Ehe Don Diego etwas erwidern konnte, wandte sich Osantos im Sattel, und als er sah, daß die Weißen ihm noch nicht folgten, warf er sein Pferd herum und winkte ungeduldig mit dem Arm.
„Es geht nicht, Amigo," sagte Diego rasch. „Die Pferde der Indianer sind noch frisch, die unseren aber von dem Tagesmarsch ermüdet. Osantos würde mit seiner braunen wilden Schaar den Augenblick auf unseren Fährten sein, und sich dann in vollem Recht glauben, uns zu behandeln, wie es ihm gut dünkt. Vorwärts, daß er nicht ungeduldig wird. Haltet Euch nur an meine Seite, Seňorita. Bis heute Abend findet sich schon Gelegenheit, das Weitere zu besprechen, und auch Ihr, Felipe, daß wir keinen Verdacht erregen; wir haben überdies schon zu lange gezögert."
Bei den ersten Worten hatte er sein Pferd vorwärts getrieben, den Indianern nach, und während sich Josefa und Felipe dicht hinter ihm hielten, holten sie bald den ihrer wartenden Osantos ein. Osantos sagte aber kein Wort weiter; die Lanze vor sich schräg über die Mähne seines Pferdes gelegt, ließ er seinem wackern Hengst die Zügel, und bald setzte der kleine Trupp in voller Flucht durch das hohe Gras der Pampas, so viel Raum als möglich zwischen sich und die Feinde zu bringen, ehe diese zu einer Verfolgung herbeieilen konnten.
Dabei gebrauchten sie oft die List, mit dem Haupttrupp kurze Strecken nach rechts oder links abzubiegen, während sie einzeln wieder davon abgingen, ihre alte Richtung aufzunehmen. Sie wußten, wie sehr eine solche gestörte Fährte den Feind beirren und aufhalten mußte, um so mehr, als sich die Soldaten - wenn nicht in sehr starker Zahl - kaum getrauen durften, tiefer in das indianische Gebiet vorzudringen.
Dort waren die Rothhäute unumschränkte Herren, denn wenn auch Rosas auf der Landkarte dies Gebiet beanspruchte, hatte er es nur durch eine dort bleibend unterhaltene Militärmacht auch behaupten können. Wie ein Ocean von Gras lag die weite Steppe ausgebreitet, und zog ja einmal eine /67/ Schwadron der leichten Gaucho-Reiter hindurch, den Indianern in's Gedächtniß zurückzurufen, wer hier eigentlich den Oberbefehl beanspruche, so wichen die rothen Schaaren wohl eine kurze Strecke vor ihnen zurück und ließen sie ungehindert eindringen, so weit sie wollten, kaum aber traten sie den Rückweg an, so drängten die verschiedenen Horden von allen Seiten wieder herbei, wie die Fluth in das Fahrwasser des davoneilenden Schiffes quillt, und die Pampas gehörten den Indianern wie vorher.
IX.
Die Pferde der Weißen bedurften indessen einer kurzen Rast, an der sie durch den Ueberfall der Wilden verhindert worden. Die Thiere waren erschöpft, und Don Diego besonders lag daran, sie nicht unnöthiger Weise noch mehr zu ermatten, sondern ihnen ihre Frische und Kraft zurück zu geben. An einer Stelle angelangt, an der sie frisches klares Wasser fanden, bat er Osantos, einige Zeit zu halten, und während die Pferde ruhten, erbrach und durchflog er die verschiedenen Depeschen des Gouverneurs, die wichtigsten für sich zurück zu behalten und die übrigen, um nicht unnöthig damit beladen zu bleiben, zu vernichten.
Hier erkannte er denn auch, welch großer Gefahr er selber entgangen war. Denn wäre er nach San Luis gebracht und dort erkannt worden, so war sein Tod beschlossen und gewiß.
Lange ließ ihm Osantos, der bei der Untersuchung der Papiere neben ihm saß und ihm geduldig zuschaute, aber keine Zeit. Ihm lag daran, aus Gründen, die er freilich dem Weißen nicht angab, sobald als möglich seinen Hauptstamm zu erreichen, und einmal erst wieder im Sattel, setzten sie ihren Weg rasch und ungehindert immer gen Süden hin fort.
Einige Male begegneten sie auch kleinen Streifzügen anderer Stämme, und Osantos schien diesen besondere Befehle zu geben, denn jedesmal veränderten sie, nach kurzer Unter-/68/redung mit ihm, ihre Richtung. Diego frug den Häuptling deshalb, denn noch gestern hatten sie einen gemeinsamen Kriegszug gegen die Argentiner verabredet, in dem die Indianer durch jene verfolgten und von Rosas als seine bittersten Feinde betrachteten Unitarier unterstützt werden sollten. Heute schien er aber nicht mehr darauf eingehen zu wollen, gab ausweichende Antworten und vertröstete ihn auf eine spätere Zeit. - Der Weiße war ihm in seinen neuen Plänen lästig geworden, und er suchte ihn los zu werden.
