trat ich seit langer Zeit wieder in Beziehung zu der Zivilisation. Ich brauchte beim Nahen eines Zuges nur
ein Zeichen zu geben, um einsteigen und nach West oder Ost davondampfen zu können.
Nachdem ich mein Pferd an den Lasso gepflockt hatte, suchte ich unter den Büschen nach Dürrholz für
ein Lagerfeuer. Einer der Sträucher stand hart an der Böschung des Bahndammes. Ich bückte mich, um
einiges Geäst zu nehmen, und gewahrte zu meinem Erstaunen einen Hammer, welcher da am Boden lag.
Er konnte sich erst seit kurzer Zeit hier befinden, denn seine Kopfbahn war außerordentlich blank, also
erst kürzlich noch in Gebrauch gewesen, und auch weder seine Backen, noch seine Haube oder seine
Pinne zeigten eine Spur von demjenigen Roste, der sich sicher angesetzt hätte, wenn das Werkzeug nur
einige Tage lang der Feuchtigkeit des nächtlichen Taues ausgesetzt gewesen wäre. Es mußten sich heut
oder höchstens gestern Leute hier befunden haben.
Ich untersuchte zunächst die mir zugekehrte Seite des Dammes, fand aber nichts Auffälliges; dann stieg
ich hinauf und suchte wieder lange Zeit erfolglos. Da aber bemerkte ich einen dichten Büschel duftenden,
kurzlockigen Gramagrases, welches mir wegen seiner hiesigen Seltenheit auffiel. Wahrhaftig, es hatte ein
Fuß darauf gestanden! Die Spur war noch neu, höchstens zwei Stunden alt; die vom Sohlenrande bloß
umgebogenen Halme hatten sich bereits wieder erhoben, während der von der inneren Fußfläche
niedergedrückte Teil des Büschels noch genau die Fersen- und Zehenbreite zeigte. Die Spur war durch
einen indianischen Mokassin verursacht worden. Sollten Indianer in der Nähe sein? In welche Beziehung
konnte ich sie dann zu dem Hammer bringen? Tragen nicht auch Weiße indianische Mokassins, und
konnte nicht auch ein die Bahn revidierender Railroader sich dieser bequemen Art von Schuhwerk
bedient haben? Trotzdem war es mir, als dürfe ich mich durch keinerlei Vermutung zu beruhigen suchen.
Gewißheit war hier die Hauptsache.
Allerdings mußte ich mir sagen, daß eine Untersuchung der Strecke höchst gefährlich sei. An den beiden
Seiten des Bahndammes hin konnte hinter jedem Busche ein Feind lauern, und auf dem Damme selbst
war ich auf eine weite Entfernung hin zu bemerken. Unter anderen Verhältnissen hätte ich wegen des
Hammers wenig Unruhe empfunden und die Nachforschung ohne Zögern begonnen; jetzt aber, da ich die
Ogellallahs in der Gegend wußte, war selbst bei der geringsten Kleinigkeit die größte Vorsicht nötig. Ich
hing die Büchse über und nahm nur den Revolver zur Hand. Mich von Busch zu Busch schleichend,
pirschte ich mich eine weite Strecke vorwärts - ohne Erfolg. Ich kehrte auf der andern Seite zurück - auch
vergeblich. Diese Untersuchung hatte sich nach Westen von der Stelle erstreckt, an welcher mein Pferd
weidete. Ich setzte sie nach Osten hin fort, anfangs mit derselben Erfolglosigkeit. Jetzt wollte ich in
vorsichtig gebückter Stellung über das Bahngleis hinüber. Auf Händen und Füßen kriechend, bewegte ich
mich quer über die Schienen. Da war es mir, als ob ich eine Feuchtigkeit, ein eigentümliches Knirschen
und Nachgeben des Sandes bemerkte; auch fiel es mir auf, daß grad hier der Sand eine kreisähnliche
Figur bildete, welche den Anschein hatte, als sei er zur irgend einem Zwecke hierher gestreut worden. Ich
scharrte mit den Fingern ein und - ich gestehe es - ich erschrak; meine Hand hatte sich blutig gefärbt, und
auch der Sand war rot und naß. Ich untersuchte nun, mit dem ganzen Körper hart am Boden liegend, die
Sache genauer und mußte erkennen, daß man eine große, tiefe Blutlache mit Sand zugestreut hatte,
Hier war ein Mord geschehen; das Blut eines Tieres hätte man nicht so zu verbergen gesucht. Wer war
der Ermordete und wer der Mörder? Eine Spur war oben nicht zu sehen, da der Boden wegen seiner Härte
keine aufnehmen konnte; aber als ich einen Blick jenseits nach der mit Büffelgras bewachsenen
Böschung warf, bemerkte ich mehrere Fußspuren und auch zwei fortlaufende Eindrücke, als habe man
hier einen beim Oberkörper gefaßten Menschen, dessen Füße nachschleiften, von dem Damme
herabgezogen.
