Der Versuch wurde abgebrochen, als ihr drittes weibliches Date sie mit nach Hause nahm, auf einen „Kaffee“. Sie hatte sich mit ihr den ganzen Abend unglaublich gut unterhalten und dachte sogar, dass da etwas sein könnte. Als aber dann die Hand der rothaarigen Schönheit vorne in ihre Jeans wanderte, brach die Panik aus.
Sie ließ eine völlig verdutzte Lesbe in ihrer Wohnung zurück und begann kurz danach mit Speed-Dating. Vielleicht konnte man einen netten Mann mit Geschwindigkeit überrumpeln, aber sie musste erkennen, dass gerade diese Form des Kennenlernens noch mehr darauf ausgerichtet war, einem fremden Mann vor den Latz zu knallen, dass sie eine der besten Gehirnchirurginnen Europas war und das mit gerade einmal dreißig.
Und so beendete sie auch dieses Experiment und begann ihren Lebensrhythmus wieder mehr auf sich alleine auszurichten. Das bedeutete morgens für zwei Stunden ins Fitness-Center, danach in die Uniklinik, in die Arbeit vertieft und den Abend dann ausklingen lassen mit Lesen, Kino oder Fernsehen auf der Couch, mal alleine, mal mit ihrer Mutter.
In dieser Lebenssituation geschah es, dass sie an einem Samstag gegen Mittag in der Umkleide im Fitness-Center ihr Handy checkte und dabei eine SMS von ihrem Vater vorfand: „Hallo, Kleines! Komm bitte bei mir vorbei! Dringend!“
Das war seltsam, weil man sich am Abend sowieso zum Essen verabredet hatte. Warum also die Eile? Aber Emma kannte ihren Vater genau. „Dringend“ stand da nicht zum Spaß und würde sie nachfragen, ob es wirklich dringend war, dann bekäme sie nur deshalb keine sarkastische Antwort von ihm, wie jeder andere Mensch auf dieser Welt, weil sie stets sein kleiner Engel sein würde.
Da stand auch, sie solle vorbeikommen, also sparte sie sich einen Rückruf, denn „komm vorbei“ hieß physisches Erscheinen war gewünscht oder gar nötig. Samstags fuhr sie nach dem Sport auch nicht in die Klinik, außer sie musste einen Patienten dringend kontrollieren, was nicht der Fall war. Also war sie für ihren Vater frei.
Sie wunderte sich gerne über sich selbst. Wie konnte sie mit einem Mann wie ihrem Vater so harmonieren, mit all seinen Ecken und Kanten, den Marotten, die er sich nur leisten konnte, weil er einer der führenden Physiker Europas war, aber mit anderen Männern ging gar nichts? Es musste wohl an diesen bescheuerten Kerlen liegen!
Sie liebte die Wohnung ihres Vaters und hoffte heimlich, dass ihre Eltern irgendwann wieder zusammenfinden würden, denn dann könnte sie in diese Wohnung umziehen. Alles Nötige hatte sie eigentlich schon: Stellplatz, Schlüssel und eine dauerhaft ausgesprochene Einladung, gerne jederzeit vorbeizukommen.
Alleine im letzten Punkt hatte sie es sich aber zur Auflage gemacht, nie wieder ohne vorherige Ankündigung einfach mit dem Schlüssel einzutreten.
Vor einigen Monaten war sie vorbeigekommen und stand plötzlich einer leicht bekleideten Frau gegenüber. Beide schauten sich an als hätte es geblitzt und sie richteten dann den fragenden Blick an Vater Brugger, der gerade aus dem Bad kam.
Emma hatte sofort erkannt, dass diese Frau eine Professionelle war. Nun, das war nicht schwer, bei einer Frau die im Negligé und mit High Heels dastand und Champagner trank. Sie hatte einen leicht karibischen Einschlag und war mit einem Alter von vielleicht Mitte zwanzig nicht gerade eine potenzielle neue Lebensabschnittsgefährtin für ihren Vater.
Dieser hatte sie begrüßt, als sei es das Normalste der Welt, und ihr dann die Dame vorgestellt, eine gewisse Chantal. Vielleicht auch „Chantalle“, in dem Metier wusste man sicher nicht genau, wie die „Schantall“ nun genau geschrieben wurde.
Der jungen Ärztin war es sichtlich peinlich, der Hure etwas weniger und dem Professor anscheinend gar nicht. „Shanty“, so nannte er sie liebevoll beim Abschied, warf sich nur einen knielangen, roten Lackmantel um und war damit wieder vollständig angezogen.
Ihr Vater fragte Emma, ob sie Kaffee oder Tee wolle. Emma stand sprachlos mit herunter geklapptem Unterkiefer da.
