das werde ich Euch schon einmal erzählen. Ich habe nur noch zwei zu suchen. Das sind Vater und Sohn,
die größten Schurken, die es auf Gottes weiter Erde geben kann; habe ich diese gefunden, so ist mein
Tagewerk vollbracht.«
Seine Augen glänzten auf einmal feucht, und über sein verwettertes Gesicht ging ein Zug von Wehmut,
Rührung und Liebe; ich ahnte, daß das Herz des alten Jägers einst wohl auch seine Rechte geltend
gemacht hatte. Vielleicht hatte auch ihn, wie so manchen Anderen, der Schmerz oder die Rache dem
rauhen Leben der Wildnis in die Arme geworfen, denn der echte Prairiejäger weiß nichts mehr von dem
erhabenen Gebot: »Liebet eure Feinde!«
Er hatte seine Büchse wieder geladen. Sie war eines jener furchtbaren Schießeisen, wie man sie in der
Prairie nicht selten findet. Der Schaft hat seine ursprüngliche Form verloren; Kerbe sitzt an Kerbe, Schnitt
an Schnitt; jedes einzelne dieser Zeichen erinnert an den Tod eines Feindes. Der Lauf ist mit dickem
Roste bedeckt, scheint sich gezogen zu haben, und kein Fremder vermag auch nur einen leidlichen Schuß
daraus abzugeben. In der Hand des Besitzers aber ist eine solche Büchse unfehlbar; er ist seit Lebenszeit
auf sie eingeübt, kennt alle ihre Vorzüge, alle ihre Tücken und Gebrechen, und wenn er eine Kugel
hinabstößt auf das Pulver, so wettet er Leben und Seligkeit, daß sie ihr Ziel erreicht.
»Tony!« rief der Kleine.
Die Stute hatte bisher in der Nähe gegrast. Auf diesen Ruf kam sie herbeigesprungen und stellte sich so
bequem neben ihn, daß er nur den Arm zu erheben brauchte, um sich aufzuschwingen.
»Sam, Ihr habt da ein ganz vorzügliches Pferd! Wer es zum erstenmal sieht, mag keinen Dollar bieten;
wer es aber beobachtet, der bemerkt bald, daß es Euch für tausend Sovereigns nicht feil ist.«
»Tausend! Pshaw! Sagt eine Million! Ich kenne da droben in den Felsenbergen Adern, aus denen ich das
Gold scheffelweise herausnehmen könnte, und wenn ich einmal einen treffe, der es verdient, daß ihn Sam
Hawerfield von Herzen lieb hat, dem werde ich diese Placers zeigen. Für Geld also brauche ich meine
Tony nicht wegzugeben. Ich will Euch nur so viel sagen, Charley: Der, welchen sie jetzt Sans-ear nennen,
der war eines schönen Tages ein ganz anderer Kerl als heut, voll Glück und Wonne, wie der Tag voll
Licht und das Meer voller Tropfen. Er war ein junger Farmer und hatte ein Weib, für welches er tausend
Leben geopfert hätte, und ein Kind, welches ihm zehntausend Leben wert war. Das Weib hatte er einst
auf seiner besten Stute heimgeholt, die Tony hieß. Und als nachher die Stute ein Füllen brachte, gesund,
munter und klug wie selten ein Geschöpf, warum sollte es nicht auch Tony heißen, wie seine Mutter?
Habe ich nicht recht, Charley?«
»Ja,« antwortete ich, tief gerührt über die Kindlichkeit des Gemütes, welches jetzt aus der so unerwartet
sich öffnenden rauhen Hülle zu mir sprach.
