Engelbert wollte in der Erklärung seiner Wunderpresse gerade fortfahren, als sich die Kneipentür öffnete und wie ein nasser Pudel ein neuer Gast eintrat. „Nun kommt das Reibeisen, von dem die Tresenkameraden gerade redeten“, dachte Engelbert und brach seinen Verkaufsvortrag ab. Bruno Schmidt drehte sich um und sagte: „Mann, da kommt ja unser Reibeisen, jetzt wird es hier endlich lustig.“ Der Gast schüttelte den Regen ab, zog seinen Regenmantel umständlich aus und begrüßte die Gäste. Die Begrüßung bei ihm unbekannten Personen ging folgendermaßen ab: „Gestatten, mein Name ist Oberst außer Dienst, Hermann Schlünders, Bonn - Bad Godesberg, Hardthöhe.“ Dabei nickte er kurz und militärisch nach den Seiten hin und schlug mit einem Klacken seine Hacken zusammen. Bruno sagte immer: „Wer das nicht glaubt, muss es selber sehen. Der könnte auf dem Jahrmarkt auftreten.“ Einmal hatte ein Gast zum Oberst a. D. folgendes gesagt: „Ich war schon einmal in Bonn, aber den Stadtteil Hardthöhe kenne ich nicht.“ Daraufhin hatte der freundliche Herr Oberst a.D., der immer Korrekte, erwidert: „Die Hardthöhe ist das Verteidigungsministerium in Bonn.“ „Museum wäre besser“, hatte Bruno geantwortet. „Verteidigungsmuseum klingt doch viel besser, da wir uns neuerdings mit dem Ostblock gut verstehen.“ Schon wurden die heißesten politischen Theorien am Tresen leidenschaftlich diskutiert.
Der Oberst, wie er hier intern hieß, hatte für die Insulaner ein merkwürdiges, skurril anmutendes Hobby. Er war ein sogenannter Sondengänger. „Ein Sonderling bist du auch“, bemerkte ein Thekengast, als der Oberst von seinem Hobby berichtete. Der Oberst gehörte zu der merkwürdigen Kaste in unserem Land, deren Mitglieder mit einem Metalldetektor und mit einem Kopfhörer bewaffnet, frühmorgens oder kurz vor Sonnenuntergang, so als wären sie menschen- oder lichtscheu, wie böse Zungen sagten, loszogen und in einem gleichmäßigen Rhythmus das Suchgerät waagerecht vor sich langsam hin und her schwenkten. In der linken Hand hielten sie eine kleine Schaufel und in Abständen stutzten sie, prüften gezielt noch einmal die Stelle, bückten sich und fingen mit der Schaufel zu graben an. Ihre Ausbeute ließ sich jedes Mal sehen, sie fanden jede Menge an Münzen, Uhren, Ringe und vor allen Dingen Bierverschlüsse aus Metall und auch Schlüssel. Der Oberst hatte bereits einen Ring gefunden, der vom hiesigen Juwelier auf mehrere Tausend Euro geschätzt worden war und den er bei der Polizei abgegeben hatte. Der Oberst telefonierte mit dem zuständigen Fundamt und wenn sich nach sechs Monaten niemand gemeldet haben würde, konnte er den Ring abholen und wäre dann der stolze Besitzer des wertvollen Ringes. Es gab aber auch Fälle, wo Hotelbesitzer ihn um Hilfe baten, weil die Gäste irgendetwas verloren hatten, meist waren es Haustürschlüssel.
