Die beiden jungen Leute drückten sich auf den hinteren Sitzen so eng aneinander, dass kein Feigenblatt mehr dazwischen ge- passt hätte. Sie flirteten offensichtlich, kicherten und parlierten auf Arabisch - denn sie sprach kein Berber - und schliefen ir- gendwann Händchen haltend ein.
Ein schönes Paar ! Die Verbindung zwischen Vettern und Basen ist gerade bei Berbern üblich und sogar erwünscht, um das biss- chen Vermögen zusammenzuhalten.
Aber der lebenshungrige Hamid hatte andere Pläne, die nicht in jene Welt passten.
Übrigens: Der Name dieses Mädchens ist Soumia. Sie sollten ihn sich merken!
Sklavenarbeit ist seit dem 19. Jahrhundert weltweit verbo- ten und Kinderarbeit ist zumindest in unseren Regionen ver- pönt, kommt aber doch vor. Vielfach bleibt armen Familien im Maghreb, wie überall in der Welt, nichts anderes übrig, als ihre Nachkommenschaft schon in frühem Alter zu beschäftigen.
Wie schon erwähnt, hat Hamids Vater mit Allahs Hilfe 14 Kin- der gezeugt. Seine Frau, heute Mitte 50, ist darüber alt und krank geworden.
Der kleinwüchsige Patriarch hatte seine Kinder von Anfang an zur Arbeit angehalten, im Notfall mit dem Riemen.
Die kleine, zarte Zahra, Hamids Schwester, war immer dabei. Heute ist sie siebzehn und im heiratsfähigen Alter. Das sehr scheue, fast autistisch wirkende Mädchen wird aller Wahr- scheinlichkeit nach nie eine Schule besuchen, nie eine andere Sprache als Berber sprechen und nie andere Länder sehen.
Sie wird, wie ihre Mutter, in einem Verließ das Essen zubreiten, in gebückter Haltung den Schmutz wegfegen und sich devot zurückziehen, wenn Männer im Raum sind.
In der Stadt hat sich die Situation inzwischen gelockert. Frau- en haben oft - mit Genehmigung des Hausherrn - einen Mi- nijob, Familien essen zusammen und fast alle Kinder gehen eifrig zur Schule.
Unter Berbern ist diese Lockerung der Sitten unerwünscht.
„ Insh‘ Allah “, so Gott will, wird Zahra eines Tages ihrem An- getrauten zu dessen Mutter folgen, die sie wiederum als billige Arbeitskraft missbrauchen wird.
Laut Brockhaus ist Sklaverei die „ völlige rechtliche und wirt- schaftliche Abhängigkeit von einem anderen “.
Wer wird sich eines Tages anmaßen, für diese Frauen zu kämpfen ?
Vermutlich nur die Frauen selbst . . .
Wie der arabische Frühling 2011 gezeigt hat, eine Mammutaufgabe!
Das ist es, was auch mir bei meinen Besuchen in Marokko auf- fiel: die eng aneinandergeklebten Wohnsilos und Blockhütten, die bittere Armut, die bleierne Müdigkeit, die sinnlose Geschäf- tigkeit.
Ich erinnere mich noch an den kleinen Hassan, den Schuhput- zer. Jeden Tag baute er sich mit geschäftsmäßigem Lächeln vor mir auf: „ Shoe clean, Mister? “
Der gebräunte Junge trug ein ausgebleichtes T-Shirt und eine karierte Baumwollhose, die wohl von seinem älteren Bruder stammte, da sie unten zweimal umgekrempelt war.
Auf meine Frage, womit ich ihm eine Freude bereiten könnte, deutete er auf seine Gummilatschen und antwortete prompt:
„ Shoes, Mister ! “
Er zog mich an der Hand und schleppte mich durch die halbe Stadt - nicht in den Basar - sondern zu einem Schuhgeschäft. Zielstrebig zeigte er mir schwarz-gelbe Turnschuhe. Ohne darüber nachzudenken, stimmte ich zu. An der Kasse fiel ich aus allen Wol- ken. Der junge Herr hatte sich ein Paar für damals DM 50,- ausge- sucht; ein horrender Betrag für Marokkaner seiner Klasse. Später erfuhr ich, dass er weiterhin mit seinen ausgelatschten Strandsan- dalen herumlief und die Turnschuhe verkauft hatte.
Das Geld hat ihm sicher mehr geholfen, als die neuen Schuhe. Die Armut Marokkos ist nicht zu vergleichen mit der Schwarzaf- rikas. Zumindest haben alle zu essen und zu trinken, manchmal mehr, manchmal weniger.
