"... Sicher verstehst du meine Lage und kannst mir helfen. Also, bis bald", sprach der Mann, woraufhin er zweimal in die Hände klatschte. Kurz darauf kam ein großer Falke angeflogen und nahm ihn mit. Fegat sah ihm nach und seufzte.
Felina kam auf ihn zu. "Wer war denn das? Der sah ja richtig komisch aus."
Fegat lächelte sie an und flüsterte: "Ein guter Freund meines Vaters. Was er gesagt hat, beunruhigt mich ein wenig. Aber das kann ich dir auch später erzählen. Wenigstens weiß ich jetzt, wo wir hier sind. Dies ist die Stadt Wolkenlauf, eine der sechs größten Städte des Landes. Und momentan ist es der dritte Tag, seit ich dich gefunden habe. Wir können uns erst mal einen Platz für die Nacht suchen, morgen früh sehen wir weiter."
Felina lächelte. "Ich bin einverstanden. Aber jetzt würde ich gerne ein wenig einkaufen. Gibst du mir etwas Geld, damit ich alles schnell erledigen kann?"
Fegat sah sie entgeistert an. "Hast du etwa geglaubt, ich hätte Geld bei mir? Da muss ich dich nämlich enttäuschen. Ich habe zu Beginn meiner Wanderung nichts mitgenommen. Aber warte", lenkte er schnell ein, als Felina einen betrübten Gesichtsausdruck machte. "Du vergisst Narbenkralle. Er hat sicher etwas bei sich und lädt uns vielleicht sogar ein. Also komm mit, ich weiß, wo er sich meistens herum treibt. Manche Gewohnheiten ändern sich bei ihm nie, egal in welcher Stadt er gerade ist." Sofort lachte Felina wieder und gemeinsam gingen sie die Hauptstraße entlang an den vielen Geschäften, Wohnhäusern und Gaststätten vorbei. Nach einem kleinen Fußmarsch zeigte Fegat auf ein großes Wirtshaus, das hell erleuchtet war.
"Da wird er sein. Jetzt bekommen wir endlich wieder was zu essen."
Gerade als sie auf die Tür zu gingen, rannte ein Mann voller Panik heraus und schrie wirres Zeug. Er war untersetzt und trug eine schwarze Schürze um den Bauch. Fegat brachte ihn mit einem gestellten Bein zu Fall. "Langsam, mein Alter! Was ist denn so schreckliches passiert, dass du sogar aus deiner eigenen Kneipe flüchtest?" lachte er und sah auf den keuchenden Mann, der wieder aufstand und sich den Dreck von der Schürze wischte und den er zu kennen schien.
Mit zitternder, obwohl kräftiger Stimme antwortete der Wirt: "Ach du bist es, Fegat. Dein Kumpel ist ausgeflippt. Er hat Stühle zerschlagen und alle Gäste vertrieben. Unternimm schnell etwas, oder du kommst für den gesamten Schaden auf."
Fegat grinste nur. "Und wenn ich ihn zur Vernunft bringe, was bekomme ich dafür?"
Der Wirt rieb sich den kahlen Kopf. "Dann erlasse ich dir eine Woche lang die Kosten für alles, was du bei mir bestellst. Meine Preise hast du ja noch nie besonders gemocht."
Fegat nickte. "Das ist ein Wort. Gut, ich mach das eben. Felina, kommst du mit? Ich will ihn dir vorstellen."
Schon vor der Tür hörten sie wildes Geschrei, und lautes Donnern drang nach außen. Allen Mut zusammen genommen, wagten sie sich hinein. Es war ein einziges Schlachtfeld: Überall Holzsplitter, vereinzelt lagen Stücke von Tischen und Stühlen herum. Die Lampen an der Decke waren übel zugerichtet, hatten aber nur wenig an Leuchtkraft verloren. Am anderen Ende des Raumes stand die Theke, die als einziges Stück heil geblieben war. Neben der Theke war eine Tür, wahrscheinlich zu einer Art Lagerraum, aus dem das Geschrei kam. Langsam schlichen die beiden dorthin, wobei Felina sich hinter Fegat versteckt hielt und nach allen Seiten sah, ob nicht plötzlich ein Angriff von hinten drohte. Fegat war eigentlich darauf vorbereitet, seinen Kumpel sofort außer Gefecht zu setzen, sobald dieser auftauchen würde. Doch soweit kam es gar nicht. Lautes Gepolter kam aus dem Raum hinter der Tür und direkt danach machte Felina sehr unangenehme Bekanntschaft mit Narbenkralle.
