Gesammelte Schriften
von
Friedrich Gerstäcker.
Zweite Serie.
Vierter Band.
Volks- und Familien-Ausgabe.
Wilde Welt
Gesammelte Erzählungen
von
Friedrich Gerstäcker.
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Jena, Hermann Costenoble
Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig
Ausgabe letzter Hand, ungekürzt, mit den Seitenzahlen der Vorlage
Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig, 2020
Unterstützt durch die Richard-Borek-Stiftung und
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In den Pampas.
Geschrieben 1864 für Jugend-Album. Blätter zur angenehmen und lehrreichen Unterhaltung im häuslichen Kreise.Hallberger, Stuttgart. Laut eigenhändigem Werksverzeichnis vorgesehen für den Sammelband Buntes Treiben unter dem Titel Die Pampas-Indianer.
I.
Ueber die Steppe brauste der Pampers. Scheu duckte sich das Wild in's hohe Gras, das einem wogenden See fast täuschend ähnlich sah; die Heerden drehten dem Sturm das Rücktheil zu, senkten die Köpfe und schlossen vor den peitschenden Tropfen die Augen. Nur der Strauß kauerte sich, der Windsbraut gerade entgegen, dicht auf den Boden nieder, streckte den langen Hals voraus, den Kopf unter irgend einem Grasbüschel bergend, und ließ das Wetter über seine dicht angeschmiegten Federn ziehen.
Der Himmel war schwarz umzogen, grelle Blitze zuckten oft durch die düsteren Wolkenschleier, und von Zeit zu Zeit schlug ein schwerer Schauer auf den Boden nieder, unzählige kleine Lachen bis zum Rande füllend.
Ueber die Steppe, mit dem Sturme, brausten auf schäumenden, keuchenden Rossen zwei Reiter - wilde, abenteuerliche Gestalten wie die Scenerie, die sie umgab, und prächtig zu ihr passend.
Der Eine von ihnen war ein Indianer, der Andere ein Weißer - ein Gaucho oder Eingeborener des Landes, nur von weißen Eltern abstammend, aber Beide hatte die Steppe groß gezogen, Beide hatten von Jugend auf die freie grüne /2/ Ebene um sich gesehen und mit Bolas 1und Lasso das scheue Wild gejagt, und Beiden war das wackere Roß, das sie im Fluge über die Ebene trug, so unentbehrlich znm Leben geworden, daß sie sich eine Existenz außer dem Sattel kaum noch denken konnten.
Beiden Reitern, dazu gleich abgehärtet gegen Wind und Wetter, wie sie waren, schien das Element, in dem sie sich bewegten, gerade wie eigens für sie gemacht, und doch hatten Beider Sphären bis noch vor wenigen Tagen weit, weit auseinander gelegen.
Don Diego war einer edlen Familie entsprossen, die noch jetzt in Montevideo die höchsten Ehrenstellen bekleidete, und wenn auch in den Pampas erzogen, hatte er doch in Montevideo selber eine so gute und tüchtige Erziehung genossen, wie sie ihm Südamerika nur bieten konnte. Sein Begleiter dagegen, Osantos, ein Häuptling der früher mächtigen Nybygaren, war ganz und durchaus ein Wilder, von der mit einem wollenen Tuch umwundenen Stirn bis zu den Zehen nieder, /3/ die in der von einem Pferdebein gestreiften Haut staken. So verschieden sie aber sonst auch handeln und denken mochten, in diesem Augenblick schien Beiden ein gemeinsames Ziel gesteckt, und dicht neben einander hin brausten die Pferde, und schnaubten mit den Nüstern, wenn ein grellerer Blitz als vorher aus den Wolken zuckte und schmetternder Donner prasselnd hinterdrein über die Steppe brach.
Der Abend dämmerte schon - lange Reihen von Wildenten strichen schwirrend an ihnen vorbei - ein paar Mal schreckte ein Kasuar dicht vor den Hufen ihrer Pferde auf, daß die Thiere scheu zur Seite stoben, oder ein Hirsch fuhr aus seinem Bett empor und floh in weiten Sätzen die Steppe entlang. Aber keiner der Reiter drehte auch nur den Kopf nach dem Wild. Ihre Ponchos um sich her geschlungen, die Zügel fest in der Faust, mit scharfem Blick dabei am Boden spähend, die vielen kleinen Erdlöcher zu vermeiden, die der dachsartige Viscacho in die Erde gegraben, flogen sie dahin, kein Wort mitsammen wechselnd, bis ihnen plötzlich aus der Ferne einige matte Lichtstrahlen entgegenfunkelten.