Aber es ist die Hoffnungslosigkeit, die sie sich arm fühlen
lässt. Die Eltern sparen jeden Dirham, um ihren Kindern eine adäquate Schulausbildung zu ermöglichen. Nach erfolgreichem Abitur oder Studium ist die Karriere schon oft zu Ende.
Kinder ohne Ausbildung landen auf dem Markt als Zuträger oder Teeverkäufer.
Mädchen bleiben oft behütet im elterlichen Haus. Wenn sie viel Glück haben, stehen sie für € 60,- in einem Supermarkt oder für
€ 200,- vor einer Klasse mit Schulkindern.
Die jungen Männer schieben die Brautschau immer länger hinaus. Auch Marokkanerinnen lehnen einen armen Schlucker inzwischen vehement ab. Vor allem in den Städten wird kaum mehr von den Eltern v e r h e i r a t e t.
„ Meine kläglichen Anfänge . . .
An einem sommerlichen Tag im Dezember, es war genau der Dreissigste, verließ ich den dunklen, warmen Bauch meiner Mutter, um mich in einem ebenfalls dunklen, aber kalten Raum wiederzufinden. Irgendwie erschreckend !
Dabei hatte ich noch Glück, dass es nicht der erste Januar war, an dem viele Marokkaner ihren Geburtstag feiern, weil sie das wirkliche Datum nicht kennen.
Die ersten Jahre gestalteten sich friedlich. Das sollte sich an mei- nem fünften Geburtstag schlagartig ändern. Mein Vater hatte entschieden, dass ich alt genug sei, die Ziegen zu hüten. So zog ich Tag für Tag in die spärlichen Wälder, immer in Angst, eine der Ziegen zu verlieren.
Mit sieben schien ich reif für die schulische Grundausbildung. Ich war überglücklich. Klein, aber sehr willig, machten mir die acht Kilometer zur Schule nichts aus. Gerade mal drei Jahre hatte meine Schulzeit gedauert. Mein Vater war der Auffassung, dass mein Kopf intelligent genug wäre, um Hodscha, also so etwas wie Priester, zu werden.
So nahm ich das angesparte Geld, das für die Bücher der nächs- ten Jahre gereicht hätte, um mich zu verschicken, wie das wohl heißt. Ich wehrte mich mit Händen und Füssen, da ich wirklich gern in die Schule gegangen war. Und ich hatte Erfolg gehabt. Mit meiner Gegenwehr dagegen leider nicht.
Also landete ich in einem kleinen, staubigen Dorf im Atlas, und wurde dort in die Hände eines Moscheevorstehers gegeben. Als
Berber war Arabisch eine Fremdsprache für mich, die ich in den drei Schuljahren relativ gut gelernt hatte. Dort aber wurde ich mit Versen aus dem Koran konfrontiert, aber auch mit schmut- zigen Böden und der schweißgetränkten Wäsche meines Herrn und Meisters.
Es folgten viele Nächte der Angst, der Tränen und auch der Wut. Auch heute kann ich nicht über alles sprechen. Nach zwei- einhalb Jahren war die Zeit gekommen, einen schweren Schritt zu machen, der mich in die vermeintliche Freiheit führen wür- de. Eines Morgens war das Fass übergelaufen. Ich packte meine Sachen und schlich mich aus dem Haus. Ich rannte, so schnell mich meine kleinen Füße trugen. Da ich keine normale Straße gehen konnte, folgte ich den Ziegenwegen durch die Wälder, die damals noch von Wölfen und - man glaubt es kaum - von Kleinelefanten bevölkert waren.
Mein Hunger zwang mich irgendwann, ein kleines Dorf an- zusteuern. Mein Klopfen hatte Erfolg und ein alter, gebückter Mann öffnete die blaue Tür. Auf meine Frage nach Arbeit, bat er mich zuerst herein, um mir dann etwas Essen und zu Trin- ken anzubieten.
Das war der glücklichste Tag seit Langem. Die bohrenden Fragen des Alten musste ich ausweichend beantworten. Ich hatte pani- sche Angst, wieder zurückgeschickt zu werden. Nach kurzem Besinnen offerierte man mir 300 Dirham (circa € 30,-) im Monat und ein Zicklein am Ende des Jahres, nach erfolgreicher Arbeit. Ehrlich gesagt, war mein Ziel ein anderes. Ich wollte in die Stadt, obwohl ich keinen richtigen Begriff hatte, was das heißen sollte. Nolens volens sagte ich zu, um schon endlich meinen
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