Ich lasse den Höhenhebel sausen, da er nur bei laufender Turbine eine Funktion hat. Den Steuerknüppel halte ich mit Links statt mit Rechts, denn mit Rechts fummle ich an den vier Drehreglern für den Anstellwinkel der einzelnen Rotoren, die unpraktischer Weise ganz rechts an der Mittelkonsole angebracht sind, in Reichweite des Kopiloten.
Es ist, als würde ich den Lippenstift aus dem Handschuhfach eines Hovercars fischen, um mich schön zu machen, während ich versuche, eine Rallye über den Norsk-Gletscher zu gewinnen; den zerklüftetsten und damit gefährlichsten Gletscher Norgenons. Ein unachtsamer Moment und man stürzt in den Fjord oder eine Felsspalte — wieder eine Erinnerung Siranis. Sie hat regelmäßig an den Rallyes teilgenommen. Sie hat jedes Mal gewonnen.
Gleichzeitig achte ich auf den künstlichen Horizont, der mir sagt, in welche Richtung ich die Anstellwinkel korrigieren muss.
Diese Drehregler sind nicht zum Steuern gedacht.
Hektisch tariere ich den stummen Jet immer wieder aus. Beinahe stürzen wir ab, als mir der Hoverjet durchsackt.
Schnell neige ich die Nase nach unten und nehme wieder Fahrt auf.
Ich lande den Vogel tatsächlich — wenn man von einer Landung sprechen kann, indem man ein Flugzeug vollständig während des Kontaktes mit dem Boden in seine Einzelteile zerlegt; über fünfhundert Meter verteilt.
Die Kabinenhaube ist weg, ich habe sie kurz vor dem Bodenkontakt abgesprengt. Zuvor habe ich den Steuerknüppel kurzfristig losgelassen, um den Zündkontakt für den Schleudersitz auseinanderzureißen. Sonst hätte ich einen tödlichen Freiflug spendiert bekommen.
Alte Pilotenregel: Niemals den Schleudersitz am Boden auslösen. Sirani wäre dabei einmal fast draufgegangen. Sie hat es wegen einer verlorenen Wette getan.
Sie wurde nur deshalb nicht entlassen, weil sie schlicht die beste Pilotin war.
Die Rotoren haben sich kurz nach dem Bodenkontakt verabschiedet. Die Stummelflügel sind abgerissen. Nur der Unterboden mit den Sitzen darauf und das Gerippe der Kanzel sind noch in einem Stück.
Die Turbine liegt irgendwo weiter hinten, wo ich das erste Mal aufgesetzt habe.
"Eine Landung, wie im Lehrbuch." Ich zucke mit den Schultern und lächle lakonisch.
Ich öffne den Sicherheitsgurt, stehe auf und ziehe eine Zigarre aus dem Bordfach.
Die anderen starren mich einfach nur an.
Als ich mir die Zigarre anzünden will, sehe ich auf meinen Bauch. Er ist völlig blutverschmiert. Das Adrenalin vom Luftkampf hält den Schmerz immer noch fern.
"Sirani, ich glaube, wir haben ein Problem."
Dann sacke ich vorn über.
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Überlebt
"Eins ist klar", stellte Sander Marrado fest. "Wenn Isak geflogen wäre, hätte niemand von uns überlebt. Möge Borin seiner Seele gnädig sein."
"Hilf mir mal." Nimor Thorsmid sah zu Sander auf. "Sonst kannst du gleich ein zweites Gebet für Skeyra sprechen."
Sander kniete sich mit ernster Miene neben seinen Freund.
Angst: Selten hatte er dieses Gefühl erlebt; und wenn, dann für sich selbst. Sander stellte fest, dass das Mädchen ihn besonders berührte.
"Was kann ich tun?"
"Press deine Hand fest hier drauf." Nimor zeigte auf eine Stelle auf Skeyras Bauch.
Sander tat, wie geheißen. "Skeyra", flüsterte er. "Nicht sterben. Bitte. Wir alle lieben dich. Wir sind es deiner Mutter schuldig."
"Ganz genau." Sandrine kniete sich neben ihn und strich Skeyra eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
"Du wirst überleben. Und sei es nur, damit ich Sanders Finger brechen kann, falls er dir an die Wäsche will."
"Wo denkst du hin?" Sander fluchte innerlich. Hatte Sandrine etwas von der Wette mitbekommen?
"Ich meine nur, für den Fall. Ihr Ruf eilt ihnen voraus, Professor."
Er senkte den Blick. "Ich weiß. Zu recht. Ich könnte nur mit ihr zusammen sein, wenn sie es auch wollte. Ich meine, wenn sie sich wirklich verlieben würde. Ich würde keine andere mehr ansehen."
