»Passiert mir dauern.«
»Aber nicht so eine Bar.«
»Aha, und was ist so eine Bar?«
»Gemütlich, schön.«
»Ist keine Bar. Kein Interesse. Bars sind cool oder out.«
»Ich merke schon. Wird nix mit uns. Wir können Freunde bleiben. Ich geh' noch ein bisschen spazieren. Morgen mehr. Teuerste.«
»Aber ohne, dass ich dich dauernd anposten muss!«
»Ohne Post. Ich melde mich. Versprochen.«
Innen. Heimat. Endlich Nacht.
»Dasselbe wie gestern? Es hat Ihnen, glaube ich, ganz gut geschmeckt?« Der perfekte Barkeeper, in vollendeter Höflichkeit.
»Ja, bitte, wie gestern. Werden hier alle Besucher am zweiten Tag zu Stammgästen?«
»Na ja, Sie sind wohl so etwas wie ein Rekordhalter. Bei allen anderen brauche ich noch eine zweite Bestellung, um mir das Getränk zu merken.«
»Muss ich mich geehrt fühlen?«
»Falls Sie das meinen: Ich stehe nicht auf Frauen. Aber bei Ihnen könnte ich eine Ausnahme machen. Geehrt genug?«
»Ja, ich bin geehrt genug. Bin ich in einer Schwulenbar gelandet?«
»Ach, immer dasselbe. Kaum fühlen sich die Frauen mal an der Theke wohl, glauben sie, um sie herum wären alle schwul.«
Ich will widersprechen, er hat aber Recht. Ich lasse es.
»Ich führe Sie mal in die Heimat-Mannschaft ein: Hier vorn Ruben, Emil, Tomàs, Morris. Da hinten: Luzie, Elli, Claire, Pascal.«
Er zeigt tatsächlich mit dem Vorstellungsfinger auf jeden einzelnen in der Heimat. Die Angezeigten deuten, jeder für sich, eine kleine Willkommensgeste an. Das Ritual scheint bekannt. Einer beteiligt sich nicht, schaut in sein Glas. Er heißt Morris.
Der Barkeeper streckt seine Hand hin: »Ich bin Carl, mit C.«
Automatisch schlage ich ein. Wieso, verflucht, werde ich hier so schnell eingeweiht? »Ich bin Mia, mit M. Würde meine sexuelle Orientierung gerne noch für mich behalten.«
Carl schaut mir direkt in Augen. Ich schaue genauso zurück: »Erzählst du mit etwas über Ruben, Emil, Pascal, Tomàs, Morris, Luzie, Elli und Claire?«
»Gegenfrage: Kennst du die etwa alle, Blitzvornamenmerker?«
»Zurückgegenfrage: Und wenn dem so wäre?«
»Gegenzurückgegenantwort: Dann bräuchte ich dir ja nichts über sie zu erzählen.«
»Brilliante Argumentation, höre ich da eine rhetorische Schulung?«
»Und schon wieder eine Gegenfrage.«
»Also gut: Ich beherrsche die Mnemotechnik.«
»Na, dann ist ja alles klar.«
»Will sagen, ich memoriere den Namen im Stillen oder, wie eben, laut, CARL und schon verankere ich den Namen im Raum oder gleich mit der Person.«
»Du hörst den Namen nur einmal und merkst ihn dir?«
»Yes, Mylord.«
»Ich bin demütig vor so viel Können.« Er verbeugt sich tatsächlich, es klingt nicht ironisch.
»Ruben hat ein rundes Gesicht, die Rundungen sind wie bei den Frauen von Rubens. Emil hatte eine Brille, wie im Film Emil und die Detektive.« ( http://de.wikipedia.org/wiki/Emil_und_die_Detektive_%282001%29)
Carl steigt ein: »Ich kenne sogar noch die erste Fassung von 1954. ( http://de.wikipedia.org/wiki/Emil_und_die_Detektive_%281954%29) Auch da hatte der Emil schon eine Brille.«
»Bei meiner Technik ist es egal, aus welchem Jahr der Film ist. Hauptsache, ich weiß, welcher Film gemeint ist.«
»Schon okay. Barkeeper können mit Belehrungen umgehen. Tägliche Übung. Ich weine dann erst später abends ins Kissen. Oder haue drauf, aufs Kissen, meine ich.«
»Auf Emotionen können wir keine Rücksicht nehmen. Weiter: Pascal hat einen Haufen Seiten vor sich liegen, er programmiert in Pascal und hat gerade alles ausgedruckt.«
»Wenn Pascal programmiert, stehe ich am Rand der Erde, denn die ist eine Scheibe. Pascal hasst Computer!«
»Es ist eine Merktechnik, keine-Intuitionsmaschine von der Sorte: Wir raten hier mal die Biografien der Menschheit.«
»Schon klar, schon klar.«
»Tomàs ist schwierig. Ich habe einen Thomas aus ihm gemacht, das H rausgenommen und ihm hinter die Ohren geschoben.«
»Wie bei Onkel Otto. Ach nee, das war ja kein H, das war eine Antenne.«
»Onkel Otto? Antenne? Du sprichst in Rätseln.« Ich grinse ihn an. Irgendwie freue mich, mit ihm zu reden, ihm meine Technik zu erklären. Er hört so konzentriert zu, das spornt mich an. Onkel Otto werde ich nachher googeln, versprochen.
