»Und woher wissen Sie das so genau?«, fragte der Kommissar erstaunt.
»Von Helen Schindler, die Sekretärin. Wir gehen regelmäßig zusammen in die Sauna. Da hat sie es mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählt. Sie kriegt alles mit, was so in der Firma läuft. Natürlich hätte sie es mir nicht sagen dürfen, aber ich habe es auch nicht weitergegeben.«
»Hat Herr Haingruber den Prokuristen angezeigt?« Kronfeld beugte sich interessiert nach vorn.
»Soviel ich weiß nicht. Es sollte ja auch nicht rauskommen. Auch nicht, dass die Firma finanziell nicht mehr so gut dasteht.«
»Wollen Sie damit sagen, dass die Firma pleite ist?«
»Nein nein. So schlimm ist es sicher nicht. Aber Helen hat entdeckt, dass nicht nur einmal größere Geldbeträge verschwunden sind.«
»Was ist übrigens mit der Sekretärin? Ich habe sie heute im Büro nicht gesehen.« Kronfeld nippte an seinem Eiskaffee.
»Helen ist gerade im Urlaub. Sie und Ihr Mann fahren jedes Jahr im Sommer nach Rimini.«
»Aha, und wann kommt sie zurück?«
»Soviel ich weiß, ist sie übermorgen wieder im Büro.«
Eva schlemmte genüsslich ihren Eisbecher. »Ist das nicht ein herrlicher Platz?«, schwärmte sie.
Korbinian Kronfeld schaute sich um. Passanten schlenderten vorüber, in der Pizzeria gegenüber gab es keinen freien Platz mehr und am großen Marktbrunnen tummelte sich eine Gruppe Jugendlicher. Die schönen mittelalterlichen Fassaden der Häuser waren in den letzten Jahren renoviert und in verschiedenen Pastellfarben angestrichen worden. Unter den Arkaden drängten sich kleine Geschäfte, Bäckereien und Imbisse aneinander. Die Freischankflächen mehrerer Gaststätten waren an diesem lauen Abend fast überfüllt. Der ganze Platz strahlte ein angenehmes, südländisches Flair aus und lud Einheimische wie Touristen zum Bummeln ein. Es war wirklich ein Platz zum Wohlfühlen.
Kronfeld trank seinen Eiskaffee aus.
»Und noch so herrliches Wetter«, fügte Eva hinzu, »da möchte man noch gar nicht nach Hause gehen...«, sie sah ihn herausfordernd an.
»Stimmt«, sagte Korbinian und machte ein betretenes Gesicht, »aber leider muss ich Sie jetzt verlassen. Die Pflicht ruft mich heute noch mal in die Dienststelle zurück.«
»Schade«, schmollte sie, »verpasste Gelegenheiten kommen nicht zurück.«
Er lächelte sie an: »Wir sehen uns mit Sicherheit wieder.«
Seine ›Pflicht‹ war an diesem Abend allerdings nicht nur die Dienststelle, er musste seinen ersten Bericht schreiben, sondern auch der Biergarten, wo er sich noch mit seinen Freunden treffen wollte. Nicht dass Eva ihm nicht gefallen hätte, er fand sie sogar sehr sexy in ihrem bunten Sommeroutfit, aber es war einer seiner unumstößlichen Grundsätze, niemals mit einer Zeugin, was sie in diesem Fall war, etwas anzufangen.
Nachdem er im Büro seine Pflicht erfüllt hatte, machte er sich auf den Weg zum ›Bären-Bräu‹.
Als der Wecker Dienstagfrüh klingelte, wieder mal viel zu laut, war Korbinian alles andere als ausgeschlafen. Seit seiner Scheidung vor drei Jahren lebte er allein in einer kleinen Zweizimmer-Wohnung, im zweiten Stock eines Altbaus. Die Einrichtung war spärlich und zum Aufräumen fehlte irgendwie immer die Zeit. Das war schon früher so gewesen.
Seine Ex-Frau Karla, die ebenfalls berufstätig gewesen war, musste den ganzen Haushalt allein bewältigen. Für ihn war Hausarbeit verschwendete Zeit. Kostbare Zeit, die seinem Leben fehlen würde. Die Gründung einer eigenen Familie, also Kinder in die Welt setzen, wurde immer auf einen ›günstigeren Zeitpunkt‹ verschoben, der aber nie kam. So wunderte es niemanden, dass Karla ihm eines Tages die Koffer vor die Tür gestellt hatte.
In seinem Junggesellendasein gab es natürlich den einen oder anderen Flirt, aber die Damen blieben selten bis zum Frühstück und so weckte ihn keine sanfte Stimme mit einem zärtlichen ›der Kaffee ist fertig‹. Den musste er sich schon selber machen.