Sander blickte Sandrine fest in die Augen. "Sie bringt etwas in einem zum Klingen. Sie ist etwas Besonderes."
"Das ist sie", bestätigte Sandrine. "Deshalb wirst du deine Finger von ihr lassen."
Sie erhob sich und verließ das Lager. Die Frau wirkte getrieben, ruhelos. Sander konnte es ihr nicht verdenken.
Nimor zog die improvisierte Pinzette mit einem hässlichen schmatzenden Geräusch aus der Wunde. Etwas Metallisches glitzerte zwischen Blut und Geweberesten. Es klackte, als das Projektil aus Skeyras Bauch in ein ausrangiertes Marmeladenglas fiel.
"Jetzt kann ich die Wunde vernähen. Wenn wir Glück haben, verheilt alles wieder."
"Und wenn wir kein Glück haben?" erkundigte sich Sandrine, die es nicht lange abseits des Lagers ausgehalten hatte.
"Dann bekommt sie innere Blutungen, weil Blutgefäße beschädigt sind."
"Und was heißt das?" fragte Sander seinen Freund.
"Dass sie sterben könnte." Nimor sah nicht auf. Sander legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Du hast getan, was du konntest, mein Freund."
Sandrine wandte sich ab und machte wieder ihre Runde um das Lager. Seit der Landung war sie aufgekratzt und ließ niemanden an sich heran. Das Mädchen war ihr offensichtlich wichtiger, als sie zugeben wollte.
Sander strich sich über den Dreitagebart. An Skeyra war weitaus mehr, als man auf den ersten Blick vermuten würde.
Er hatte gemeint, was er sagte. Sie einfach nur zu verführen, erschien ihm mittlerweile falsch. Sie hatte ihn bereits verändert. Auf ihre einfache, manchmal sarkastische, direkte Art.
Sander hielt Sandrine an, als sie in seine Nähe kam. "Weißt du, wie weit es bis nach Stava ist?"
Sie zog die Schultern hoch und atmete geräuschvoll aus.
"Ich weiß es nicht", gestand sie. "Wenn ich richtig liege, brauchen wir ein bis zwei Tagesmärsche. Mit Skeyra auf einer Trage mindestens drei."
Sander sah zu Sandrine auf. "Für sie würde ich bis ans Ende der Welt gehen. Sie hat es verdient, endlich ein anständiges Leben zu führen."
Sandrine legte Sander eine Hand auf die Schulter. Sanft. "Du bist garnicht so übel, wie man dir nachsagt."
Sie sah ihm in die Augen. "Skeyra braucht Leute wie dich an ihrer Seite. Zu ihrem Schutz. Nicht als Liebhaber."
Sander lächelte. "Du willst mich also für dich, was?"
Sandrine boxte ihn vor die Brust. "Pass auf deine Zunge auf. Es könnte sein, dass sie dir eines Tages jemand gewaltsam entfernt."
"Ich kann nicht anders", grinste Sander. "Ich bin einer von den Jungs, denen Frauen einfach nicht widerstehen können."
Sandrine lachte verächtlich. "Sicher."
Mit einem Blick in Richtung Nimor, der gerade dabei war, Skeyra in eine Decke zu wickeln, wurde sie wieder ernst. "Ruh dich aus. Morgen wird es ziemlich hart."
"Das kannst du laut sagen", gab Sander zurück. "Und nicht erst morgen."
Sandrine verdrehte ihre hübschen jadegrünen Augen. "Geh schlafen."
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Nach Stava
Ich werde durchgeschüttelt. Mein Kopf liegt auf der Seite. Ich habe das Gefühl, die Welt kippt. Irgendwie scheint mein Bett schräg zu stehen. Ich fühle mich, als wenn ein mittelschweres Erdbeben stattfindet. Dabei liegt das Letzte bereits Jahre zurück.
Nach einer Weile werde ich neugierig. Wie durch Sirup kämpfe ich mich in den Wachzustand.
Ich liege auf einer Trage. Schräg. Festgebunden mit Schnüren und Riemen. Ich werde hinter irgendetwas hergezogen, sodass die unteren Enden der Trage am Boden schleifen.
"Ah, die junge Ladri ist wach." Nimor Thorsmid kann seine Freude darüber nicht verbergen. Sarkasmus steht ihm einfach nicht.
"Ja, ist sie", entgegne ich mit rauer Kehle.
"Skey!" Sandrine stürzt zu mir. Das Schaukeln und Rumpeln hat aufgehört. Sie gibt mir etwas zu trinken.
Erst jetzt merke ich, wie durstig ich bin.
"Braves Mädchen", höre ich Sanders Stimme hinter mir. Häh — meint er mich?
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