Aber eine große Sache war mit die mit dem Oberst und dem ebenfalls als Rentner hier auf der Insel ansässigen Kriminalkommissar. Der pensionierte Kriminalkommissar Walter Schmelzig aus Leipzig, der jetzt hier auf Baltrum seinen Wohnsitz hatte, war genau der Typ eines Polizisten oder war es früher gewesen, wie man sich einen Schutzpolizisten, auch Schupo genannt, so vorstellte. Bei diesem Typ eines Polizisten fühlt man sich als Bürger im Falle der Gefahr gut aufgehoben. Als vor einiger Zeit die örtliche Bank das Ziel von Räubern geworden war, hatten diese mit Erfolg dem gerade aufschließenden Filialleiter die Schlüssel für die Banktüren und eine Geldbombe entrissen. Der Filialleiter hatte die Geldbombe eines örtlichen Einzelhändlers unter dem Arm. Dieser Einzelhändler war sein Nachbar und auf diese einfache Transportweise nahm der Filialleiter täglich immer die Geldbombe mit zur Bank. Nun ja, die Geldbombe und die Schlüssel waren ihm entrissen worden, zu weiteren Untaten waren die Räuber aber nicht gekommen. Sie waren über den Strand geflüchtet, wo sie ein Boot mit einem kleinen Motor versteckt hatten. Das Ganze hatte für die beiden Räuber nicht gut gehen können. Denn nach dem Alarm in Aurich hatte die Hubschrauberbesatzung der Polizei schnell das Boot in der See auf dem Weg in Richtung Neßmersiel entdeckt. Bei den Räubern waren aber weder die Geldbombe noch die Schlüssel gefunden worden. Die Räuber hatten behauptet, beides im Sand am Strand auf der Flucht vergraben zu haben. Nun hatte die Stunde des vielfach belächelten Sondengängers Hermann Schlünders von der Bonner Hardthöhe geschlagen. Zusammen mit dem Kommissar hatten sie generalstabsmäßig eine Suchaktion mit Plan und Millimeterpapier ausgearbeitet. Die Polizei hatte natürlich auch gesucht, aber an der falschen Stelle. Oberst Herman und Kommissar Walter waren so beschäftigt, dass sie keine Zeit gehabt hatten, in die Kneipe zu Engelbert zu kommen. Nach einer Woche des Suchens hatte der Metalldetektor endlich erst bei den Schlüsseln und nach wenigen Metern bei der Geldbombe gepiept. Zur Belohnung war der Bankdirektor vom Festland gekommen und man munkelte noch heute, es wäre ein hübscher Betrag gewesen. Denn bei Engelbert war danach kräftig gefeiert worden und die beiden Suchstrategen hatten die gesamte Zeche gezahlt.
An der Theke gab es in unregelmäßigen Abständen aber noch eine liebenswürdige skurrile Erscheinung. Es war die Gräfin aus Berlin. Ihren Namen kannte hier keiner, sie wurde nur als Gräfin bezeichnet und merkwürdigerweise wurde sie von der täglichen Thekencrew nie mit Spott oder Andeutungen traktiert. Sie redeten immer sehr respektvoll von der Gräfin und, wenn sie erschien, verstummten auch sofort derbe Witze. Die Gräfin kam einmal im Jahr für sechs Monate hierher nach Baltrum und wurde stets von zwei Hausdamen begleitet, dabei konnte sie sich auch ganz gut ohne ihren Rollstuhl selber bewegen. Aber über ihre Herkunft wurde natürlich gemunkelt. Einige meinten, sie wäre auf Baltrum aufgewachsen und als Kind mit den Eltern auf das Festland gezogen und sie sei steinreich. Die Gräfin bezog immer dasselbe Hotel und saß oft lange in ihrem Lehnstuhl auf der windgeschützten Terrasse warm eingemummelt und sah sich stundenlang die Wellen an. Hier in die Kneipe „Ohne Hausnummer“ erschien sie immer am Sonnabend, nachdem sie mit ihrem Personal, wie es hieß, im Café zum Kaffee und Kuchen gewesen war. Danach wurde sie exakt für zwei oder je nachdem, drei Stunden durch den Gang zur Kneipe mit dem Rollstuhl geschoben und ihre Hilfe verabschiedete sich, da diese Kneipen nicht ausstehen konnte. Die Gräfin fühlte sich sichtlich wohl in der Kneipe und unterhielt sich mit den Leuten, wobei sie ihren dicken rotflüssigen Kirschlikör trank. „Wir hatten früher in Berlin eine Likörfabrik“, hatte sie einmal über sich verraten.
Zum Abschluss war noch zu sagen, dass die reservierte Gruppe mit zwanzig Gästen zum Fischessen Engelbert versetzte und der Donnerstag auch nicht voll ausgebucht war. Das Fischessen selbst war aber wie immer sehr gelungen und die Gäste freuten sich schon auf die nächste Fischsaison mit einem neuen Fischkoch.
Aloha in Papeete
Von Baltrum sind es zirka achttausendzweihundertzweiunddreißig Nautische Meilen bis zur traumhaften und paradiesischen Insel ‚Über dem Winde‘ in Französisch Polynesien. In zirka einundzwanzig bis fünfundzwanzig Stunden, je nach den Winden, war man mit dem Flugzeug von Deutschland in Tahitis Hauptstadt Papeete. Dort, in der Nähe des internationalen Flugplatzes Faa, gab es an der Strandpromenade mit einem wundervollen Blick auf das Meer eine deutsche Kneipe und Restaurant mit Namen ‚Zum alten Küfer‘. Der alte Küfer war einmal vor über 80 Jahren ein Käsebauer aus der Schweiz gewesen, der oben in den Bergen als amtlich bestellter Käsemeister einen guten Ruf gehabt hatte. Er selber hatte sein Dorf in den Bergen nie verlassen, denn nach den Erzählungen der Gäste hatte er eine Gänsehaut bekommen, wenn er daran gedacht hatte, in dem hektischen Treiben der Pferdefuhrwerke einer Stadt umherzulaufen.
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