Beide hatten die glänzenden Punkte zugleich gesehen - Beide zügelten zugleich ihre Pferde ein, und der Indianer, mit seiner langen Lanze dorthinüber deutend, sagte in spanischer, nur wenig gebrochener Sprache:
,,Dort, Don Diego - dort liegt Eruzalta - Ihr könnt den Weg dahin nicht mehr verfehlen - haltet Ihr Euch aber noch ein klein wenig mehr links, so trefft Ihr die Räderspuren der letzten Mendoza-Caravane, die gerade darauf zuführen."
„Und Du willst jetzt zurück, Osantos?"
„Noch nicht," lachte der Wilde. „Erst denke ich mir den Platz da drüben einmal selber ein wenig anzusehen - aber wir dürfen nicht Beide zusammengetroffen werden."
„Nimm Dich in Acht. So viel ich weiß, liegt argentinisches Militär darin," warnte ihn sein Gefährte.
„Und wenn auch,", zischte der Wilde, während sein Auge glühte. „Sie müssen rasch in den Sätteln sein, wenn sie dem Strauß der Pampas in der Nacht folgen wollen - und in den Bereich meiner Bolas wagen sie sich doch nicht." /4/
„Aber sie führen Gewehre."
„So viel für ihre Gewehre," knurrte der Indianer finster vor sich hin. „Im Dunkeln, wenn ich die Gestalt sehe, treffe ich mit meiner Bolas den Punkt - die Gewehre schießen vorbei am Hellen Tag. Habt keine Sorge um mich, Seňor - ich bin mit meinen Leuten an dem bestimmten Ort und zur rechten Zeit."
„Aber ich kann Dir bessere Nachricht bringen, wie Du selber je im Stande wärst, sie Dir zu holen," rieth noch einmal der Weiße ab, „und wenn sie Dich fingen, wäre unser ganzer Plan mißglückt."
„Mich fangen?" - lachte der Wilde, nur bei dem Gedanken an eine solche Unmöglichkeit - „sie sollen's versuchen. - Nein; ich will selber sehen - und jetzt genug. Hei! wie das stürmt, als ob es die Pferde vom Boden heben und mit fortreißen wollte. Aber gut - gut - bei solchem Wetter liegen die argentinischen Schufte bei ihrem caňa in den Pulperien 2und durch die Fenster kann man ihre Köpfe zählen. - Auf Wiedersehen, Seňor - und nehmt Euch selber in Acht, daß sie in Euch nicht den Unitarier erkennen. Ihre Messer sind scharf, ihre Hand ist schnell - und Rosas liebt die rothe Farbe des Blutes."
„Den Tod über sie; ich fürchte sie nicht," zürnte der Reiter, fast unwillkürlich aber dabei nach der eigenen Waffe, seinem Messer, greifend, ob sie noch zum Gebrauch bereit säße - „auf Wiedersehen denn, Osantos - doch ich kann Dir keine Zeit bestimmen."
„Vergeßt das Zeichen nicht," mahnte der Indianer.
„Bei dem Wetter aber zieht der Rauch am Boden hin!" rief Diego.
„Der Pampero hat bald ausgetobt," sagte der Wilde - „schon dreht er sich nach Süden herum. Morgen früh weht kein Luftzug."
„Desto besser dann, und nun a Dios, Compaňero," und mit den Worten preßte er die Flanken seines treuen Thieres, /5/ das scharf mit den Nüstern schnaubend den schönen Kopf auf und nieder warf. Und über die Steppe hin flog der Reiter, den fernen Lichtern entgegen, die ihm durch den dämmernden Abend entgegen funkelten.
Still und regungslos in dem Sturm hielt dagegen der Indianer, den Blick auf die Gestalt des Reiters geheftet, so lange er ihr in der Nacht mit den Augen folgen konnte. Sein brauner, mit weißen und schwarzen Fäden durchwebter Poncho schlug und flatterte im Winde, und wild und wirr peitschte ihm das lange nasse Haar um die Schläfe. So arg tobte dabei der Sturm über die Steppe, daß er die wohl vierzehn Fuß lange Rohrlanze nicht einmal gerade emporhalten konnte und sie vor dem heulenden Orkan senken mußte. Aber das Alles kümmerte ihn wenig genug, denn seit seiner Kindheit war die Steppe seine Heimath, und er mit allen ihren Freuden und Schrecken von Jugend auf so vertraut geworden, daß er den rasenden Pampero so wenig achtete, wie den leisen Südostwind und tiefblauen Himmel. Er kam eben und brauste vorüber - Pferd und Reiter wandten ihm nur den Rücken und ließen ihn seine Wuth an dem wehenden Grase der Pampas verschwenden - nicht einen Zoll breit konnte er sie von ihrer Stelle rücken.
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