Karl May
Winnetou Band 3
Winnetou ist die wohl berühmteste Gestalt aus den gleichnamigen Romanendes deutschen Autors Karl May (1842–1912).
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Inhaltsverzeichnis
Titel Karl May Winnetou Band 3 Winnetou ist die wohl berühmteste Gestalt aus den gleichnamigen Romanendes deutschen Autors Karl May (1842–1912). Dieses ebook wurde erstellt bei
I. An der großen Westbahn
II. Die Stakemen
III. Unter den Comanchen
IV. In Californien
V. Die Railtroublers
VI. Helldorf-Settlement
VII. Am Hancockberg
VIII. Das Testament des Apachen
Impressum neobooks
I. An der großen Westbahn
Ich hatte seit dem frühen Morgen eine tüchtige Strecke zurückgelegt. Jetzt fühlte ich mich einigermaßen
ermüdet und von den kräftigen Strahlen der hoch im Zenit stehenden Sonne belästigt; daher beschloß ich,
Rast zu halten und mein Mittagsmahl zu mir zu nehmen. Die Prairie dehnte sich, eine Bodenwelle nach
der andern bildend, in unendlicher Weite vor mir aus. Seit fünf Tagen, wo unsere Gesellschaft durch
einen zahlreichen Trupp Ogellallahs zersprengt worden war, hatte ich weder ein nennenswertes Tier noch
die Spur eines Menschen bemerkt und begann nun endlich mich nach irgend einem vernünftigen Wesen
zu sehnen, an welchem ich erproben konnte, ob mir nicht vielleicht infolge des lange anhaltenden
Schweigens die Sprache verloren gegangen sei.
Einen Bach oder ein sonstiges Wasser gab es hier nicht, Wald oder Buschwerk ebensowenig; ich brauchte
also nicht lange zu wählen und konnte Halt machen, wo es mir eben beliebte. Ich sprang in einem
Wellentale zur Erde, hobbelte Trapperausdruck für: mit dem Lasso die Beine fesseln meinen Mustang an,
nahm ihm die Decke ab und stieg die kleine Bodenerhebung empor, um mich dort niederzulassen. Das
Pferd mußte unten bleiben, damit es im Falle einer feindlichen Annäherung nicht bemerkt würde; ich
selbst aber mußte den erhöhten Punkt wählen, um die Gegend überblicken zu können, während es nicht
leicht möglich war, mich zu sehen, wenn ich mich auf den Boden legte.
Ich hatte gute Gründe, vorsichtig zu sein. Wir waren in einer Gesellschaft von zwölf Männern vom Ufer
des Platte aufgebrochen, um im Osten der Felsenberge hinabzugehen nach Texas. Zu derselben Zeit
hatten die verschiedenen Stämme der Sioux ihre Lagerdörfer verlassen, weil einige ihrer Krieger getötet
worden waren und sie nun Rache nehmen wollten. Wir wußten dies, fielen aber trotz aller List in ihre
Hände und wurden nach einem harten, blutigen Kampfe, in welchem fünf von uns das Leben ließen, nach
allen Richtungen über die Prairie zerstreut.
Da die Indsmen aus unserer Fährte, die wir nicht ganz zu verwischen vermochten, wohl ersehen hatten,
daß wir nach Süden gingen, so war mit Sicherheit anzunehmen, daß sie uns folgen würden. Es galt also,
die Augen offen zu halten, wenn man nicht das Glück haben wollte, sich eines Abends in die Decke zu
wickeln und am Morgen dann ohne Skalp in den »ewigen Jagdgründen« zu erwachen.
Ich legte mich nieder, langte ein Stück getrocknetes Büffelfleisch hervor, rieb es anstatt des Salzes mit
Schießpulver ein und versuchte, es mit den Zähnen in einen Zustand zu bringen, welcher es mir
ermöglichte, die lederharte Substanz in den Magen zu befördern. Dann nahm ich eine von meinen
»Selbstgefertigten«, steckte sie mit Hilfe des Punks Prairiefeuerzeug in Brand und blies Rauchfiguren mit
einem Behagen, als sei ich ein virginischer Pflanzer und rauche die mit Glanzhandschuhen ausgezupften
Herzblätter des besten Goosefoot.