Gegen Abend erreichten sie ein Dorf der Indianer. Frauen und Kinder kamen den Anreitenden in dichtem Trupp entgegen, und die kleinen braunen nackten Burschen sprangen in tollem Uebermuth auf die Pferde, oder faßten sie an den Schwänzen und ließen sich im raschesten Lauf mit fortziehen, ohne loszulassen. Jubelnd und kreischend tobten Andere hinterdrein, und Josefa bebte schaudernd in sich zusammen, als sie sich mitten in dem ungewohnten wilden Lärm jetzt sogar noch von den Freunden getrennt fand. Osantos hatte nämlich, als sie das Dorf erreichten, den Zügel ihres Pferdes ergriffen, und während die Eingeborenen in jubelnder Lust um den Häuptling herdrängten, trennten sie ihn von seinen weißen Begleitern. Allerdings versuchte Diego, ihm nachzukommen, aber es war nicht möglich, und von den Wilden überhaupt mit mißtrauischen Blicken betrachtet, mußten sie endlich ihre Pferde einzügeln, um nicht ein oder das andere Kind niederzureiten.
„Das geht recht schlecht," brummte Felipe leise seinem Begleiter zu, „denn der rothe Halunke da vorn hat Böses im Sinn. Ich fürchte fast, wir werden das arme Mädchen als Senora Osantos hier zurücklassen müssen, um später einmal die Mutter einer zahlreichen Nachkommenschaft von solch‘ halbrothen kleinen Teufeln zu werden, wie sie da überall an den Pferdeschwänzen hängen."
Diego griff seinem Thier in die Zügel, daß es hoch aufbäumte, und im wilden Trotz suchte die Hand unter dem Schutz des Ponchos nach dem Messergriff - aber was hätten sie jetzt - hier gegen die Ueberzahl der Feinde ausrichten können! /69/
„Er darf sie nicht haben, Felipe," zischte er endlich mit kaum verhaltener Wuth - „Du hast Recht, das ist sein Plan! Aber erst soll er meinen letzten Tropfen Blut genommen haben, ehe er das Mädchen sein nennen darf."
„Würde er auch mit dem größten Vergnügen nehmen," spottete der alte Gaucho bitter vor sich hin. „Die Dirne hat ihm einmal den Kopf verrückt, und er will und - wird sie haben, ja, und wenn er uns allen Beiden und noch zwanzig Anderen die Köpfe deshalb abschneiden sollte. Was liegt solch einem rothen Halunken an einer Menschenkehle? - Ihr dürft Euch aber eigentlich gar nicht beklagen," fuhr der Alte leiser fort, als ihm Don Diego kein Wort darauf erwiderte. „Ich habe Euch gewarnt, den rothen Canaillen zu sehr zu vertrauen, und Euch, um der heiligen Jungfrau willen, nicht weiter mit ihnen einzulassen, als Ihr sie mit einem Messer erreichen könnt. Jetzt seht Ihr, was daraus entstanden ist."
„Aber der Häuptling hat noch gar nicht gesagt, daß er das Mädchen zurückhalten will," warf Diego ein, sich an den letzten Strahl von Hoffnung klammernd.
„Bah!" brummte der Alte. „So viel für das, was er sagt und was er nicht sagt. Hier kommt cs darauf an, was er denkt und thut, und seht ihn da vor uns, wie er den Zügel ihres Pferdes hält - wie seine Blicke gierig an ihr hängen. Dort hinten geht die Sonne unter - wenn sie wieder aufsteigt, müßte ich mich sehr irren, oder sie begrüßt Senora Osantos an der Seite ihres wilden Gatten."
„Du hast Recht, Felipe, hier ist keine Zeit mehr zu verlieren," rief Diego rasch, indem er seinem Pferde die Sporen gab.
„Was wollt Ihr thun?" mahnte der Alte dringend. „Nur keinen dummen Streich!"
„Habt keine Furcht," sagte der junge Mann, „ich weiß, in wie weit Osantos über unser Leben gebieten kann, wenn ich auch kaum glaube, daß er an das meinige Hand legen würde."
„Denkt ja nicht, daß der etwa Rücksichten nimmt," sprach der Alte. Aber Diego hörte ihn schon nicht mehr, und durch /70/ die Indianer drängend, die ihm gar nicht recht willig Raum gaben, ritt er gerade zum Häuptling hinan.
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