„Was bist du nur für ein seltsames Kerlchen?“, gab der alte Soldat versöhnlicher zurück. Er hatte eingesehen, dass es nur weitergehen würde, wenn sie sich einigten, auf welche Art auch immer. „Ich habe das Spiel, es ist für mich genauso neu wie für dich, noch nie auf meine eigene Weise gespielt“, fuhr Josef fort. „Schon gar nicht mit einem wie dir im Kopf. Na dann, lass uns mal überlegen, wie wir trotzdem ans Ziel kommen. Irgendwann muss Schluss sein. Die da oben haben nicht ewig Zeit. Mit ihrer Geduld ist es auch nicht weit her.“
„Gut, du alter Starrkopf“, gaben Grannas Gedanken nach. „Ich mache mit, doch lass es mich erst einmal auf meine Art versuchen. Wenn das nicht klappt, kannst du, in Dreiteufelsnamen, wieder übernehmen.“
„Meinetwegen“, grummelte der alte Soldat. „Ich werde mich zurückhalten, dich machen lassen, solange ich kann. Wir werden jetzt gemeinsam aufstehen. Dann wirst du für die nächste Zeit nichts mehr von mir hören. Auf drei geht´s los. Glaub mir, Willem, die da oben helfen uns. Sie haben ein starkes Interesse, dass wir das Stück zu seinem guten Ende führen. Du wirst schon sehen. Meistens mischen sie sich nicht ein, vertrauen auf uns alte Hasen, doch wird es kritisch, greifen sie scharf durch und ziehen kräftig an den Fäden. Behalte das, bei allem was du tust, fest in deinem Hinterkopf.
Genug geredet, du bist dran, beweise, was wirklich in dir steckt.“ Endlich war Ruhe in Willem Grannas Gedanken.
Er hatte sich mithilfe Josefs und der da oben mühsam aufgerichtet und machte die ersten vorsichtigen Schritte hin zur hochgezogenen Brücke. An seinem Ufer des dunklen Burggrabens blieb er stehen, sammelte sich, und als der Plan fertig war, rief er verhalten hoch zu den mächtigen Zinnen, er wollte nicht, dass sich der junge Wachsoldat erschreckte. „Kamerad! Zeig dich mir! Ich weiß, dass du da bist! Wir sollten miteinander reden, wer redet, kämpft nicht. Also besinn dich!“ Einige lange Minuten wartete Willem Granna vergebens. Doch dann zeigte sich der junge Soldat. Wegen des vielen Weines rief er mit zitternder Stimme. „Hier bin ich, Kamerad! Was hast du mir zu sagen?“ Stand auf dem Posten und war auf der Hut.
Granna redete behutsam auf ihn ein, seine seltsame Veränderung hatte er längst entdeckt. „Warum bist du, mein junger Freund, ohne Abschied davongeschlichen? Das war nicht fein von dir, als mein Gastfreund hast du Pflichten mir gegenüber.“
„Sei mir nicht böse, Kamerad“, verteidigte er sich halbherzig. „Du hast tief und fest geschlafen, dass ich es nicht übers Herz brachte, dich zu wecken. Ich hatte viel zu lange den Posten verlassen, musste mich sputen, um eher zurück zu sein, als die Herrin. Du verstehst mich, warst ja selbst Soldat. Doch jeder sollte wissen, hier oben auf dem gottverdammten Berg wird schon das kleinste Wachvergehen streng bestraft. Du hast es eben selbst gesagt, wir tun nur unsere Pflicht. Also nimm meine Entschuldigung an.“
Granna wollte antworten, doch der Soldat über dem Brückentor redete unentwegt weiter. „Du kannst dir sicher denken, dass die Herrin mir mit hoher Strafe gedroht hat, verließe ich jemals meinen Posten. Nachdem ich dich getroffen habe, fragte ich mich, wie lange ich schon auf diesen Mauern ganz alleine Wache halte. Da wurde mir klar, dass hier oben etwas Merkwürdiges geschieht. Jeder Tag ist so, als wäre er immer derselbe. Die Zeiger der Turmuhr drehen sich nicht. Sie stehen fest auf der Zwölf, als würde keine Zeit vergehen. Sag selbst, das ist doch seltsam!“
Willem Granna bemerkte erst jetzt die bedrückende Stille auf dem Gipfel. Kein Vogel sang, kein Bach rauschte, überhaupt war hier oben kein Laut zu hören. Selbst der Stimme des jungen Wachsoldaten fehlte die Tiefe, sie klang als wäre sie körperlos, wie die eines Geistes in weiter Ferne.
„Sag, Kamerad Soldat!“, rief Granna nach oben. „Es kann doch nicht sein, dass nur du in all der Zeit hier ganz alleine Wache gehalten hast? Ich mag es kaum glauben!“ Er wollte das Gespräch in Fluss halten, wer redet, kämpft nicht.
Die beleidigte Fee, wusste er, wurde vom Kämmerer nicht zur Taufe der Prinzessin geladen, und aus Rache für den Frevel hielt sie die Königstochter seit ihrem achtzehnten Geburtstag geschlagene dreißig Jahre in der finsteren Burg gefangen. Sie hatte aber aller Welt versprochen, dem ersten Mann, der ihren spiegelglatten Berg erklömme, die Prinzessin unbeschadet zu übergeben und den Bann zu lösen. Feen halten ihr Wort, sonst wären sie keine Feen, waren sich Grannas Gedanken sicher.
