seinen Weg verfolgt und sich doch zuweilen nach ihnen umgeschaut.
Er war jetzt bis auf hundert Schritte herbeigekommen und hatte meine Fährte erreicht. Wer sie eher
bemerkte, er oder sein Pferd, das vermochte ich nicht zu sagen, aber ich sah ganz deutlich, daß die Stute
von selbst stehen blieb, den Kopf noch tiefer als vorher zur Erde senkte, mit den Augen nach den
Fußspuren meines Mustangs schielte und dabei überaus lebhaft mit den langen Ohren wedelte, welche
bald auf- und bald niederwärts gingen, und sich bald vor-, bald rückwärts legten, daß es aussah, als ob sie
von einer unsichtbaren Hand aus dem Kopfe gedreht werden sollten. Der Reiter wollte absteigen, um die
Fährte genau zu untersuchen; dabei hätte er unnützerweise die so kostbare Zeit verloren, und daher kam
ich ihm durch meinen Ruf zuvor:
»Halloo, heda, Mann! Haltet Euch unten und kommt doch einmal ein wenig näher heran!«
Ich hatte meine Stellung so verändert, daß er mich sehen konnte. Auch seine Stute hob den Kopf, legte
die Ohren steif nach vorn, als wollte sie meinen Anruf wie einen Ball auffangen, und wedelte dabei emsig
mit dem kurzen nackten Schwanzstumpfe.
»Halloo, Master,« antwortete er, »nehmt ein andermal Eure Stimme in acht, und brüllt ein wenig leiser;
auf dieser alten Wiese hier weiß man niemals richtig, ob es nicht vielleicht hier oder da Ohren gibt, die
nichts zu hören brauchen! Komm, Tony!«
Die Stute setzte auf diesen Zuruf ihre unendlichen Beine in Bewegung und blieb dann ganz von selbst bei
meinem Mustang stehen, dem sie nach einem hochmütigen und malitiösen Blick denjenigen Körperteil
zukehrte, den man bei einem Schiffe den Stern zu nennen pflegt. Sie war wohl eines jener Reittiere,
welche - wie sie in der Prairie nicht selten vorkommen - nur für ihren Herrn leben, jedem Andern aber
sich so widerspenstig zeigen, daß sie für ihn unbrauchbar sind.
»Weiß ganz genau, wie laut ich reden darf!« gab ich ihm zur Antwort. »Woher kommt ihr, und wohin
wollt Ihr, Master?«
4
»Das geht Euch verteufelt wenig an!« entgegnete er.
»Meint Ihr? Sehr übermäßig höflich seid Ihr nicht, Master; dies Zeugnis kann ich Euch schon jetzt mit
gutem Gewissen geben, obgleich ich kaum zwei Worte mit Euch gesprochen habe. Doch will ich Euch
aufrichtig gestehen, daß ich gewohnt bin, eine Antwort zu erhalten, wenn ich frage!«
»Hm, ja; Ihr scheint mir allerdings ein sehr vornehmer Gentleman zu sein,« meinte er mit einem
geringschätzigen Blick auf mich. »Daher werde ich Euch sogleich die verlangte Auskunft geben!« - Er
winkte rückwärts und dann vorwärts. »Ich komme von daher und will dorthin.«
Der Mann begann, mir zu gefallen. Jedenfalls hielt er mich für einen von seiner Gesellschaft
abgekommenen Sonntagsjäger. Der echte Westmann gibt auf sein Äußeres nichts und hegt eine offen
gezeigte Abneigung gegen alles, was sauber ist. Wer sich jahrelang im wilden Westen umhertreibt, ist in
Beziehung auf seinen Habitus nicht salonfähig und vermutet in jedem, der sich propre trägt, einen
Greenbill, dem nichts Rechtes zuzutrauen ist. Ich hatte mich droben in Fort Wilfers mit neuer Kleidung
versehen und war von jeher gewohnt, meine Waffen blank zu halten, zwei Umstände, welche nicht
geeignet waren, mich in den Augen eines Savannenläufers als vollgültig erscheinen zu lassen. Daher
nahm ich das kurz angebundene Wesen des fremden Männchens nicht übel und antwortete nun ebenso
wie er nach vorwärts deutend:
»So macht, daß Ihr ›dorthin‹ kommt; nehmt Euch aber vor den vier Indsmen in acht, welche sich da
hinten auf Eurer Fährte halten! Ihr habt sie wohl noch gar nicht bemerkt?,‹
Er fixierte mich aus den hellen, scharfen Äuglein mit einem Blick, in welchem sich Erstaunen und
Belustigung zugleich kundgaben.
