Dieter Koffner blickte mir ernst und streng in die Augen. „Ja so ist es“, sagte er.
„Ich weiß, ich darf nicht fragen, aber ich denke du verstehst, dass es mich interessiert, wer der Mann ist, der eine derartige Macht besitzt.“, meinte ich.
„Es hat dich aber nicht zu interessieren, verstanden! Dir wird nichts geschehen, egal womit er droht, also lass' es gut sein! Du bist sicher vor ihm, er wird dich nicht angreifen. Alles was du zu tun hast, ist dir keine Angst machen zu lassen. Wir werden versuchen, dass der Mann aufhört, dich zu bedrohen. Wenn er es aber dennoch tut, dann höre einfach nicht hin.“, erklärte Koffner.
„Er hat mir versichert, er würde mich in die Finger bekommen und mich qualvoll zunichtemachen. Er bekommt mich auch in die Finger, wenn er nur will. Ich bin jederzeit schutzlos ihm gegenüber. Ich lebe allein, bin oft zu Fuß unterwegs, es gibt tausende von Möglichkeiten seine Drohungen in die Tat umzusetzen. Und er wird ja nicht mal bestraft, wenn er es tut. Weshalb also sollte er seinen Mordgelüsten nicht nachgehen, wenn ihm so sehr danach verlangt und es so einfach für ihn ist?“
„Du musst mir glauben: Er tut es nicht!“, fuhr mich Koffner an.
Nun klingelte es an meiner Wohnungstür, wir erschraken beide.
„Wer ist das?“, fragte Koffner.
Ich zuckte mit den Schultern und ging zur Tür. Es war klar, dass dies kommen würde, irgendwann: Die Nachbarin stand da, beschwerte sich über das Geschrei, über unseren lautstarken Streit. Sie sagte, es wäre nicht das erste Mal, dass hier mitten in der Nacht derart lautstark gestritten wird. Dann drohte sie noch die Polizei zu holen. Sie streckte den Kopf zur Tür hinein, erblickte den großen starken Mann im Hintergrund.
„Haben Sie Beziehungsprobleme?“, fragte sie nun etwas besorgt.
Sie glaubte wohl, er wäre gewalttätig. Es war fast schon wieder nett von ihr, dass sie sich um mich sorgte.
„Mit dem habe ich ganz sicher keine Beziehung. Sie können es sich sparen, die Polizei zu rufen, er ist die Polizei.“, erklärte ich.
„Wirklich? Was tut er hier? Ist das eine Razzia?“, fragte sie äußerst interessiert.
Jetzt hasste ich sie wieder. Sie hatte mich immer schon im Verdacht, mit Drogen zu tun zu haben. Und sie lag nicht falsch, bisher zumindest nicht. Ich sollte ihr nicht böse sein, schließlich wohnte sie auch schon hier, als ich Abend für Abend mit meinen Freunden eine Zeit verbrachte, in der wir uns jenseits von Gut und Böse befanden.
„Nein, das ist keine Razzia, ich bin privat hier“, meinte Koffner und baute sich vor ihr auf. „Verschwinden Sie!“, sprach er mit bösem Blick.
Die kleine dicke blonde Frau wich eingeschüchtert zurück. „Ich wollte ja nur um etwas Ruhe bitten, ich muss morgen früh raus“, erklärte sie beinahe weinerlich, dann entfernte sie sich eiligst.
Koffner schloss ganz sachte die Tür, dann fixierte mich sein extrem aggressiver Blick. Er packte mich so grob am Kragen, dass meine Füße vom Boden abhoben, schleppte mich von der Tür weg und drückte mich gegen die Wand. Ich war derart erschrocken, dass mir kein Ton über die Lippen kam.
Mit wütendem, ungehaltenem Tonfall, fuhr er mich in einer möglichst geringen Lautstärke an:
„Bist du wahnsinnig dieser Frau zu erzählen, dass ich von der Polizei bin!“, er war außer sich vor Wut. „Was hast du dir dabei gedacht?“
Ich reagierte ähnlich wie Emina Kaufmann eben, sein Blick, seine Wut schüchterten mich ein. „Aber ich wusste doch nicht, dass das ein Geheimnis ist“, erklärte ich zaghaft.
„Natürlich weißt du, dass es geheim ist! Was meinst du, weshalb du nichts wissen darfst über die Sache? Was meinst du, weshalb die Polizei den Mann schützt, der dich bedroht? Mach' nur nicht nochmal einen Idioten aus mir, hast du das verstanden?“, fragte er hasserfüllt.
