Durch die spätere Verlagerung des Handels in Schleswig-Holstein nach Lübeck wurde dieser Plan jedoch obsolet. Es entstanden der Stecknitz- und der Alster-Beste-Kanal, die jedoch nicht für Seeschiffe bestimmt waren.
Der direkte Vorläuferdes Nord-Ostsee-Kanals war der Eiderkanal, den der dänische König Christian VII. von 1777 bis 1784 errichten ließ. Er begann in Kiel und mündete bei Rendsburg in die Eider, die bei Tönning die Nordsee erreicht. Jedoch dauerte eine Fahrt durch Kanal und Eider noch drei bis vier Tage.
Eine ausführliche Abwägung möglicher Streckenführungen samt einer Hochrechnung der Kosten und des Nutzens eines Kanalbaus bot das 1863 im Verlag der Buchhandlung Heiberg in Schleswig anonym erschienene Buch Durchstich der Holsteinischen Landenge zwischen Ostsee und Nordsee. Den Anstoß dafür gab die „Projectirung einer Canalanlage durch Holstein von der Elbmündung … bis zur Ostsee“, die das Königlich-Dänische Ministerium für die Herzogtümer Holstein und Lauenburg 1862 in Auftrag gegeben hatte.
1864, zu Beginn des Deutsch-Dänischen Krieges, erteilte der preußische Kanzler Otto von Bismarck den Auftrag, Ermittlungen über eine Verbindung zwischen Nord- und Ostsee anzustellen, „welche alle Kriegs- Handels- und Dampfschiffe gut passieren können“.
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Schäfer Hinnerk und der Kanal
Übersetzung aus dem plattdeutschen Buch: Bi uns goht de Klocken anners – von Anne-Marga Sprick, Bargenstedt, Februar 2016
Der Dänenkönig Christian der Achte hatte 1842 als Landesherr zum letzten Mal den Fuß auf Dithmarscher Boden gesetzt, beim Taternpfahl (Tatern, Tataren - Roma) das Land verlassen.
Kein Mensch konnte auch nur im Traum daran denken, dass gut fünfzig Jahre später der deutsche Kaiser auf der „HOHENZOLLERN“ quer durch Schleswig-Holstein auf der größten Wasserstraße der Welt dampfen würde und auch den Taternpfahl passierte.
Nur ein halbes Jahrhundert lag dazwischen! Auch damals schien die Erde sich schneller zu drehen.
In Albersdorf hatte es einen alten Schäfer gegeben, der weitsichtige Augen hatte und in die Zukunft sehen konnte. Er wurde ausgelacht von den Leuten. Sie sagten, er wäre wohl „etwas tüterig“. „Jan Jacob“ hatte er zu einem Mann aus dem Dorf gesagt, der den Alten für voll nahm, „hör mir mal zu. Ich habe etwas Komisches gesehen. Ich kann rein nicht dafür zurechtkommen, weiß das selber nicht, was das zu bedeuten hat.“ Der Albersdorfer fragte zurück: „Was war das denn, Hinnerk Schäfer?“ Nun erzählte der Schäfer, dass er oben auf dem Vierth die Schafe gehütet hatte. Der Hund lag ihm zu Füßen, wurde auch so aufgeregt. Es war ein Heulen und Brummen, ein Sausen und Flöten in der Luft. Ganz unheimlich war es. Der Schäfer hatte mit dem Gesicht in Richtung Schafstedt gesessen, sah eine ganze Reihe von Schiffen heraufkommen nach der Giselau zu. Das nahm kein Ende, und dicker schwarzer Rauch lag darüber. Dann verschwand alles wieder, so erzählte der Schäfer. Der Alte aus Albersdorf meinte dann auch nach kurzem Besinnen, es wäre doch wohl „Tühnkram“, mit rechten Dingen könnte es nicht zugehen. Wie sollten dort Schiffe auf der hohen Geest nach Grünental kommen? Der Schäfer wusste auch keinen Rat, sagte aber, seine umsichtigen Augen hätte er wohl. Wie recht bekam Hinnerk-Schäfer!
Der Reichstag beschloss 1883 in Berlin, dass ein Kanal gebaut werden sollte, der Ost- und Nordsee verbinden würde. Oben um Skagerrak herum war der Seeweg zu lang, auch war er immer riskant. Manches Schiff war dort untergegangen in dem aufgewühlten Wasser.
Der Kaiser baute eine starke Flotte auf, machte Kiel zum größten Hafen an der Ostsee. Er wollte sich schnell bewegen können mit seinen Schiffen von einem Meer zum anderen. – Das stand fest mit dem Kanalbau. In zehn Jahren wollte man das schier Unmögliche fertig haben.