Nach einer ausgiebigen Dusche und einer Tasse starkem Espresso fühlte er sich dem neuen Tag gewachsen.
Im Kommissariat angekommen, ging Kronfeld zuerst in die Kantine. Sein Kühlschrank zu Hause füllte sich leider nicht von allein und in der Kantine waren die Wurstsemmeln schließlich schon fertig belegt. Im Büro hatte er seine eigene Kaffeemaschine und so wurde zu Dienstbeginn erst mal gefrühstückt.
»Ich habe Ihren Bericht schon gelesen«, begrüßte ihn Kriminalhauptkommissar Lackner, als Kronfeld wenig später in das Büro des Chefs kam. »Da ist ja schon einiges zusammengekommen. Die Explosion, der Einbruch, dann der Fund der Leiche…, und wahrscheinlich auch noch Kontakt ins Rotlichtmilieu.«
»Und gestern Abend habe ich noch erfahren, dass der Prokurist der Firma wegen angeblicher Unterschlagung gefeuert wurde«, fügte Kronfeld hinzu, »das ist auch eine Spur, der wir nachgehen müssen.«
»Das scheinen ja umfangreiche Ermittlungen zu werden, Kronfeld. Bilden Sie gleich eine Sonderkommission und holen sie sich dazu, wen immer Sie brauchen, meinen Segen haben Sie. Sie übernehmen die Leitung.«
Fälle, in die bekannte Persönlichkeiten verwickelt waren, verursachten Lackner immer etwas Magenschmerzen und er wollte sie schnellstens gelöst wissen.
»Die Versicherung drängt auch schon auf eine rasche Aufklärung. Allein die Versicherungssumme liegt bei zwei Millionen Euro ohne die Schadensregulierung für die teure Jacht«, fügte der Chef seufzend hinzu. »Was erklären wir dem Staatsanwalt und was geben wir an die Presse?«
»Tja…, ohne die Endergebnisse der Sachverständigen haben wir im Moment nicht viel anzubieten«, erwiderte Kronfeld abwägend.
»Na dann an die Arbeit«, drängte Lackner, »je eher wir den brisanten Fall vom Tisch haben, desto besser kann ich wieder schlafen.«
Auf dem Weg zum Aufzug sah Korbinian eine Gruppe Kollegen am Getränkeautomat stehen.
»Ich habe jetzt endlich meinen Bootsführerschein, das nennt sich Binnenschifffahrtspatent«, hörte er Hans Moser vom Sittendezernat erzählen, »aber so etwas interessiert unseren Bergfex nicht«, fügte er hinzu als er Kronfeld sah, »der rennt ja nur auf die Berge und fotografiert Blümchen.«
Kronfeld überhörte mit einem Lächeln diese spöttelnde Anspielung auf sein Hobby. Das Fotografieren von Bergblumen in Makrotechnik war schon seit seiner Jugendzeit seine große Passion. »Da hab ich wenigstens meine Ruhe. Ihr Freizeitkapitäne sitzt doch nur zum Angeben auf euren Kaffeedampfern.«
»Da täuscht du dich aber, mein Lieber«, plusterte Moser sich auf, »die mit den Kaffeedampfern sind die Bonzen aus der Stadt, wir betreiben das Segeln schon noch als Sport. Vielleicht werde ich sogar Mitglied im Segelclub«, grinste er.
»Ich fürchte, dazu fehlt dir noch das nötige Kleingeld«, witzelte Kronfeld. »Aber Spaß beiseite Hans, gut dass ich dich gerade treffe. Wir bilden eine SOKO im Fall Haingruber. Eine Spur führt offensichtlich ins Rotlicht-Milieu, da möchte ich dich gern dabei haben. Kannst du in einer Stunde in die SOKO-Zentrale kommen?«
»Ah ja, hab schon von dem Fall gehört. Der große Haingruber ist von uns gegangen worden. Okay, ich bin in einer Stunde da.«
Die SOKO-Zentrale war ein großer Raum in dem sich mehrere Schreibtische befanden. Jeder Arbeitsplatz war mit eigenem Telefon und Computer ausgestattet. Außerdem gab es dort eine große Pinnwand.
Zurück in seinem Büro, überlegte Kronfeld, wen er noch zur ›SOKO Haingruber‹ hinzuziehen sollte. Hans Moser von der ›Sitte‹ war schon mit im Boot, desweiteren brauchte er Werner Deininger vom ›Einbruch‹ und am besten auch noch Gustl Meierle vom ›Betrug‹, der könnte sich mit den Unterschlagungen in der Firma befassen. Jeder von ihnen hatte sein Spezialgebiet, jeder hatte Erfahrung mit der Arbeit in einer SOKO und jeder hatte seine Verbindungen und Informanten.
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