„Was ist, Kleines?“, fragte er und sie schluckte den Kloß in ihrem Hals erst mal runter und sagte dann: „Meinst du nicht, dass ich eine Erklärung für das hier verdiene?“
Die Erklärung kam auch. Er sei ein Mann mit Bedürfnissen, er habe keine Zeit, Frauen kennenzulernen, übrigens auch keinen Nerv für die Partnersuche und vor allem, und das stimmte Emma dann milde, würde er sowieso immer ihre Mutter lieben, ob geschieden oder nicht. Insofern wäre es geradezu töricht, sich eine neue Lebenspartnerin zu suchen, wenn der Idealzustand doch die Wiederherstellung der alten Ehe war. Der Hauptgrund für die Scheidung sei schließlich die Leidenschaft für die Arbeit gewesen und das wurde beiderseitig so gesehen. Sobald diese mit dem beidseitigen Ruhestand wegfiel, könnte es durchaus wieder klappen.
Emma umarmte ihn dafür, flüsterte ihm dabei aber ins Ohr: „Aber wenn ich nochmal einer halbnackten Hure in deiner Wohnung vorgestellt werde, dann mische ich dir was in deinen Lieblingstee, dass du nie wieder eine brauchst. Verstanden?“
Sie blickte ihn lieb an, hob den Zeigefinger hoch, krümmte ihn dann demonstrativ und hob die Augenbrauen nochmal, um ein Zeichen seiner Zustimmung zu fordern.
„Ja, ich verspreche es! Shanty ist eine echt liebe Person und wir unterhalten uns auch mehr als dass wir ... Du weißt schon! Und wir machen auch nichts Ekliges oder Perverses.“
Emma hielt sich die Hände vors Gesicht, um die Bilder abzuwehren, die durch diesen Kommentar ihres Vaters erzeugt wurden. „Dad! Zu viel Information! Lass das!“
Sie musste sich beherrschen, um nicht zu lachen, damit er nicht für zukünftige Eskapaden ermutigt wurde, aber irgendwie war er schon süß, wie er das alles nüchtern und mit Logik erklären wollte. Und schlimm war daran am ehesten, dass sie als seine Tochter diese Logik besser verstand, als das Gefühlsleben. Was bei ihr hängen blieb, war die Aussage, dass er Mutter noch liebte und wohl nie eine andere wollte und das machte sie glücklich.
Nun stand sie wieder einmal an seiner Wohnungstür und da sie sich sicher sein konnte, dass ihr Vater diesmal keinen Besuch hatte, schloss sie die Tür auf, schaute aber trotzdem erst mal vorsichtig rein. Es bestand da immer noch die Möglichkeit, dass er irgendwann im Laufe des Anziehens abgelenkt worden war. Das kam schon mal vor bei ihm.
Da war sie, ihre heiß begehrte Wohnung. Dieser eine riesige Raum, mit der großen Fensterfront, der geradezu darum bettelte, von ihr neu eingerichtet zu werden. Sie kam langsam herein, da bemerkte sie, dass die Badezimmertür geschlossen war. Emma legte ihre Handtasche ab und rief einmal laut durch den Raum, damit er Bescheid wusste, dass sie eingetroffen war.
Sie konnte schnell erkennen, dass die dringende Angelegenheit wohl irgendwas mit seiner Arbeit zu tun hatte. Sein Rechner und sein Laptop liefen gleichzeitig, auf dem Tisch lagen Ausdrucke ziemlich wirr durcheinander, oben auf eine CD: „Magnussen C-14“! Klang fast wie eine neue alternative Rockband, aber zu neunundneunzig Prozent war da wohl keine Musik drauf.
Das Bett war sorgsam gemacht. Die Überdecken waren abgeräumt, neben dem Bett in einer Ablage verstaut und stattdessen schmückte eine einladende, weiche Tagesdecke den Raum. Emma blickte schräg nach oben zu dem großen Flat Screen und erkannte den Bildschirmschoner.
Aha! Papa hatte also eine Präsentation für sie vorbereitet, die gemütlich auf dem Bett genossen werden sollte. Konnte ihr nur recht sein. Am Schreibtisch herumsitzen wollte sie nicht unbedingt. Sie packte sich eines der Kissen und richtete sich eine schöne Rückenstütze her. Dann kam ihr Vater aus dem Bad und sie zuckte zusammen.
Er sah mitgenommen aus, etwas bleich im Gesicht, die Haare notdürftig nass nach hinten gekämmt, so gut das eben bei dieser Frisur möglich war. Er lächelte sie an, oder besser gesagt, er versuchte es, und das störte Emma nun wirklich. Das Lächeln kam bei ihm sonst natürlich, ein gewinnendes Lächeln, nie gekünstelt, aber dieses wirkte irgendwie gezwungen.
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