„Das meine ich nicht!“ Alexei griff aufgeregt mit der linken Hand in Stans Shirt. Mit der rechten deutete er auf eines der Liebesschlösser. „Es war nicht umsonst! Wir haben unseren Hinweis gefunden!“
Stan folgte seinem ausgestreckten Arm und seine Augen weiteten sich. Konnte das wirklich sein? War dies tatsächlich ein realer Beleg oder purer Zufall? Noch während er darüber nachdachte, verselbstständigten sich seine Lippen und er flüsterte die Namen vor sich hin, die klar und deutlich auf dem Schloss eingraviert waren: „Chesteti und Hieronymus.“
Kapitel 8, Dienstag: 20:37 Uhr
„Oh Mann, ich bin echt platt.“ Stan stöhnte, schloss die Augen und lehnte sich erschöpft in den Polstersitz der Bahn zurück. Nachdem sie gestern den bekannten Namen auf dem angebrachten Liebesschloss entdeckt hatten, waren sie heute sofort nach dem Frühstück wieder nach Bad Münster aufgebrochen, um die Bewohner nach Hieronymus und dieser Chesteti auszufragen. Den gesamten Tag hatten sie in der glühenden Hitze damit verbracht, an Haustüren zu klingeln und vorüberziehende Leute anzusprechen. Das Ergebnis war jedoch ernüchternd. Eigentlich hätten sie sich denken können, dass ihr Unterfangen nicht sehr erfolgversprechend war. Immerhin konnte Hieronymus überall stecken. Wer sagte, dass er denn tatsächlich in Bad Münster wohnte und hier nicht nur einen Ausflug unternommen hatte?
„Geht mir genauso. Ich bin echt müde. Sollte es heute nicht ein Wärmegewitter geben? Davon hab ich nichts gemerkt“, meinte Alexei und streckte sich.
„Keine Ahnung. Aber morgen rennen wir nicht wieder den ganzen Tag in dem Kaff rum und fragen uns durch. Am Ende werden wir noch wegen Belästigung verhaftet.“
Sein Kumpel lachte bei der Vorstellung auf.
„Wäre auch mal was anderes. Vielleicht sollten wir es auf dem zuständigen Einwohnermeldeamt probieren“, schlug Alexei vor und Stan wägte den Gedanken ab, schüttelte dann jedoch den Kopf.
„Ich glaube kaum, dass die uns helfen werden oder können. Wir haben nur den Vornamen. Die brauchen doch bestimmt den Nachnamen.“
„Mmh … wir sollten es versuchen. Eine andere Idee habe ich nicht oder fällt dir etwas ein?“
„Puh, momentan nicht. Lass uns über was anderes reden. Mir schwirrt echt der Schädel und die Suche frustriert mich so langsam.“
„Kein Thema, verstehe. Was hältst du davon, wenn wir uns noch ein paar Cocktails in der Eisdiele gönnen?“
„Klingt nach einem guten Plan“, antwortete Stan mit einem müden Grinsen.
An der nächsten Haltestelle stiegen sie aus. Ohne Umwege liefen sie schweigend zur Fußgängerzone und nahmen an einem freien Tisch des kleinen Cafés Platz. Sie brauchten keinen Blick mehr in die Karte zu werfen, denn sie kannten sie bereits auswendig.
„Immer noch hier?“
„Das ist aber eine nette Art, seine Kunden zu begrüßen“, meinte Stan mit einem schiefen Lächeln und der Kellner griente schulterzuckend zurück.
„Bekommt nicht jeder hier, 'ne. Fühlt euch geehrt.“
„Tun wir“, pflichtete Alexei ihm scherzhaft bei und zwinkerte verschwörerisch.
„Okay, Männer. Das wäre geklärt. Dasselbe wie gestern?“
„Jupp“, stimmten beide zeitgleich zu und der Kellner zog sich nickend zur Bar zurück.
„Komischer Vogel.“
„Ja, ist 'ne Nummer für sich. Wird mir fehlen“, gab Stan mit einem todernsten Blick zurück und Alexei stieß ihn leicht unter dem Tisch an.
„Komm schon. Nicht wirklich.“
„Doch, er ist cool.“
„Du verarscht mich!?“
„Würde ich niemals tun.“
„Ja, klar.“
Für einige Sekunden schwiegen sie und hingen ihren Gedanken nach. Stan massierte sich die Stirn und atmete tief durch. Er hatte bereits so viele Niederlagen einstecken müssen, in denen seine Suche einfach nur erfolglos war, ganze Jahre, doch keine hatte ihn derart deprimiert wie diese. Er konnte nicht sagen, an was es genau lag. Vielleicht war es die Tatsache, dass er diesmal nicht allein war oder, dass je mehr Zeit verstrich, er das Gefühl hatte, sich nicht mehr an Lara erinnern zu können. Er fühlte sich ausgelaugt und ausgebrannt. Sein Entschluss stand fest. Sobald sie zurück waren, würde er in den sauren Apfel beißen und seine Ermittlungen beenden.
