Am Tresen des heutigen Spätnachmittags saßen noch zwei Deutsche, Detlef Liebermann, seines Zeichens Muschelsucher aus Passion, und der Insektenhobbyforscher Daniel Menger. Diese beiden waren absolute Gegensätze, nicht nur vom Hobby her, sondern vor allen Dingen von ihrer Mentalität. Sie versuchten sich gegenseitig, von ihrem Hobby zu überzeugen und in den hitzigen Debatten wurden schon einmal andere Gäste als Schiedsrichter bemüht.
In den letzten Wochen war Hubert nervöser und angespannter als sonst. Er war oft Tage nicht in seiner Kneipe, die Angestellten machten sich Sorgen, was denn los sei und ob er gar krank wäre. Seine Frau vertrat ihn immer des Öfteren und musste sich auch um die Bestellungen und Besorgungen der Kneipe kümmern. Sogar die Käselieferungen holte sie persönlich vom Flughafen Faa ab, etwas, was sich sonst Hubert nie nehmen ließ. Es war sein Steckenpferd. Auch die Thekengäste sorgten sich schon um Hubert und diese waren nicht gerade zart besaitet. Man sah ihn in Papeete immer öfter in Baugeschäften, bei Handwerkern und aus Europa kamen merkwürdige, längliche, sperrige Pakete an. Seine Yacht war auch immer mit einer riesigen Plane zugedeckt. Wenn er in der Kneipe wieder seinen Dienst versah, war eines klar: krank sah er nicht aus. Er pfiff zum Teil vergnügt vor sich hin. Dann aber war er wieder angestrengt, zeichnete und telefonierte Stunden in seinem Büro. Irgendwas war hier im Busch. Die bisherigen Kneipengäste, Freunde von Hubert, kamen auch immer seltener. Es waren zwei Brüder aus Australien, sehr reiche Leute, ein Amerikaner, auch sehr reich, ein hiesiger Politiker, man konnte sagen, ebenfalls sehr reich, und ein Maler aus dem Elsass, der sich hier niedergelassen hatte. Durch seine Bilder war er sehr bekannt und auch sehr reich geworden. Wenn man Hubert mit diesen reichen Leuten vergleichen würde, war er so arm wie eine Kirchenmaus, die nicht einmal ein Stück Käse zum Leben hätte, obwohl Hubert zusammen mit seiner Frau schon auf gute schwarze Zahlen jeden Monat auf dem Bankauszug blicken konnten. Also, in diesem Pool der Reichen wäre zuerst der amerikanische Ölmagnat Paul Wilston zu nennen. Er kam aus Texas und verfügte über eine Anzahl Ölfelder, wie andere Menschen Haare auf dem Kopf hatten, nun ja, wie die meisten Menschen. Dann kamen die zwei Australier, einmal Rupert Muller, seines Zeichens Industrieller aus Sydney und sein Bruder Charles Muller, ebenfalls aus Sydney, ein Finanzmagnat, anders konnte man deren Reichtum nicht beschreiben. Unter diesen Herren in dem exklusiven Wirtschaftsclub war neben Hubert noch eine Ausnahme zu vermelden, was allerdings für die Weltoffenheit der zugereisten Herren auf Tahiti sprach. Der französische Maler und Bildhauer aus dem Elsass, Henry Smid. Seine Bilder waren die reinsten Kompositionen von Farben, die die Stimmung hier auf den verschiedensten Inseln in Französisch Polynesien so wunderbar wiedergaben. Wenn man die Werke mit den wunderbaren zarten und dann wieder kräftigen Farben betrachtete, so hatte man das Gefühl, am Strand zu stehen und durch die Palmen auf das im Vordergrund leicht und kräftig werdende türkisfarbene Wasser zu schauen. Im Horizont wurde das Wasser tiefblau. Man hörte förmlich die fröhliche, unbeschwerte Musik der lachenden Einheimischen. Einfach phantastisch. Seine bildhauerische Kunst mit Steinen und Holz musste man gesehen haben. In diesem Bunde der unterschiedlichen Herren war auch Hubert von Ahrenzburg zu nennen und der einheimische Politiker, Mantanilu Evujela, der sich anschickte, der nächste demokratisch gewählte Vertreter in Französisch Polynesien zu werden. Nun aber hatten alle diese Herren neben ihren beruflichen oder schöpferischen Tätigkeiten seit geraumer Zeit hektische und wichtige Arbeiten entweder selber zu erledigen oder von Fachleuten erledigen zu lassen, je nach Geschick oder Zeit. Auch bei den Adressen dieser Herren kamen mal aus Australien, Amerika oder Europa heiß ersehnte Fracht in Form von großen Paketen und sogar kleinen Containern an. Die Australier ließen sogar Fachleute samt den Paketen einfliegen. In geheimnisvoll abgeschotteten Domizilen wurde bis in die Nacht gewerkelt und schwer gearbeitet. Alle Herren hatten bei diesen Arbeiten etwas gemeinsam, sie waren wortkarg, und alles wurde mit einer Plane für die Blicke anderer unsichtbar verschlossen.