„Ja“, erklärte ich kleinlaut, „ich habe verstanden.“
Er hatte mich noch immer am Kragen, hielt mich gegen die Wand gedrückt. Es tat nicht weh, es gab mir nur zu verstehen, dass mir keine Wahl blieb. Der Mann wusste, wie er Menschen anfassen muss.
„Lässt du mich dann runter?“, fragte ich untertänig.
Langsam lockerte er seinen Griff. Er sorgte dafür, dass ich unversehrt die Wand entlang nach unten glitt, meine Füße wieder auf dem Boden aufsetzten. Dann ließ er meinen Kragen los, zupfte meine Kleidung zurecht.
Etwas verlegen sprach er: „Bitte entschuldige, dass ich grob werden musste. Ich hoffe, du hast jetzt verstanden, dass du tun musst, was ich sage und dass du schweigen musst, wenn du willst, dass es dir gut geht.“
Irgendwie wurde mir das zu viel. Ich verstand überhaupt nicht mehr, worum es ging. Doch Eines verstand ich immer besser: Mein Leben war in Gefahr. Der Einzige, der mich in Schutz nahm vor einer tödlichen Gefahr, war der Mann vor mir: Dieter Koffner.
Ich war mir nicht sicher was er fühlte: Wollte er mich tatsächlich schützen? Wenn ja, so hatte er diese Aufgabe mit Sicherheit von der Polizei erhalten. Oder hatte er es sich sogar zu seiner eigenen Sache erklärt? Er sprach davon, dass ich längst meine Freiheit oder gar mein Leben verloren hätte, gäbe es ihn nicht. Wahrscheinlich stimmte das sogar in gewisser Weise. Was aber würde passieren, kümmerte er sich nicht um meine Sicherheit? Würde sich ein Anderer an seiner Stelle um mich kümmern? Und wenn ja, wäre ich dann schon weg? In einer geschlossenen Anstalt oder einem Gefängnis? Unter der Erde?
Oder wäre es gar genau anders? Wenn ein anderer Mann als Koffner die Aufgabe hätte, mich zu schützen, wüsste ich dann bereits worum es ging? Würde es mir bei einem anderen Personenschutz-Beauftragten besser ergehen als mit Koffner?
Ich blickte ihm müde und besorgt in die Augen. Ich war ihm ausgeliefert, mein Leben lag in seiner Hand. Sein Blick war wenig mitleidig, er war streng und kalt. Auf mich aufzupassen war anstrengend, es machte ihn wütend.
Eines hatte ich also bereits verloren: Meine Freiheit. Aber Koffner hatte dies in gewisser Weise auch.
Mir wurde plötzlich übel, die Welt um mich her verdunkelte sich, meine Knie gaben nach. Der Boden unter mir war mit Einem so nahe und bedrohlich. Etwas geschah mit mir, nur was?
Langsam glitt ich mit dem Rücken an der Wand zu Boden, ich weinte. Das Leben war erbarmungslos. Die Sonne hatte sich verdunkelt, ließ sich nicht mehr blicken. Diese Angst um meine Existenz, um meinen Körper, vor Schmerz, Tod und Qual wurde immer übermächtiger, überall lauerte der Feind. Die starke Frau in mir war tot. Zurück blieb ein hilfloses Wesen, das man mit einem einzigen Schritt zertreten konnte.
Ich kauerte am Boden, weinte, wimmerte, war kaum noch fähig zu sehen, zu hören, zu denken. So hilflos wie ich nun war, hätte mich ein Windhauch schon vernichten können, verschwinden lassen aus dieser Welt, so wie die Mächtigen des Landes sich dies wünschten.
Immer wieder kam mir der Gedanke: Warum ich?
Ich mochte kein vorbildlicher Bürger sein, doch bin ich nicht auch harmlos? Zu harmlos und unbedeutend jedenfalls, um es mit Leuten wie Koffner zu tun zu haben, mit Gewaltverbrechern wie Carsten Fischer oder seinem übermächtigen, sadistischen Doppelgänger, einem Mann der mächtiger ist als Polizei und Justiz. Was wollten diese Menschen nur alle von mir? Weshalb ließen sie mich nicht einfach leben wie einen ganz gewöhnlichen Menschen?
Ja es war vorbei mit meinen revolutionären, gesetzesfeindlichen Gedanken. Ich wollte nicht mehr gegen Polizei und Gesetz aufbegehren, straffällig werden, ein Klein-Krimineller sein. Ich wäre nun am liebsten nur ein friedlicher, gut funktionierender Arbeiter gewesen. Einer, der nicht auffällt, der nichts Außergewöhnliches tut, den man in Ruhe lässt, ignoriert, übersieht.
Koffner hatte sich zu mir hinuntergebeugt, packte mich an den Armen.
Читать дальше