„Vielleicht sollten wir früher zurückfahren“, murmelte er gedankenversunken vor sich hin und sein Kumpel blickte ihn fassungslos und irritiert an.
„Was? Wieso?“
„Weil es einfach nichts bringt. Wir laufen im Kreis.“
„Finde ich nicht“, entgegnete Alexei überzeugt. „Wir haben den Beweis, dass Hieronymus wirklich existiert und in der Gegend war.“
„Erstens wissen wir gar nicht, ob es überhaupt Laras Hieronymus ist und zweitens hast du es selbst gesagt: Er war in der Gegend. Keine Ahnung, wo er jetzt ist.“
„Stan, wie viele Typen gibt es, die so seltsam heißen? Wir sollten wirklich das mit dem Einwohnermeldeamt versuchen. Wir könnten auch noch versuchen, den Namen in einer Suchmaschine vom Internet einzugeben.“
Stan schnaufte.
„Ich weiß nicht …“
Sie wurden von der Bedienung unterbrochen, die ihnen die Cocktails brachte. Irritiert schauten sie den rundlichen Wirt an.
„Schichtwechsel?“, fragte Alexei verwundert und der Mann nickte schnaufend, der von seiner Statur an eine reife Tomate erinnerte.
„Joar, der Faulpelz macht mal wieder eine Pause. Zu nichts nutze, die Jugend. Ständig nur am Handy und am Telefonieren. Doch keine Sorge, ich kann das Cocktail Mixen genauso gut.“
Die Freunde trauten sich nicht, zu widersprechen, und nahmen die Getränke schweigend an. Noch immer lag der Unmut der erfolglosen Suche über ihnen wie eine schwere Wolldecke. Der Wirt verzog missmutig die Miene.
„Ihr habt sie noch gar nicht probiert. Kein Grund, so ein Gesicht zu ziehen! Die schmecken, sag ich euch!“
„Ah, sorry. Das ist es nicht“, meinte Alexei entschuldigend und kratzte sich am Nacken.
„Nicht? Was für eine Laus ist euch denn dann über die Leber gelaufen?“
„Ähm … also, es war einfach nicht unser Tag.“
„Das Scheißwetter ist viel zu heiß! In diesem Kaff gibt es außer dem Museum, der Miene und dem Schloss nichts, was man machen kann – keine Disco, nichts. Und dann diese sinnlose Rumrennerei wegen einem Typ namens Hieronymus! Kein normaler Mensch heißt so! Der Kerl existiert bestimmt nicht!“, platzte Stan mit seinem Missmut verärgert heraus und leerte anschließend zur Hälfte den Mojito mit nur einem Schluck. Die Augen des Wirtes weiteten sich überrascht. Für ein paar Sekunden starrte er die beiden Freunde an, bevor er ihnen aufmunternd auf die Schultern klopfte.
„Das Wetter kann ich leider nicht ändern. Genauso wenig wie die fehlenden Attraktionen in unserer kleinen, aber feinen Edelsteinstadt. Aber was den dritten Punkt betrifft, da könnte ich euch helfen.“
„Ja, schon …“ Stan stockte. Zeitgleich mit seinem Kumpel hob er den Kopf und starrte den Wirt ungläubig an.
„Wie? Sie kennen einen Typ, der Hieronymus heißt?“, fragte Alexei vorsichtig nach und der runde Kopf des Mannes wippte emsig auf und ab.
„Leider ja. Das Schicksal hat mich böse damit gestraft.“
„Und sie verarschen uns auch nicht?“, hakte Stan misstrauisch nach, worauf der rundliche Wirt abwinkte.
„Nein, ganz und gar nicht.“
„Und können Sie uns sagen, wo wir ihn finden können?“ Alexeis Herz klopfte bis zum Anschlag.
„Aber sicher. Er ist ganz in der Nähe.“
„Wo?“, platzten beide heraus und der Mann hob sich lachend seinen vibrierenden Bauch. Stan wollte das Ganze schon als einen schlechten Scherz abtun, als er antwortete: „Er überzieht gerade seine Raucherpause.“
Ihnen kippten die Kinnladen nach unten. Meinte er tatsächlich den seltsamen Kellner? Der Wirt lachte abermals beherzt und dröhnend auf.
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