Carl grinst zurück: »Weiter auf unserer Namensliste.«
Aber gerne: »Morris ist Morris.«
»Bitte?«
»Hab' ich mir einfach so gemerkt.«
Mia, du lügst. Morris ist Morris, weil du ihn interessant findest.
Carl holt mich auf den Planeten zurück: »Das ist dann aber keine Merktechnik, wenn Morris Morris ist.«
Ich lenke ab: »Kommen wir zu den Frauen: Luzie hatte eine wirre Frisur, kommt aus meiner Lieblingsserie als Kind.«
»Stopp, ich weiß es: Luzie, der Schrecken der Strasse.« ( http://www.tv-kult.de/?tvdbid=393&title=Luzie-der-Schrecken-der-Strasse)
»Auch deine Lieblingsserie?«
»Leider war ich da schon in den Zwanzigern. Aber ich saß mit meinem Neffen vor der Glotze. Was für ein Seriending! Aus der Tschechoslowakei, so hieß das damals noch. Mein Neffe wollte in den Fernseher kriechen. Ganz nah bei Luzie sein.«
Ich seufze: »Ging mir auch so.«
Carl mahnt zur Eile: »Aber weiter: Was ist mit Elli?«
»Sie steht auf einem Schiff, das über einen Berg gezogen wird.«
»Bitte?«
»Der Film heißt Fitzcarraldo ( http://de.wikipedia.org/wiki/Fitzcarraldo). Es gibt doch eine Ella Fitzgerald? Aus Ella wird dann Elli.«
»Ich komme langsam auf den Trichter. Sie könnte ja auch singend an Deck stehen? In meinem Alter könnte man Ella Fitzgerald auch noch live gehört haben. Summertime and the livin' is easy.«
»Bingo.« Wieso sage ich Bingo? Das ist so was von peinlich.
Carl ist es nicht peinlich: »Na, es geht doch. Ich bin lernfähig.«
»Für einen Barkeeper wäre das doch eine klasse Geschäftsidee: Mit Mnemotechnik Säufernamen behalten.«
»Langsam, langsam, Lady. Das hier sind keine Säufer.«
»War nicht so gemeint.«
»Entschuldigung angenommen. Nun zu dir: Wie merke ich mir Mia? Also ich schwanke zwischen ABBA ...«
Ich stöhne innerlich auf: ABBA, so heißt die bescheuerte griechische Gruppe, von der die Musik in diesem Film stammt. Danke, Carl, das du mich an das unwichtigste Detail meines Namenslebens erinnert hast.
»... und einer Band, deren Frontfrau dir leider gar nicht ähnlich sieht.«
»Für was entscheidest du dich?«
»Für die Schweden.«
»Die Schweden, okay. Das ist jetzt mal eine Mnemotechnik: die Schweden.«
»ABBA kommt aus Schweden.«
Wenn das hier so weiter geht, lerne ich noch was fürs Leben, denn ABBA kommt aus Schweden (ist die Reim-Merk-Methode, das nur mal so ganz kurz).
»Mamma Mia ist dann wohl dein Lieblingsfilm?«
»Homosexuelle Stereotypen waren mein Promotionsthema. Kapitel eins: Der Grand Prix d'Eurovision, Kapitel zwei: Die Disco-Ära der 1970er-Jahre. Kapitel drei: Mamma mia.«
»Dr. Carl, entschuldigen Sie meine Naivität im Umgang mit Homosexuellen.«
»Soll ich mal Gedanken lesen: Du fühlst dich hier deshalb prima, weil ich schwul bin und nichts von dir will?«
Ich habe »Bingo« schon auf den Lippen, ich nicke aber nur tapfer.
»Und wenn ich gar nicht schwul bin?«
»Dann wäre das ein ganz alter, billiger Anmachtrick, Null Prozent Erfolg bei mir, leider.«
»Gut, dann bleiben wir bei schwul.«
Carl ist groß, wollte ich Carl noch sagen. Er hat es wahrscheinlich sowieso schon geraten. Und sein C ist wie einer dieser hängenden Sitzkörbe aus den 1970er Jahren. Carl sitzt ganz entspannt drin und frönt seinen Tagträumen. Das kann ich gut sehen, das ist mal ein Bild.
»Und Claire? Claire ist sowieso klar oder?«
Читать дальше