Der Alte tat mir leid; mein Coup war ihm wirklich zu Herzen gegangen, und es war mir lieb, daß ich ihn
trösten konnte, denn er hatte eben jetzt den Namen genannt, unter welchem ich am Lagerfeuer der
Weißen und in den Wigwams der Indianer bekannt geworden war.
»Ein Greenhorn?« fragte ich. »Glaubt Ihr wirklich, daß ein Neuling es vermag, dem wackeren Sans-ear
einen solchen Streich zu spielen?«
»Was seid Ihr anders? Ihr seht ja aus, als kämt Ihr direkt aus einem Schneiderladen, und Eure Waffen
sind so schön blank geputzt, wie man sie für den Maskenball herrichtet!«
»Aber sie sind gut; das sollt Ihr einmal sehen! Paßt scharf auf!«
Ich nahm einen losen Stein von der doppelten Größe eines Dollarstückes von der Erde auf, warf ihn hoch
in die Luft, legte schnell an, und in dem Augenblick, in welchem ihn die Kräfte des Wurfes und der
Anziehung den höchsten Punkt erreichen ließen und er bewegungslos in der Luft zu schweben schien, traf
ihn meine Kugel, die ihn noch höher trieb.
Ich hatte früher zu meiner Übung diesen Schuß viele hundert Male versucht, ehe er mir gelang; es war
kein besonderes Meisterstück. Der Kleine aber sah mich mit einem Paar Augen an, in denen ich fast den
Ausdruck der Bestürzung zu erkennen glaubte.
» Heavens, war das ein Schuß! Gelingt er immer?«
»Neunzehn Male unter zwanzig.«
»Ja, dann seid Ihr ja einer, den man suchen muß! Wie lautet denn zum Beispiel Euer Name?«
»Old Shatterhand.«
»Nicht möglich! Old Shatterhand muß viel, viel älter sein als Ihr, sonst würde man ihn nicht den alten
›Schmetterhand‹ nennen.«
»Ihr vergeßt, daß das Wort old sehr oft anders gebraucht wird als zur Bezeichnung des Alters.«
»Richtig! Aber, hm, nehmt mir's nicht übel, Sir; Old Shatterhand hat einmal unter einem Grizzlybären
gelegen, der ihn im Schlafe überraschte und ihm das ganze Fleisch von der Schulter bis über die Rippe
hinunterzog; er hat sich den Streifen Rumpsteak zwar glücklich wieder aufgeleimt, aber die Narbe muß
doch zum Beispiel noch recht gut zu sehen sein!«
Ich öffnete meinen Büffelrock und das darunter befindliche weiße, hirschlederne Jagdhemd.
»Schaut her!«
»Potz alle Wetter, hat Euch der Kerl zugerichtet! Da müssen ja alle achtundsechzig Rippen blank zu Tage
gelegen haben?«
8
»So war es beinahe auch. Es geschah unten am Redriver, und ich lag mit dieser fürchterlichen Wunde
zwei Wochen lang neben dem Bären am Flusse, nur auf mich selbst angewiesen, bis mich Winnetou, der
Apachenhäuptling, fand, dessen Namen Ihr vorhin genannt habt.«
»So seid Ihr also doch Old Shatterhand! Hm, ich will Euch einmal etwas sagen: Glaubt Ihr, daß ich zum
Beispiel ein ganz entsetzlicher Dummkopf bin?«
»Nein, das glaube ich nicht. Ihr habt ja nur den Irrtum begangen, mich für ein Greenhorn zu halten, weiter
nichts. Von einem Neuling konntet Ihr keinen solchen Angriff erwarten; Sans-ear ist nur durch
Überraschung zu besiegen.«
»Oho! Bei Euch bedarf es, wie es scheint, keiner Überraschung. Es wird wohl wenige Männer geben, die
Eure Büffelstärke besitzen. Von Euch überrumpelt zu werden, ist keine Schande. Mein richtiger Name ist
eigentlich Sam Hawerfield, und wenn Ihr mir einen Gefallen tun wollt, so nennt mich Sam!«
»Und Ihr mich Charley, wie alle meine Freunde. Hier habt Ihr meine Hand!«
»Topp, so mag es sein, Sir! Der alte Sam ist nicht der Mann, der jedem gleich die Finger drücken mag;
bei Euch jedoch schlage ich augenblicklich ein. Aber ich bitte Euch, macht es gnädig, daß Ihr mir nicht
etwa die Hand zu Pudding quetscht! Ich brauche sie weiter.«
»Keine Angst, Sam! Diese Hand soll mir noch manchen Gefallen erweisen, ebenso wie die meinige bereit
ist, Euch zu dienen. Aber jetzt darf ich wohl meine erste Frage zum zweiten Male aussprechen: Woher
