Sie brauchten also von ihm keineswegs zu erwarten, dass er der verbrecherischen DDR dankbar dafür sein würde, dass er lebenslang eine Arbeit mit auskömmlichem Einkommen und eine bezahlbare Wohnung haben würde! Auf solche Lächerlichkeiten konnte er getrost verzichten, wenn man ihm die Freiheit dafür geben würde und die Möglichkeit, Südfrüchte zu essen sowie die Chance, zu reisen!
Auch dass sich dieser autoritäre Staat intensiv um seinen neugeborenen Sohn bemühte und zwar in medizinischer wie auch in pädagogischer Hinsicht, störte ihn zutiefst!
Für ihn waren all dies aufgesetzte Argumente und pure Indoktrinationen, um die sogleich beginnende ideologische Vereinnahmung seines Kindes zu einem Parteisoldaten oder Stasiknecht sozial geschickt zu verbrämen!
Auch passte es ihm nicht, wenn irgendwelche bornierten Ärzte darüber entschieden, welche Impfung für seinen Sohn sinnvoll und angebracht sei. Schließlich war zuerst er für das Kind verantwortlich, welches er in diese Welt gesetzt hatte und keinesfalls irgendwelche Parteiärzte!
Ihm wäre es lieber gewesen, der autoritäre Staat hätte sich aus der medizinischen und pädagogischen Betreuung der Kinder vollständig heraus gehalten und dies allein den Eltern überlassen! Schließlich konnten ein paar Kinderkrippen, Kinderferienlager und Pflichtimpfungen, schließlich konnten Manipulatoren wie Pittiplatsch, Schnatterinchen und Meister Nadelöhr, nicht als Argumente herhalten, um die massenhaften Morde an der Mauer und die alltägliche unmenschliche Folterpraxis in den Kellern der allmächtigen Staatssicherheit zu rechtfertigen!
Die Menschen in der DDR waren offensichtlich zu faul und zu inkompetent, um sich selbst um ihre eigenen Kinder zu kümmern und überließen dies viel lieber dankbar dem autoritären Staat, von dem sie sich im Gegenzug und aus lauter Verbundenheit dann willig unterdrücken und instrumentalisieren ließen!
Ein Staat hatte keinerlei soziale Funktion auszuüben! Schon gar nicht, um auf diese Weise seinen diktatorischen Charakter zu rechtfertigen, wie es Hitlers Staat getan hatte!
Ein Staat hatte seinen Bürgern Religionsfreiheit und Gewerbefreiheit zu gewährleisten, mehr nicht!
Alles, was darüber hinausging, entpuppte sich letztendlich stets als Bevormundung und Gängelei! Basta!
Es war der Tag vor dem Geburtstag der Republik. Ein großer Feiertag und die Hauptstadt war bereits mit Fahnen geschmückt, dass sie in makabrer Weise an jenen Tag erinnerte, da ihre Bürger ihrem Führer nach dessen erfolgreichem Westfeldzug einen triumphalen Empfang bereitet hatten. Aber solche Gedanken waren Häresie. Man durfte sie nicht aussprechen, ja nicht einmal denken!
Der Alexanderplatz und die Karl-Marx-Allee waren für die Demonstration und die große Militärparade gerüstet. Die Bürger hatten ihre billigen roten Plastiknelken bereit liegen, um sie sich ans Revers zu stecken und die Transparente und Spruchbänder; auch die tausenden Roten- und DDR-Fahnen aus Papier, die sogenannten Winkelemente, lagen bereit.
Die Tribüne für die Partei- und Staatsführung war vorbereitet worden. Für ihren großen Auftritt, die Militärparade, die auf der Karl-Marx-Alle, zwischen dem Alexanderplatz und dem Strausberger Platz vor der Ehrentribüne, stattfinden würde, hatten die Offiziersschüler, die Kampfgruppen der Arbeiterklasse und die FDJ-ler, die aus zahlreichen Bezirks- und Kreisstädten der Republik mit Omnibussen und Lastkraftwagen heran gefahren worden waren, bereits mehrfach geübt. Längst waren die üblichen Sonderbriefmarken anlässlich dieses Jubiläums heraus gegeben worden.
Um Zwischenfälle und staatsfeindliche Provokationen republikfeindlicher und allgemein feindlich-negativer Kräfte auszuschließen, waren entlang der vorgesehenen Paradestrecke und besonders im Umfeld der Tribüne, dutzende von Volkspolizisten und Freiwilligen Helfern der Deutschen Volkspolizei postiert worden.
