstehen ist, da die Stadt weder in einem Thale liegt, noch der kahle Bergrücken, auf welchem sie erbaut ist, den Vergleich mit einem Paradies beanspruchen kann. Allerdings soll in der Regenzeit das ganze Land um die Stadt herum, der ganze Berg bis zu seinem Kamm, von einer dichten Decke frischer saftiger Gräser, Moose und Kräuter überzogen sein, welche die Feuchtigkeit aus der Erde hervorzaubert; jetzt aber war alles kahl und dürr, da Wälder ganz fehlen. Deshalb verdankt der Name seinen Ursprung wahrscheinlich den verschiedenen in der nächsten Umgebung der Stadt gelegenen schönen und fruchtbaren Thälern, wenngleich auch sie eine so überschwengliche Bezeichnung kaum verdienen.
Die Stadt ist am Fuße eines 400 m hohen, steilen Gebirgszuges, welcher, wie schon angeführt, die Bai von Valparaiso umschließt, angelegt und zwar auf Hügelwellen, welche dicht nebeneinander und rechtwinkelig zum Ufer liegend nach oben zu allmählich mit der Hauptwand des Bergrückens verlaufen. Die Stadt kann, wenngleich sie unten am Strande einige schöne breite Straßen und einen großstädtischen Verkehr hat, doch nie den vollen Eindruck einer Großstadt machen, weil die dazu erforderlichen Gebäude fehlen. Denn Valparaiso steht auf einem so unsichern Boden, daß die Regierungsgebäude, Kirchen und Privatpaläste niedrig gehalten und, in der Regel nur aus einem Erdgeschoß bestehend, leicht gebaut sind, um den häufigen Erdbeben besser widerstehen zu können oder beim Einsturz möglichst wenig Schaden anzurichten. Einige stets vorhandene Häusertrümmer und klaffende Risse in einzelnen Straßen zeigen, daß eigentlich ununterbrochen solch kleinere Katastrophen eintreten. Die Menschen sind sich der sie stets bedrohenden Gefahr auch wohl bewußt, gehen allabendlich nur mit Sorge zu Bett, weil sie nicht wissen, was die Nacht ihnen bringen wird. Wie der Soldat sich im Felde, ehe er zur Ruhe geht, stets versichert, daß seine Waffe in Ordnung und ihm zur Hand ist, so geht in Valparaiso niemand zu Bett, ohne sich vorher sein eigens für den Zweck angefertigtes Erdbebengewand, in welches er nur hineinzuschlüpfen braucht, an seinem Lager zurechtgelegt zu haben, um bei dem ersten Alarm gleich auf den vor dem Schlafzimmer liegenden freien Hof eilen zu können. Diese Umstände machen die Wohnungsverhältnisse trotz der leichten Bauart der Häuser äußerst kostspielig, weil die vielen reichen Leute sich in der Zahl ihrer Wohnräume nicht beschränken wollen und daher sehr viel Baugrund für ihre Häuser beanspruchen. Oft ist ein solches Wohnhaus ein kleines Stadtviertel für sich, und selten liegen mehr als vier Häuser, je von einer Familie bewohnt, in einem von vier Straßen begrenzten Viertel.
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