An Breite sollte die Wasserstraße oben 88 Meter messen, unten die Sohle 22 Meter. Das Bauwerk wurde in Etappen an Unternehmer vergeben. Allein in Burg saßen drei Baumeister, ein Baurat, ein Inspektor, mit einer ganzen Reihe von Leuten, die nötig waren, denn das Kanalstück von Groß-Bornholt bis Kuden hatten sie unter sich. Wenn auch schon mit Dampfkraft gearbeitet wurde, Dampfloks vor Sandwagen gespannt waren, so war viel an Menschen- und Pferdekraft notwendig. Aus aller Herren Länder kamen die Arbeitsleute, viele aus Polen, Schweden und Italien, ein Multi-Kulti-Volk, das sich gut vertrug. – So ist es, wenn genug Arbeit da ist, ziehen alle an einem Strang.
Baracken und Behausungen mussten von Brunsbüttel bis nach Holtenau für die Leute aufgestellt werden. Es war alles gut durchdacht, Mittagessen gab es in dem Essensraum in so einer Baracke, der für alle da war, auch Kaffee. Für Brot musste jeder selber aufkommen. – Unsere hiesigen Leute nutzten auch teilweise den großen Arbeitsplatz, den sie erreichen konnten. – So erzählte ein alter Mann aus Lehrsbüttel, dass er damals zu Fuß nach Grünental lief, morgens hin, abends zurück. Sein Pferd war mit angestellt, aber darauf reiten, um sich selber auf dem langen Weg zu schonen? Das ging nicht. Das Pferd war so übermüdet von der schweren Arbeit. Die Last eines Reiters war zu viel für den Braunen. –
Was hatte man Mühe damit, sich durchzuarbeiten durch die Tiefe des Moores! Pfähle mussten eingerammt werden, Deiche gebaut. Die Erde, die oben aufgefahren wurde, soll stellenweise über vierzig Fuß versackt gewesen sein, drückte die großen Moorstücke wieder hoch, die sich oben auftürmten, eines über´s andere zur Seite stürzte, die langen Auffahren zu den Brücken!
aus Band 40 dieser maritimen gelben Buchreihe
Die Brücken selber! Auch der Taternpfahl bekam eine Brücke. Die Westeisenbahn kreuzte dort den Kanal. Später wurde es anders. Die Hochdonner Eisenbahnbrücke ist gut zwanzig Jahre später fertig gewesen, und das Eisenbahnnetz wurde umgelegt. – Die Rendsburger Hochbrücke war damals der größte Stahlbau der Welt.
Und Grünental! Was für ein kunstvolles Werk! Vielen Menschen ging es an´s Herz, als sie in den achtziger Jahren abgebrochen wurde. – Alle Brücken mussten so hoch sein, dass große Schiffe mit stehendem Mast unterdurch fahren konnten.
Die Schleusen bei Brunsbüttel wurden bestaunt und bewundert. Allein in drei Monaten hatte man 70.000 Kubikmeter Beton versacken lassen. Die Moorstrecken machten große Mühe. Der Boden war durchsetzt von Mergel und Lehm, mit Steinen dazwischen. Die großen Findlinge, die zu Tage kamen, waren tonnenschwer. Dann wieder rissen Löcher in die Böschungen. Der Mahlsand gab keinen Halt. Alle Kanalseiten sind mit Steinen gepflastert oder auch mit Klinkern aufgesetzt.
Die umliegenden Dörfer zogen Profit aus der Riesenbaustelle. Die fremden Arbeitsleute brauchten dies und das, kauften in den „Hökerläden“ ein. Die Bäcker hatten vollauf zu tun.
Genau ging es zu mit dem Lohntag. Leute, auf die Verlass war, brachten die Lohntüte mit Namen darauf, an der Kanalstrecke entlang und händigten diese selber aus.
Zehn Jahre waren angesetzt für das Mammutwerk, und die Zeit reichte aus. Mit dem festgesetzten Geld kamen die Planer auch zurecht.
Dann, 1895 war es soweit! Das größte Spektakel in der Kaiser-Wilhelm-Geschichte! Am 20. Juni, an einem Sommertag, dampften 23 große prachtvolle Schiffe nach Kiel, vorweg die „HOHENZOLLERN“ mit dem deutschen Kaiser an Bord. Bei Brunsbüttel war das schwarzrotgoldene Band über den Kanal gespannt, das von der Kaiseryacht durchschnitten wurde. Der Kaiser-Wilhelm-Kanal war eingeweiht (er erhielt den Namen nach Kaiser Wilhelm, dem Ersten).
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