Im VEB Bautischlerei Berlin hatte es am Abend vor dem Republikgeburtstagwie immer vor diesem AnlassÜberstunden gegeben. Der Betrieb war, wie in jedem Jahr üblich, mit der Herstellung, der Errichtung und der festlichen Ausschmückung der großen Tribüne in der Karl-Marx-Allee betraut worden. Zuverlässige Kader des Betriebes hatten diese Aufgabe übernommen und trafen nun, nach der Endabnahme des Bauwerkes, wieder im Betrieb ein, um sich zu duschen und danach in den Feierabend zu begeben.
Der spätere Minister ohne Geschäftsbereich war als Tischlergehilfe mit dem Abladen der Reste des Baumaterials und mit der Säuberung der Ladeflächen der Lastkraftwagen beauftragt worden, als die Kollegen lachend und schwatzend den Duschraum verließen und nach Hause fuhren.
Der Lehrmeister trat blinzelnd auf den Hof. Die rechte Hand mit den verstümmelten Fingern verbarg er in der weiten aufgesetzten Tasche seines blauen Arbeitskittels, wo sie mit Kleingeld herum klimperte. In der ausgebeulten Brusttasche seines Arbeitskittels steckten eine klobige Lesebrille und eine Anzahl von Kugelschreibern und Kopierstiften.
Ihre Blicke trafen sich flüchtig.
„Noch hier?“, fragte der Lehrmeister und es klang irgendwie ärgerlich.
Der spätere Minister ohne Geschäftsbereich nickte wortlos und schlug die Augen nieder. Er stützte sich auf den abgenutzten Hofbesen mit den schmutzigen Borsten aus rotem vergilbendem Plastik.
„Also los, unter die Dusche! Und dann ab, nach Hause!“, knurrte der Lehrmeister und wandte sich zum Gehen.
Der spätere Minister ohne Geschäftsbereich entkleidete sich vor seinem stählernen Spind, schlang ein Handtuch unter die Hüften, schlüpfte in die Holzpantinen, griff ein großes Stück Kernseife und betrat den Duschraum, der im Jargon der Kollegen nur „das Schlachthaus“ hieß, weil er mit weißen Kacheln bis unter die Decke gefliest war.
Es roch hier stets muffig und auf eine eigentümliche Weise nach Schimmel.
Der spätere Minister ohne Geschäftsbereich drehte das warme Wasser an und stellte sich unter die Brause. Er ließ sich das warme Wasser über Kopf und Schultern laufen, lauschte mit geschlossenen Augen dem Rauschen des Wassers und sah zu, wie Staub, Holzmehl und Schmutz in kleinen Rinnsalen seinen Körper herab flossen und im gusseisernen Abflussgitter verschwanden.
Er balancierte barfuß auf den roten Kacheln des Fußbodens. Stets litt er dabei unter der Sorge, sich beim Duschen mit Fußpilz zu infizieren.
Ein plötzliches Geräusch ließ ihn aufschrecken. Der Lehrmeister stand vollkommen nackt im Raum. Und das Erste, was dem späteren Minister ohne Geschäftsbereich an dem untersetzten, muskulösen und stark behaarten Körper des Älteren auffiel, war sein zuckender und prall erigierter Penis mit der rot glänzenden Spitze, der ihn an einen Speer erinnerte.
Ihre Blicke trafen sich, wobei der spätere Minister ohne Geschäftsbereich eine geradezu tierische Art von Gier in den Augen seines Lehrmeisters erkannte. Er senkte den Blick, damit der Andere sein eigenes aufflackerndes Begehren nicht sehen konnte.
Der Lehrmeister legte langsam Handtuch und Kernseife ab und trat abrupt zu dem späteren Minister ohne Geschäftsbereich unter die Dusche. Dieser drehte sich zur Wand und stützte sich mit beiden Handflächen an den glatten weißen Fliesen ab.
Er spürte, wie der Lehrmeister seinen Rücken zu küssen begann, wie die Lippen des Älteren gierig sein Rückgrat hinab wanderten, bis er endlich die Zunge des Lehrmeisters an seinen Pobacken spürte.
Er hörte ein unterdrücktes Stöhnen des Älteren und spürte dessen rechte Hand mit den verstümmelten Fingern, wie sie nach vorn, zu seinem nun auch erigierten Geschlechtsteil tastete, um seinen Hodensack und seinen Penis in einer fordernden und besitzergreifenden Art zu massieren, als sei er ganz und gar das Eigentum des Lehrmeisters.
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