„Die Obduktion wird uns hoffentlich Neues ans Tageslicht bringen.“ Werner stand links von ihr, seine behandschuhten Hände griffen nach der linken Hand der Toten. „Sie hatte ihr Leben noch vor sich. Wenn sie identifiziert ist, werde ich dafür Sorgen, dass wir den Täter bald schnappen..“
Bea war nachdenklich. „Ich lasse jetzt das raus, was dieser Schweinehund verdient, aber ich sage dir, Werner,“ und sie betrachtete energisch die junge Tote, „der Kerl wird keine ruhige Minute mehr haben, wenn ich erstmal die Spur aufgenommen habe. Ich werde ihm zeigen, dass seine Macht nicht unbegrenzt ist.“
Robert kam gerade von der Maloche. Maschinenbauschlosser in der Metallbranche. Er wohnte in Dortmund Hörde in einer 3-Zimmer-Wohnung, der Job wurde gut bezahlt, sonst wäre er nicht hierher gezogen. Er war kaputt, noch mehr als gestern. Seinen Arbeitskollegen hatte er erzählt, dass Mary nicht gekommen und auch nicht mehr angerufen hatte, seitdem... er hörte sich alle gutgemeinten Tipps und Ratschläge seiner Mitarbeiter an. Yusuf hatte gleich gemeint, er solle die Bullen anrufen. Gleich die Bullen? In Köln oder in Dortmund. Wenn überhaupt war Köln zuständig, Mary Meyer wohnte ja in Köln. Wäre es nicht richtig, die Eltern zu benachrichtigen? hatte Phillip vorgeschlagen. Robert Kuhlemann wusste, dass sie nicht großartigen Kontakt zu ihren Eltern pflegte. Sie war 26 und gleich nach ihrer Ausbildung von zu Hause ausgezogen. Sie hatte eine tolle Appartementwohnung.
Es war Dienstag 17 Uhr 26, und er hatte noch immer nichts unternommen. Er wusste nicht warum. Freitag und Samstag hatte er sich die Kante gegeben, freitags mit Kumpels, Samstags allein. Am Freitag schwor er sich, wenn Mary was passiert sei, bringe er den Hund eigenhändig um, seine Freunde pflichteten ihm bei, der Kasten Bier wurde schnell leer, der zweite wurde von den Vier angebrochen. Roberts Stimmung war ein Abwesendsein bei gleichzeitig blitzartig wechselnder Aggression, die er verbal mit ausartenden Attacken, von sich ließ, gesteigert von seinen Kumpels, die lauthals riefen, den bringe wir zur Strecke, wenn wir den erwischen, ich sag es dir, und samstags, er hatte spätnachmittags erst eingekauft, nachdem er seinen Rausch ausgeschlafen hatte, wollte er mit sich und der Welt allein sein, auch wenn sich so sehr nach Mary sehnte; nach vier Flaschen Bier bekam er einen Moralischen, er sah sich Fotos von ihr an, Tropfen fielen auf die Bilder, Erinnerungen von ihrem letzten Sommerurlaub in Griechenland in der Ägäis, dem wunderbaren Strand, dem herrlich warmen Wasser, den Snacks im Bistro, die geilen Abende und Nächte in der Ferienwohnung, wo sie es sich auf der Terasse in Campingstühlen bei einem Rotwein und Oliven und Schafskäse romantisch machten, in der sternenklaren Nacht zärtlich zueinander waren, Mary in ihrem superscharfen schwarzen Tanga und dem knappen Bikini, wie sie sich heiß machten!, er ihr das Oberteil langsam runterzog, sie dann in die Ferienwohnung trug und mit endloser Begierde nahm...sie schliefen miteinander in dieser einzigartigen Nacht, in diesem mediterranen Flair mit seiner göttlichen Ruhe der See, unterbrochen vom Zirpen von Grillen und den Lauten von Singvögeln, war Mary die Frau, die er heiraten wollte. Robert steckte die Fotos wieder in die Tasche, legte sie in die Schublade des Wohnzimmerschranks. Er hatte noch mehr getrunken, hörte laut Musik. Er war ihr ganz nahe gewesen, Mary war gegenwärtig, er rieb sich seinen Nacken. Er leerte die Flasche, zündete sich eine Fluppe an, holte sich ne Neue aus der Küche. Replay-Modus hatte er eingeschaltet: Loosing my religion , von R.E.M. und er sah immer wieder Mary vor Augen.
So konnte es nicht weitergehen. Er machte sich Kaffee, sah auf die Uhr, sah darauf: noch keine 18 Uhr. Jetzt machte er Nägel mit Köpfen, sein Handy war griffbereit. Er goss sich Kaffee mit einem Schuss H-Milch in die Tasse, zündete eine Zigarette an. Schluckweise bereitete er sich auf das Telefonat vor. Er überlegte, was er sagen sollte: er musste glaubwürdig erscheinen, die Dringlichkeit musste er hervorheben, mit Nachdruck mitteilen.. Im Internet fand er die Nummer der Kripo Köln heraus. Er rief an, wurde gleich mit Werner Brand verbunden.