» Well! Dann kamen die Zehn, von denen ich Euch vorhin sagte. Es war eine Bande Bushheaders, welche
die Gegend damals unsicher machten. Sie verbrannten meine Farm, töteten mein Weib und Kind,
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erschossen meine Stute, die sie nicht gebrauchen konnten, weil sie keinen Fremden trug, und nur das
Füllen entkam, weil es sich zufälligerweise verlaufen hatte. Ich kam von der Jagd zurück und fand das
Tier als einzigen Zeugen meines Glückes. Was soll ich Euch weiter erzählen! Acht von den Schuften sind
gefallen, gefallen durch meine Hand, durch Kugeln aus dieser Büchse; die beiden letzten werden auch
noch mein, denn wessen Fährte der alte Sans-ear betritt, der mag laufen bis zu den Mongolen hinüber, er
entkommt ihm nicht; grad deshalb will ich ja nach Texas und Mexiko hinunter. Aus dem jungen,
munteren Farmer ist ein grauer Wald- und Prairieläufer geworden, der nur auf Blut und Rache sinnt, und
das Füllen hat sich in ein Wesen verwandelt, welches einem Ziegenbocke ähnlicher sieht als einem guten
Pferde; aber wacker sind beide noch heut, und sie werden auch tapfer miteinander aushalten, bis ein Pfeil
schwirrt, eine Kugel pfeift oder ein Tomahawk hernieder saust, um dem Einen von ihnen ein Ende zu
bereiten; der Andere - sei es nun das Pferd oder ich selber - stirbt dann vor Gram und Sehnsucht nach.«
Er fuhr sich mit der Hand über die Augen. Dann schwang er sich auf und meinte:
»So viel von den alten Geschichten, Charley. Ihr seid der Erste, zu dem ich von ihnen spreche, obgleich
ich Euch zum erstenmal sehe, und werdet wohl auch der Letzte sein. Ihr werdet wohl oft von mir gehört
haben, und auch von Euch wurde erzählt, wenn es mir einmal in den Sinn kam, mich zu diesen oder jenen
Leuten auf eine Viertelstunde an das Feuer zu setzen. Daher wollte ich Euch zeigen, daß ich Euch für
keinen Fremden halte. Nun tut mir noch den Gefallen und vergeßt, daß ich mich heut von Euch
überrumpeln ließ! Ich werde Euch zu beweisen suchen, daß der alte Sam Hawerfield trotzdem zu jeder
Zeit auf seinem Platze ist.«
Ich enthobbelte meinen Mustang und stieg auf. Er hatte gesagt, daß wir nach Süden halten wollten,
dennoch aber ritt er grad dem Westen entgegen. Ich fragte ihn nicht; jedenfalls leitete ihn eine
wohlüberlegte Absicht dabei. Auch darüber verlor ich kein Wort, daß er die Lanzen der vier Indianer
mitnahm. Er erinnerte mich auf das lebhafteste an meinen alten Sam Hawkens, mit welchem er den
gleichen Vornamen hatte.
Wir mochten eine ziemliche Strecke zurückgelegt haben, ohne daß einer von uns ein Wort gesprochen
hatte, als er sein Pferd anhielt. Er stieg ab und steckte eine der Lanzen auf die Spitze einer Bodenwelle.
Jetzt kannte ich seinen Zweck. Er wollte die Lanzen als Wegweiser aufrichten, durch welche die Indsmen
zu ihren Toten geführt werden und erkennen sollten, daß die Rache des Sans-ear wieder vier neue Opfer
gefordert habe.
Dann öffnete er eine alte Satteltasche und nahm acht starke Lappen heraus, welche er zwischen mir und
sich teilte.
»Hier, Charley, steigt ab und wickelt die Hufe Eures Mustangs ein; sie geben dann auf dieser Art von
Boden nicht die geringste Spur, und die Redmen müssen denken, daß wir durch die Luft davongeflogen
sind. Jetzt reitet Ihr grad nach Süden, bis Ihr an die Bahn kommt, wo Ihr mich erwartet. Ich werde noch
die drei anderen Lanzen aufpflanzen und dann zum Beispiel hinter Euch herkommen. Treffen werden wir
uns sicher, und sollten wir uns doch auf eine kleine Strecke irren, so gilt bei Tag der Schrei des Geiers
und bei Nacht das Heulen des Coyoten als Signal.«
Fünf Minuten später sahen wir einander nicht mehr. Ich ritt, in stilles Sinnen versunken, in der mir
vorgezeichneten Richtung hin. Die Hufverhüllung meines Pferdes verhinderte es am schnellen Laufe,
daher stieg ich, als ich vielleicht fünf englische Meilen zurückgelegt hatte, ab und nahm die Lappen weg.
Sie hatten ja nur den Zweck gehabt, unsere Spuren in der nächsten Umgebung der Lanzenzeichen
unbemerkbar zu machen.
Jetzt konnte der Mustang wieder ausgreifen. Die Prairie wurde nach und nach ebener und zeigte hier und
da ein kleines Nuß- oder Wildkirschengesträuch, und noch stand die Sonne einige Grad über dem
westlichen Horizonte, so bemerkte ich im Süden eine Linie, welche sich beinahe genau von West nach
Ost hinzog.
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Sollte sie das Gleis der bezeichneten Bahn bedeuten? Jedenfalls. Ich hielt auf sie zu und fand meine
Erwartung nicht getäuscht. Die Bahn, deren Schienen auf einem beinahe manneshohen Damme lagen, lag
vor mir.
Ein eigentümliches Gefühl erfaßte mich, dunkel zwar, doch auch verständlich. Auf meinem jetzigen Halte
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