12
Es war außerordentlich gefährlich, an dieser Stelle nach jenseits zu gehen. Die Feuchtigkeit des Blutes
war noch nicht in den Boden eingedrungen, und auch die Spuren zeigten sich so frisch und wohlerhalten,
daß der vermutete Mord vor kurzer Zeit geschehen sein mußte und die Mörder noch ganz in der Nähe
sein konnten. Ich kroch daher hüben wieder herab, kehrte eine bedeutende Strecke zurück, ging dort über
den Damm und schlich mich nun erst auf der andern Seite nach Osten vor.
Dies geschah nur sehr langsam, da ich alle Schlauheit und Gewandtheit, alle möglichen Bewegungen und
Körperstellungen anwenden mußte, um unbemerkt zu bleiben, wenn Gefahr in der Nähe wäre.
Glücklicherweise standen hier die Sträucher näher aneinander, und wenn ich mich auch sorgfältig hinter
jedem Busche verbergen und den nächsten Busch auf das schärfste mit den Augen durchdringen mußte,
ehe ich es wagen konnte, den Zwischenraum zwischen beiden zu überspringen oder, mich
schlangengleich an der Erde windend, zu durchkriechen, so gelangte ich doch ohne Unfall bis unterhalb
der Stelle, an welcher ich vorhin auf dem Damme das Blut bemerkt hatte.
Ein dichtes Lentiskengesträuch stand gegenüber der Kirschgruppe, hinter der ich spähend lag, von ihr
durch einen acht Meter breiten, freien Raum getrennt. So sehr mich das Kirschengebüsch am deutlichen
Sehen verhinderte, und so dicht auch die Lentisken standen, es war mir doch, als liege etwas einem
menschlichen Körper ähnliches unter ihnen. Der Gegenstand mochte zugedeckt sein, aber er bildete eine
dunkle Masse, welche von der Umgebung abstach, durch welche das Licht zu dringen vermochte, und
hatte die ganze Länge eines Menschen. War dort vielleicht der Ermordete verborgen? Es konnte auch
einer der Mörder sein. Ich mußte versuchen, es zu erfahren.
Weshalb begab ich mich in eine solche Gefahr? Ich konnte ja das Eintreffen Sams abwarten und dann
ruhig mit ihm weiter reiten! Der Prairiejäger muß aber wissen, welchen Feind er vor, hinter und neben
sich hat; er untersucht außerdem jeden geringfügigen Umstand, weil ihm dieser Aufschluß gibt über
Dinge, die er wissen muß, deren Kenntnis seine Sicherheit erhöht und an die selbst der scharfsinnigste
Professor und Gelehrte nicht denken würde. Der Prairiejäger zieht aus den unbedeutendsten Dingen, die
für den Uneingeweihten gar nicht im Zusammenhange stehen, Schlüsse, über welche ein Anderer oftmals
lachen würde, die sich aber in der Regel als richtig erweisen. Während er an dem einen Tag auf dem
Mustang vierzig und fünfzig englische Meilen zurücklegt, kommt er am nächsten Tage kaum eine halbe
Meile vorwärts, weil er bei jedem Schritt zu forschen hat, ob er ihn tun darf. Und selbst wenn er aus
seiner Vorsicht keinen Nutzen für sich selbst zu ziehen vermag, wird seine Erfahrung doch für Andere
von Wert sein; er kann ihnen raten, sie warnen und ihnen Auskunft erteilen. Und außerdem liegt ja im
Menschen überhaupt der Drang, sich über jede Gefahr Gewißheit zu verschaffen und jedem Bösen nach
Kräften entgegen zu arbeiten, den Reiz gar nicht gerechnet, den auf jede kräftige Natur ein mutiges
Unternehmen auszuüben pflegt.
Ich nahm einen daliegenden Ast, spießte meinen Hut auf und schob ihn, mit Absicht ein kleines Geräusch
verursachend, durch das Kirschgesträuch, so daß es drüben scheinen mußte, als versuche hier jemand
Читать дальше