„Mein Name ist Robert Kuhlemann. Ich muss eine Vermisstenanzeige machen. Meine Freundin, Maria Meyer, ist seit Freitag, dem 16. November verschwunden. Sie wollte mich übers Wochenende in Dortmund besuchen, sie ist wohnhaft in Köln.“
„Bitte geben Sie eine genaue Beschreibung ihrer Freundin an,“ forderte ihn Brand telefonisch auf.
Er sagte ihr Alter, beschrieb sie, erwähnte ihre Körpergröße und ihr Gewicht, ihre Augenfarbe und die Farbe und Länge ihrer Haare, ihre Statur, ihre vollkommene Figur.
„Ich muss Sie bitten, ins Kölner Polizeipräsidium am Waidmarkt zu kommen. Ihre Angaben entsprechen genau der Frauenleiche, die heute Morgen in Köln-Porz entdeckt worden ist. Seien Sie bitte morgen früh um 9 Uhr in meinen Büro, bei Hauptkommissar Brand von der Kölner Mordkommission.“
„Ich werde morgen da sein, Hauptkommissar Brand. Bis August 2006 wohnte ich noch in Köln, ich kenne den Ort des Präsidiums. Sie sehen mich morgen.“
„Machen Sie es gut, Herr Kuhlemann.“
Am nächsten Morgen fuhr Kuhlemann nach Köln. Er musste sich auf der Autobahn bremsen, nicht so viel Gummi geben, sein aquamarinblau-metallic Opel Corsa, das neueste Modell, fuhr er teilweise zu schnell. Schon bald fing der Stau an, kurz vor Köln, die Einfahrt am Kölner Ring wurde vom Berufsverkehr blockiert.. Sein Chef hatte Verständnis, gab ihm am Vormittag frei, und Robert fand es unter diesen Umständen nicht so schlecht, erstmal der Metallbude den Rücken zu kehren.
Als er das Präsidium betrat, stieg sein Pulschlag, sein Adrenalin strömte unausweichlich in seinen Organismus. Er wurde zum Büro der Hauptkommissare gebracht, nachdem er sich ausgewiesen hatte.
„Guten Tag, Herr Kuhlemann. Sie kommen im Mordfall Meyer. Setzen Sie sich bitte.“ Brand sah einen jungen, großen Mann, bestimmt 1 Meter 90 groß, mit dunklen Haaren, einem 3-Tage Bart, gekleidet mit einer gebleichten Jeansjacke mit Fellkragen, dunkelblauen Jeans und schwarzen halbhohen Schuhen.
„Ich frage Sie, warum haben Sie erst gestern die Polizei benachrichtigt? Sie vermissen Frau Meyer schon seit letztem Freitag!“
„ja, das stimmt. Anfangs wollte ich es nicht wahrhaben, dass ihr etwas zugestoßen ist, obwohl ich das immer im Hinterkopf hatte. Das Wochenende war die Hölle, und als ich am Montag wieder arbeitete, rieten mir meine Kollegen, die Polizei anzurufen.“
Brand wartete kurz, sah ihn genau an, seine Mimik und Gestik zeigten Nervosität und Unruhe, seine schnelle Aussprache widerspiegelte seine Aufgeregtheit.
Paulsen ergriff das Wort, „Ich verstehe schon, dass sie besorgt waren und versucht haben, das Ganze zu verdrängen. Und ihre Freundin rief sie auch nicht mehr an., stimmt das?“
„Ja!“ Robert schüttelte den Kopf, dann klatschte er sich an die Stirn.
„Das muss Sie doch bedenklich gemacht haben, und dann rufen Sie erst am Dienstag an!“
„Sie wollen doch nicht mich verdächtigen. Ich liebte Mary, sie war mein Ein und Alles. Ich war es nicht.“
„Herr Kuhlemann,“ Brand übernahm wieder das Wort, „wo waren Sie am Freitag, den 16. November zwischen 18 und 20 Uhr?“
„Ich war mit Kumpels zu Hause. Die können das bezeugen. Mary hätte kurz nach 7 Uhr bei mir sein müssen, war sie aber nicht. Aus lauter Sorge und Frust lud ich ein paar Kumpels ein und wir tranken einen über den Durst. Die Jungs können das bezeugen.“
„Wir gehen der Sache nach. Wir müssen rein formell erkennungsdienstliche Maßnahmen von ihnen machen und eine Speichelprobe entnehmen.“
„Machen Sie das ruhig. Ich habe keine Schuld, ich habe nichts zu verbergen.“
Die Polizeibeamten erledigten rasch die Untersuchungen. Robert kam sich lächerlich vor, was glaubten die eigentlich, wer die sind? Doch er blieb dabei ruhig und gefasst, und vermied etwas Dummes zu sagen.
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