Aus der Tür stürmte so etwas wie ein Werwolf, obwohl dieses Ungetüm wesentlich größer und stärker aussah. Mit gefletschten Zähnen, einem Messer in der einen Klaue und einem Stuhlbein in der anderen wirkte Fegats Freund so furchteinflößend, dass sich Felina sofort zusammenkauerte und nur noch zittern konnte. Narbenkralle hatte wüstes braunschwarzes Fell, trug lediglich eine dunkelblaue zerfetzte Hose und seine gelben Augen blitzten auf, als er die beiden vor sich sah. Er stieß ein wildes Kampfgebrüll aus, um sie einzuschüchtern, was ihm bei Felina längst gelungen war. Fegat jedoch war unbeeindruckt davon und ging auf ihn zu.
"Na, komm schon. Mein guter Narbenkralle, welche Laus ist dir über die Leber gelaufen? Beruhig dich wieder."
Doch sein langjähriger Freund dachte nicht daran, sich zu beruhigen. Stattdessen versetzte er Fegat einen derben Hieb mit dem Stuhlbein. Fegat flog in hohem Bogen gegen die Theke. Dann schnellte Narbenkralles Schnauze herum und sah Felina mordlüstern an. Sie kreischte auf, konnte sich aber aus lauter Angst nicht rühren. Narbenkralle ging auf sie zu und schien sogar auf seine Art zu lächeln. Direkt vor ihr blieb er stehen und hob sein Messer. Fegat rappelte sich auf und sprang dem Angreifer von hinten in den Rücken. Narbenkralle fuhr in seiner Überraschung herum und wollte nach Fegat schlagen. Doch der hatte sich in das dichte Fell festgekrallt und ließ nicht los. Felina stand schnell auf und ging außer Reichweite. Nebenbei suchte sie nach irgendwas, womit sie Fegat helfen konnte. Narbenkralle brüllte laut und versuchte sich der Last zu entledigen, immer wilder schüttelte er sein Fell und Fegat wurde hin und her geschleudert. Doch er gab nicht nach und biss schließlich in ein Ohr seines Freundes. Narbenkralle jaulte auf und fiel dann wie leblos zu Boden. Es gab eine leichte Erschütterung und das behaarte Ungetüm lag inmitten der Holzsplitter. Felina hatte sich schon ein Tischbein gepackt und war bereit zu kämpfen. Doch anscheinend war das nun nicht mehr nötig. Erleichtert lächelnd ging sie zu Fegat, der immer noch verkrampft das Fell festhielt.
"Was hast du mit ihm angestellt?" fragte sie leise.
"Geh in Deckung. Er wird gleich Amok laufen, dann ist nicht mit ihm zu spaßen. Ich erkläre es dir, wenn alles vorbei ist. Aber jetzt tu mir einen Gefallen und bring dich in Sicherheit. Bitte!"
Er sah sie an und in seinen Augen spiegelte sich pure Angst wider. Felina ging in eine entfernte Ecke des Raumes und sah zu den ungleichen Freunden. Genau in diesem Moment zitterte Narbenkralle am ganzen Körper. Er erhob sich langsam, stand auf wackeligen Beinen und sah sich im Raum um. Dann kippte sein Kopf leicht nach hinten und er ließ einen schrillen Schrei los. Unmittelbar danach rannte er los und prallte mit voller Wucht gegen die Tür. Sofort rannte er wieder los und fiel ziemlich hart gegen die Theke. Immer wieder lief er los, nur um irgendwo gegen zu prallen und dann weiter zu laufen. So splitterten nach und nach viele Wände, und Narbenkralle holte sich mehrere Wunden und Prellungen. Fegat hielt sich derweil so fest, wie er nur konnte, um nicht auch verletzt zu werden. Felina sah dem Treiben zu und bangte um beider Leben. Doch als sie schon dachte, dass beide am Ende seien, blieb Narbenkralle plötzlich stehen und sah sie an. Langsam ging er auf sie zu und lächelte dabei auf seine Weise. Als er vor ihr stand, setzte er sich hin und schloss die Augen. Fegat kam das sehr gelegen, denn er konnte nun absteigen und setzte sich neben Felina.
"Entschuldige bitte, dass du auf diese Weise Bekanntschaft mit ihm machen musstest. Narbenkralle hat diese Ausraster ganz selten, weswegen wir aber trotzdem schon einen gewissen Ruf haben. Die meiste Zeit ist er aber ein lieber Kerl, du wirst es gleich sehen.“
Grinsend sah er zu ihr und schloss dann ebenfalls die Augen. Sie sah die beiden an und begriff. Sofort setzte auch sie sich und machte ihre Augen zu. So saßen sie eine Weile und keiner von ihnen rührte sich. Plötzlich hörte Felina etwas, das sich wie ein Erdbeben anhörte, dennoch spürte sie keinerlei Erschütterung. Fegats Stimme war auf einmal ganz nah bei ihr.
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