»Nicht bemerkt? Hihihihi! Vier Indsmen hinter mir, und ich sie nicht bemerken! Ihr scheint mir zum
Beispiel ein sonderbarer Kauz zu sein! Die guten Leute sind bereits seit heut früh hinter mir her; ich aber
brauche mich nach ihnen gar nicht umzusehen, denn man kennt ja die Weise dieser roten Mesch'schurs.
Sie werden sich in gehöriger Entfernung halten, solange es Tag ist, und mich dann beschleichen, wenn ich
mir irgendwo einen Lagerplatz gesucht habe. Aber sie sollen sich zum Beispiel sehr verrechnet haben,
denn ich werde ihnen einen Ring schlagen, der mich in ihren Rücken bringt. Ich hatte nur bisher kein
passendes Terrain dazu; hier zwischen diesen Wellen kann ich's endlich tun, und wenn Ihr lernen und
sehen wollt, wie ein alter Westmann es einrichtet, sich an die Redmen Rotmänner, Indianer zu bringen, so
dürft Ihr nur hier bleiben und zehn Minuten warten. Werdet es aber wohl bleiben lassen, denn ein Mann
Eures Schlages pflegt zum Beispiel verteufelt wenig Lust zu haben, eine Portion Indianerparfum
einzuschnobern! Come on, Tony!«
Ohne sich weiter um mich zu bekümmern, ritt er davon und war bereits nach einer halben Minute samt
seiner famosen Stute zwischen den Bodenerhebungen verschwunden.
Sein Plan war mir sehr verständlich, denn ich an seiner Stelle hätte einen ähnlichen Gedanken ausgeführt.
Er wollte einen Bogen reiten, der ihn hinter seine Verfolger brachte, denen er sich nähern mußte, noch
ehe sie aus der veränderten Richtung auf seine Taktik schließen konnten. Um diesen Zweck zu erreichen,
durfte er sich natürlich nur in den Wellentälern halten, und besser war es, wenn er sich nicht hinter die
Indsmen brachte, sondern den Bogen so kurz schlug, daß sie an ihm vorüber mußten. Sie hatten ihn bisher
genau beobachten können, wußten also, wie weit sie ihn vor sich hatten, und konnten nicht vermuten, daß
er ihnen wieder nahe sei.
Es waren Vier gegen Einen, und die Möglichkeit lag vor, daß ich in die Lage kommen konnte, meine
Waffen zu gebrauchen. Ich untersuchte sie daher und erwartete dann den Verlauf der Dinge.
Die Indianer kamen jeden Augenblick näher, immer einer hinter dem andern. Sie hatten beinahe die Stelle
erreicht, an welcher die Spur des Kleinen mit der meinigen zusammenlief, als der vorderste von ihnen
sein Pferd anhielt und sich zurückwandte. Es schien sie doch zu befremden, daß der von ihnen verfolgte
Weiße nicht mehr zu sehen war. Sie hielten eine kurze Beratung, während welcher sie eng beisammen
5
blieben. Mit einer Kugel meines Bärentöters konnte ich sie bereits erreichen; aber das war gar nicht nötig,
denn jetzt krachte ein Schuß, und in der nächsten Sekunde ein zweiter. Zwei Indianer sanken tot von ihren
Pferden, und zu gleicher Zeit ertönte ein lauter, triumphierender Ruf.
»O - hi - hi - hiiii!« erscholl es in jenem Kehllaute, in welchem der Schlachtruf der Indianer ausgestoßen
wird.
Aber nicht ein Indianer ließ ihn hören, sondern der kleine Jäger, welcher aus einer nahen Talrinne
auftauchte. Er hatte seinen Vorsatz ausgeführt, war hinter mir verschwunden, und vor mir wieder zu
sehen. Er tat, als ob er nach seinen beiden Schüssen fliehen wolle. Seine Stute schien jetzt auf einmal ein
ganz anderes Wesen geworden zu sein; sie warf die Beine auseinander, daß der Rasen krachte; der Kopf
mit den enthusiastisch gespitzten Ohren lag tief im Genick, und jede Sehne, jede Faser schien angespannt
zu sein. Reiter und Pferd waren wie verwachsen miteinander. Der Erstere schwang sein Gewehr und lud
es im Galopp mit einer Sicherheit, welche darauf schließen ließ, daß er sich nicht das erste Mal in einer
solchen Lage befand.
Hinter ihm knatterten zwei Schüsse; die beiden Indianer hatten auf ihn abgedrückt, aber keine Kugel traf
Читать дальше