„Jetzt ist es wirklich an der Zeit, dass wir uns beim Namen nennen!“ Granna deutete die leichte Verbeugung mit Josefs Körper an. Das Lächeln strahlte nach oben. Noch war nichts verloren. „Ich heiße Josef!“, rief er.
„Das ist aber schön, mein Name ist Hans. Auf deine Frage, Kamerad Josef, kann ich sagen, ja, nur ich allein muss auf der Burg die Wache halten.“ Voller neu gewonnenem Vertrauen zeigte sich der Junge auf den Zinnen. „Als die Herrin die Königstochter vor dreißig Jahren auf die Burg brachte, stehe ich hier. Heute ließ ich zum ersten Mal die Zugbrücke fallen und sprach mit einem Fremden, obwohl sie streng befahl, das, ohne ihren ausdrücklichen Befehl, niemals zu tun. Dass ich die Burg verlassen habe, sogar mit dir speiste, wird sie mir nie verzeihen.“
„Das kann doch nicht wahr sein, Hans!“, rief Granna verblüfft. „Wenn das stimmt, was du mir gerade erzählt hast, bist du genau dreißig Jahre auf dem Posten, doch um keinen einzigen Tag gealtert. Sag, Kamerad, wie steht es denn so um die Prinzessin?“
„Du wirst es nicht glauben, Josef, sie ist immer noch wie am ersten Tag, jung und wunderschön“, gab Hans freudig zurück. „Eine Augenweide, der einzige Trost für mich. Es ist eine Schande, sie vor allen zu verstecken. Aber da kann man nichts machen. Die Herrin hat auf der Burg allein das Sagen. Sie herrscht mit fester Hand. Glaub es mir, Josef. Ich spüre sie sogar, wenn sie den Berg längst verlassen hat und ihren anderen Geschäften da unten nachgeht. Es ist auch zu befürchten, dass die Herrin schon weiß, dass ich meinen Posten verlassen habe, um mit dir zu speisen. Die Strafe wird fürchterlich sein. Sie setzt mir jeden Tag das fade Grünzeug vor, das sie selbst mit großer Leidenschaft hinter der Mauer in ihrem eigenen kleinen Garten zieht. Ich konnte deiner Verlockung nicht widerstehen, und eigentlich ist auch gar nichts Schlimmes geschehen. Vielleicht hält sich ihr Zorn in Grenzen, und ich komme noch einmal mit einem blauen Auge davon.“
„Sorge dich nicht, lieber Hans“, winkte Granna beruhigend ab. „Alles wird gut. Heute ist ein besonderer Tag. Ich bin der erste Mann, der den Gipfel unbeschadet erklommen hat, und deine Herrin steht mir im Wort. Wann erwartest du sie denn zurück, Kamerad?“
„Das kann ich dir beim besten Willen nicht sagen. Sie kommt und geht wie sie will. Zeit hat hier oben keine Bedeutung, darum stehen die Zeiger der Turmuhr immer gleich fest auf der Zwölf, rücken weder vor noch zurück. Glaub mir, manchmal ist es zum Verzweifeln, weil man sich nie daran gewöhnt.“
„Das ist ja schrecklich!“, rief Granna verständnisvoll. „Eine Bitte, Kamerad, habe ich trotzdem an dich, die du mir sicher als mein Gastfreund erfüllst.“
Hans nickte eifrig. „Aber natürlich, Josef, jede, steht es nur in meiner Macht.“
„Nun, dann versprich mir, wenn deine Herrin erscheint, ihr zu sagen, dass ich hier draußen auf sie warte und ihr Versprechen einfordere.“
„Ja, Josef, das werde ich. Verlass dich auf mich, doch sei gewiss, die Herrin weiß schon längst, dass du hier oben stehst.“
Willem Granna schlenderte gelöst zurück zum Sattel und Tischtuch. Doch bevor er die Stelle erreichte, meldete sich der alte Soldat Josef in seinen Gedanken. „Was bist du nur für ein einfältiger Tor!“, schimpfte er. „Hast du in deinem Alter immer noch nicht begriffen, dass du dir nehmen musst, was dir gehört. Glaub einem mit allen Wassern gewaschenen, alten Soldaten. Wer sich nicht selber hilft, dem wird nicht geholfen, jedermann ist seines eigenen Glückes Schmied. Also, was zauderst du, locke den jungen Trottel da oben nach draußen, schlage ihn nieder, steche ihn mit seinem eigenen Schwert ab, und nimm dir die Königstochter. Jetzt kannst du es noch, aber wenn die Fee zurück ist, kann man nicht wissen, welche Gemeinheiten sie sich einfallen lässt. Dann kann es für alles zu spät sein. Was zögerst du, greif dir die Königstochter und dann nichts wie weg. Der Sattel hat sich längst erholt und wird uns mit der Prinzessin sicher nach unten tragen. Lieferst du sie beim König, dem vor Kummer gebrochenen Greis, unbeschadet in ihrer Jugend und Schönheit ab, bist du der gemachte Mann. Also, schreite zur Tat. Worauf wartest du?“
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