des Wegs und wohin?«
»Ich komme gerade jetzt ein wenig von Canada herunter, wo ich den Lumberstrikers Holzschlägern
Gesellschaft geleistet habe, und will nun zum Beispiel hinein in das Texas und Mexiko, wo es so viele
Schufte geben soll, daß einem das Herz lacht bei dem Gedanken an die Kugeln und Messerstiche, welche
man zu erwarten hat.«
»Das ist ja ganz mein Weg! Auch ich will nach Texas und Kalifornien, und dabei kann es mir sehr gleich
sein, ob ich einen kleinen Seitenweg über Mexiko einschlage. Darf ich mit?«
»Ob Ihr dürft? Na und ob! Ihr seid bereits da unten im Süden gewesen und also just der richtige Mann,
den ich brauche. Aber sagt mir nun einmal im Ernste: Macht Ihr wirklich Bücher?«
»Ja.«
»Hm! Wenn das Old Shatterhand tut, so muß es doch anders sein, als ich es mir gedacht habe; ich aber
sage Euch, ich will lieber unversehenerweise und rücklings in eine Bärenhöhle stürzen, als eine Feder in
die Tinte stopfen; ich brächte all mein lebenlang das erste Wort nicht fertig. Nun aber sagt mir einmal,
wie die Indsmen hier in diese Gegend kommen! Es sind Ogellallahs, vor denen man sich schon in acht
nehmen darf.
Ich erzählte ihm, was ich wußte.
»Hm!« machte er dann. »So wird es geraten sein, nicht hier anzuwachsen. Ich traf gestern auf eine Fährte,
vor welcher man Respekt haben muß. Ich zählte wenigstens sechzig Pferde. Die vier Bursche hier müssen
zu der Truppe gehören und sind wohl als Streifpatrouille ausgeschickt worden. Waret Ihr schon einmal
hier?«
»Nein.«
»Ungefähr zwanzig Meilen westlich von hier wird die Prairie vollständig eben, und noch zehn Meilen
weiter gibt es ein Wasser, nach welchem sich die Indsmen gezogen haben werden, um ihre Pferde zu
tränken. Wir gehen ihnen natürlich aus dem Wege und halten lieber grad nach Süden zu, obgleich wir da
erst morgen nachmittag auf Wasser stoßen. Wenn wir bald aufbrechen, kommen wir heut noch vor Nacht
an die Bahn, welche sie aus den Staaten hinüber nach den Westlanden gebaut haben, und wenn wir grad
die richtige Zeit treffen, so können wir uns den Spaß machen, einen Zug zu sehen, der zum Beispiel an
uns vorübergeht.«
»Ich bin zum Aufbruche bereit. Aber was tun wir mit den Leichen?«
»Was wir mit ihnen tun? Nicht viel. Wir lassen sie hier liegen; vorher aber will ich ihnen die Ohren
nehmen.«
»Wir müssen sie vergraben, denn wenn man sie findet, ist unsere Anwesenheit verraten.«
»Man soll sie finden, Charley; das will ich eben.«
9
Er trug die toten Indianer auf die Spitze eines Wellenhügels, legte sie nebeneinander, schnitt ihnen die
Ohren ab und gab sie ihnen in die Hände.
»So, Charley! Man wird sie finden und sogleich wissen, daß Sans-ear hier gewesen ist. Ich sage Euch, es
ist ein ganz miserables Gefühl, wenn es einen im Winter an die Ohren frieren will, und man hat doch
keine mehr. Ich war einst so ungeschickt, mich von den Roten fangen zu lassen. Ich hatte mehrere von
ihnen getötet, einem aber nur das Ohr herabgehauen, statt ihn mit dem Tomahawk richtig zu treffen. Zum
Spotte dafür schnitten sie mir die Ohren ab, ehe es mir an das Leben gehen sollte. Die Ohren haben sie, da
Leben aber nicht, denn Sam Hawerfield machte sich ganz unerwartet auf und davon. Für meine zwei
Ohren aber - na - da zählt einmal hier!« Er nahm seine Büchse vor und zeigte mir gelassen die
zahlreichen Kerben, welche er in dieselbe eingeschnitten hatte. »Jede Kerbe hat einem feindlichen
Indsman das Leben gekostet. Jetzt kommen vier Kerben dazu.«
Er machte die vier neuen Einschnitte und fuhr dann fort:
»Das sind lauter Rote. Hier oben sind acht Kerben auf Weiße, die meine Kugel gekostet haben. Warum,
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