Noch nicht lange hatte ich so auf meiner Decke gelegen, als ich, zufälligerweise hinter mich blickend,
einen Punkt am Horizonte bemerkte, welcher sich in einem spitzen Winkel mit der von mir verfolgten
Richtung grad auf mich zu bewegte, Ich schlüpfte von der Erhöhung so weit nieder, daß mein Leib durch
dieselbe vollständig gedeckt wurde, und beobachtete die Erscheinung, in welcher ich nach und nach einen
Reiter erkannte, welcher nach Indianerart weit vornüber auf dem Pferde hing.
Als ich ihn zuerst bemerkte, war er wohl anderthalb englische Meilen von mir entfernt. Sein Pferd ging in
einem so langsamen Schlenderschritt, daß es beinahe eine halbe Stunde brauchte, um eine Meile
zurückzulegen, Wieder hinaus in die Ferne blickend, aus welcher er kam, bemerkte ich zu meiner
Überraschung noch vier Punkte, welche sich ganz genau auf seiner Fährte fortbewegten. Das mußte
meine Aufmerksamkeit in hohem Grade erregen. Der erste Reiter war ein Weißer, wie ich jetzt an der
Kleidung untrüglich erkannte. Waren die anderen vielleicht Indianer, welche ihn verfolgten? Ich zog mein
Fernrohr hervor. Ich hatte mich nicht geirrt. Sie kamen näher, und ich konnte durch die Gläser sehr
deutlich an ihrer Bewaffnung und Tätowierung erkennen, daß sie zu den Ogellallahs, dem kriegerischsten
und grausamsten Stamme der Sioux, gehörten. Sie waren außerordentlich gut beritten, während das Pferd
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des Weißen ein sehr gewöhnliches Tier zu sein schien. Er war mir jetzt so nahe gekommen, daß ich ihn
bis in das einzelnste betrachten konnte.
Er war von kleiner, sehr hagerer Statur und trug auf dem Kopfe einen alten Filzhut, dem die Krämpe
vollständig fehlte, ein Umstand, der in der Prairie nicht auffallen konnte, hier aber einen Mangel
hervorhob, der mir höchst auffällig erscheinen mußte: der Mann hatte nämlich keine Ohren. Die Stelle, an
welcher sie sich befinden sollten, zeigte die Spuren einer gewalttätigen Behandlung, sie waren ihm
jedenfalls abgeschnitten worden. Um die Schulter hing ihm eine ungeheure Decke, welche den Oberleib
vollständig verhüllte und kaum die hageren Beine erkennen ließ, die in einem Paar so eigentümlicher
Stiefel steckten, daß man drüben in Europa über dieselben gelacht hätte. Sie bestanden nämlich in
derjenigen Sorte von Fußbekleidung, wie sie die Gauchos in Südamerika zu fertigen und zu tragen
pflegen. Man zieht von einem enthuften Pferdefuße die Haut ab, steckt, wenn sie noch warm ist, das Bein
hinein und läßt sie an demselben erkalten: die Haut legt sich eng und fest an Fuß und Unterbein und
bildet so eine vortreffliche Fußbekleidung, welche allerdings die Eigentümlichkeit hat, daß man mit
derselben auf seinen eigenen Sohlen geht. Am Sattel hatte er ein Ding hängen, welches jedenfalls eine
Büchse sein sollte, eher aber einem Knittel ähnlich sah, wie man ihn zufällig im Walde findet. Sein Pferd
war eine alte hoch- oder vielmehr kamelbeinige Stute, welcher der Schwanz vollständig fehlte; ihr Kopf
war unverhältnismäßig groß, und die Ohren besaßen eine Länge, über welche man hätte erschrecken
können. Das Tier sah aus, als sei es aus verschiedenen Körperteilen vom Pferd, Esel und Dromedar
zusammengesetzt, hing beim Laufen den Kopf tief zur Erde und ließ dabei die Ohren wie ein
Neufundländer Wasserhund hart am Kopfe herabfallen, wie wenn sie ihm zu schwer wären.
Unter anderen Verhältnissen oder als Neuling hätte man über Reiter und Pferd wohl lachen müssen, mir
aber kam der Mann trotz der Sonderbarkeit seines Äußern doch vor wie einer jener Westmänner, welche
man erst kennen lernen muß, um ihren Wert zu beurteilen. Er hatte wohl keine Ahnung, daß vier von den
fürchterlichsten Feinden des Prairiejägers ihm so nahe seien, sonst hätte er nicht so langsam und sorglos
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