Die von ihnen selber angesetzte Karenzfrist war nun endlich vorbei und sie trafen sich alle in der Kneipe bei Hubert und waren wie ausgewechselt im Vergleich zu den letzten Wochen. Es wurde wieder miteinander gescherzt und gelacht und sie wollten ihr Geheimnis vor der Welt endlich lüften. Dazu waren in der Kneipe sogar Journalisten der örtlichen Zeitung sowie ein Fernsehteam vor Ort.
Aber der Reihe nach. Im Frühjahr hatten sie alle bei Hubert in der Kneipe alleine zusammengesessen, die anderen Gäste waren schon lange gegangen und der beginnende Morgen hatte sich angekündigt. Die Luft war lau gewesen und aus einer Bierlaune heraus hatten sie eine Idee gehabt. Sie alle verfügten über große Motoryachten und sie alle waren begeisterte sogenannte Yachtis. Bei den Seglern waren sie nicht so gut angesehen. Die Segler rümpften die Nase, wenn ihre schweren Yachtmotoren zum Leben erweckt wurden. Was für die Yachtis reine Musik war, wenn so ein großvolumiger Motor angelassen wurde, war für die Segler reine Umweltbelästigung und sie sagten nur: „Wir schippern im Wind wenigstens umweltfreundlich und leise daher!“ Wenn sie aber auf ihren eigenen Motor im Segler angesprochen wurden, meinten sie: „Der dient nur als reines Hilfsgerät im Hafen und bei Flaute. Hier, mitten im Meer, haben wir aber immer Wind!“ Auch bei den Treffen in den gemeinsamen Clubs herrschte immer zwischen Seglern und Yachtis eine auf nette Art ausgetragene Rivalität. Nun wollten es die Yachtis den Seglern mit ihrem Flattertuch an Bord, das man als Segel bezeichnete, einmal zeigen. Die Idee aus einer Wein- und Bierlaune heraus war, einen Kurs in Französisch Polynesien abzustecken und diesen mit den Yachten, Kraftstoff sparend, in einer Mindestzeit abzufahren. Aus dem Grunde waren die Yachten jetzt vor allen Augen in Yachtgaragen oder unter Persennings und großen Planen versteckt, die nach den Arbeiten wieder darüber gelegt und fest verzurrt wurden. Sie hatten eine Frist für ihre Arbeiten festgelegt und zusammen den Kurs ausgearbeitet. Dann war die Zeit der Veröffentlichung bestimmt worden. Es war einiges an Umbauten an der Yacht erlaubt. Der Motor und die Yachtgröße durften allerdings nicht verändert werden. Abbauten an dem Schiff zur Gewichtsreduzierung waren ebenfalls nicht erlaubt. Jede Yacht war vorher durch Gutachter abgenommen und dokumentiert worden. Man durfte nicht-eingebaute Gegenstände entfernen, den Motor sparsam einstellen und zusätzliche Fahrhilfen, wie Segel einsetzen. Es durften aber keine weiteren Motoren oder Hilfsmotoren, mit welchem Antrieb auch immer, eingebaut werden. Man wollte damit zeigen, durch welche Einsatzmöglichkeiten es machbar wäre, eine herkömmliche große Motoryacht sparsam zu gestalten, ohne dabei an Komfort zu verlieren. Man könnte natürlich eine Crew an Bord nehmen, die zusätzlich paddelten, aber dann kam das Gewichtsproblem der Hilfskräfte zum Tragen und diese mussten auch ernährt werden, was ein weiteres zusätzliches Gewichtsproblem durch Nahrungsmittel hervorrufen würde. Ja, das leidige Gewichtsthema, nicht nur bei den Menschen, sondern auch bei den Yachten konnte das ein Thema sein. Bei dem Begriff Gewicht zogen die Yachtis ihre Stirn in Falten. „Ihr müsst euch und nicht die Schiffe verschlanken“, das sagte scherzhalber der Maler Smidt in einer Besprechung.
Hubert dachte bei langen Spaziergängen am Strand nach, was er mit seiner Yacht wohl alles anstellen könnte, um den Spritverbrauch zu senken. Alle waren bereits dabei, es wurde gehämmert, geschraubt und gebohrt, als Hubert immer noch nachdachte. Der Hintergrund dieser ganzen Fahraktion war nämlich, dass die reichen Leute im Bunde einen Preis ausgesetzt hatten. Es sollten auch noch Sponsoren gefunden werden, die natürlich auf diese Art und Weise für sich Werbung machen konnten. Das Preisgeld betrug sage und schreibe zwei Millionen Dollar, wovon eine Million für ein Kinderkrankenhaus in Papeete gespendet werden sollte. Hubert wurde schon von seinen Mitbewerbern gehänselt die meinten, ob seine Spaziergänge am Strand was bringen würden, er sollte doch lieber die Ärmel aufkrempeln und endlich anfangen zu sägen. „Von wegen“, dachte Hubert. „Erst nachdenken, dann handeln.“ Schließlich war er in der Fliegerei lange genug tätig und dort galt Sicherheit und Planung als oberster Grundsatz.
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