Innen. Heimat. Nacht.
Zum ersten Mal höre ich, dass hier drin Musik läuft. Gerade jetzt Positive Vibrations, so'n Reggae-Ding von einem toten Rasta, den alle immer ganz wunderbar finden. Hier scheint es keiner zu hören. Außer Carl, der hier die Musik steuert. Wann macht er das bloß neben seiner ganzen Cocktail-Arbeit?
Wie immer Gedanken lesend antwortet Carl: »Mische ich zuhause ab, je nachdem, was hier gestern Abend gelaufen ist. Die Vibrations waren gestern eher mies.«
Eine crazy Friseur schiebt sich ins Bild, Captain Mnemo flüstert mir zu: Luzie, der Schrecken der Strasse.
»Hi, ich bin Luzie. Dich kenn' ich schon: Mia.«
»Hi, Luzie, dann sind wir ja schon fast wie Schwestern.«
»Von wegen. Schwestern hab' ich genug: Vier. Alle jünger. Haben alle in die Hose geschissen, habe ich live gesehen.«
»Dann wird es wohl nichts mit uns. Ich bin Einzelkind.«
Luzie nimmt mich kurzer Hand in den Arm: »Komm' mal her, ist nicht so schlimm. Das wird schon wieder.« Sie meint das ernst, das spüre ich deutlich. Nicht einen Fingerbreit Ironie in ihrer Stimme.
»Setz' dich doch. Was trinkst du?«
»Carl kennt meine Vorlieben.«
»Ok, Carl, dann mal her mit den Vorlieben!«
»Kommt sofort.«
In einem, wöchentlich erscheinenden Liebesroman würde stehen: Luzie beherrscht die Gabe der Vertrautheit, wie sie eben eine Handvoll Menschen beherrschen. Man ist Teil dieses Herzens, gefragt wird man dazu nicht. Ist auch nicht schlimm.
In der Realität der Heimat sagt Luzie: »Nacht fünf ist übrigens die entscheidende Nacht.« Hier scheint jeder mitzuzählen. »Entweder, du bleibst, oder: Ende Gelände!«
Ich frage: »Wann entscheidet sich das?«
»Wie: wann? Nix wann, Du entscheidest das, nicht der heilige Geist der Heimat. Du! Und zwar am Ende der Nacht. Basta!«
Ich entscheide mich für eine ehrliche Antwort: »Entscheidungen sind nicht so mein Ding.«
»Das sollte aber dein Ding werden. Hast du's eher im privaten oder beruflichen Bereich?«
Aha, die Heimat ist also doch eine Zweigstelle der Arbeitsagentur, Unterabteilung Karriereberatung. Die Sachbearbeiter sind mir sympathisch, das muss ich zugeben: »Also, ich will doch meine wertvollen Admistratorenrechte nicht so einfach an die liebe Kollegin weitergeben. Ich will keine Extra-Runde durch die Drehtür drehen, meine Karriere habe ich fest im Blick. Das ist das, was ich am besten kann: meine Karriere verfolgen. Oder besser: was ich am besten konnte.«
Luzie schaut mich ganz ruhig an.
Ich bin noch nicht fertig, weiter im Text: »In irgendeiner Mafia-Serie habe ich mal den Satz gehört Du zahlst immer den Preis. Ich zahle bar: Abitur mit Bestnote nach unendlicher Plackerei, maximal zwei Gläser Wein am Abend, nicht Rauchen (auch nicht zum Spaß), Dünnsein und Dünnbleiben, Anmalen und Abschminken, Ja und Amen sagen, Verzicht auf Kinder – vorerst, denn es passt noch nicht.« Ich verstumme.
War da aber nicht noch was? Gibt es da nicht eine Resterinnerung? Da hat doch etwas nicht gepasst. Ein Kind kurz vor dem Master? Nein. Also entschieden.
Warum ist das nicht so wie am Ende jeder Ally Mc-Beal-Folge ( http://de.wikipedia.org/wiki/Ally_McBeal): Zum Schluss sind alle Anwälte in der Martina-Bar unterhalb der Kanzlei, es wird über alles geredet, alle Probleme lösen sich in Luft auf, Vonda Shepard ( http://www.youtube.com/watch?v=j_Kktmzk8us) singt und alles ist gut? Ihr scheiß Serienschreiber: Das ist ein Trug-»Schluss». Nichts ist gut.
Ich will jetzt ich in den Arm genommen werden. Getröstet werden. Das wünsche ich mir.
Tatsächlich, wirklich ein Mal im Leben geht ein Wunsch von mir in Erfüllung. Und wie mein Wunsch in Erfüllung geht. Luzie hält mich fest, ganz in Stille. Hier an der Bar. Dann sagt sie nur einen Satz: »Willkommen, Mia, willkommen in der familie.«
Ich erfahre eine ganze Menge über die familie, die Zufallsverbindungen der Menschen hier in der Heimat. Gibt's überhaupt Zufälle? Wie ein Magnet hat mich diese Bar doch angezogen, meine Moleküle haben sich ausgerichtet und, zack, bin ich schon durch die Strassen geflutscht bis zu Carl vor den Tresen. Der im Moment so gar wie nichts zu tun hat und meinem Luzie-Gespräch mit den Augen folgt.
Luzie nimmt Fahrt auf: »Es war gar nicht geplant, dass wir hier den Menschen so etwas wie Zuversicht vermitteln. Du brauchst nur ein bisschen am Lack zu kratzen und schon tun sich Abgründe auf. Neulinge reagieren fast panisch bei Gesprächsversuchen. Morris war so ein Kaputi.«
Ich schaue wieder Luzie an: »Da hat Ruben mir schon einige Ersterlebnisse mit Morris vermittelt.«
»Na, dann brauche ich ja nicht auszuholen. Morris ist für unsere familie inzwischen so was wie eine Klammer. Zwischen innen und außen, zwischen heiliger Heimat und bösem Business.«
Ich schaue Luzie an: »Ich habe genug für heute.«
»Kann ich gut verstehen. Danke für deine Geschichte. Ich fühle mich geehrt.«
»Danke fürs Zuhören. Bis morgen.«
»Bis morgen.«
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