Michael Stuhr - PORTALFEUER

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Bis vor wenigen Monaten war Moulder-City eine sterbende Stadt, da die Ölquellen vollig versiegt waren. Plötzlich sprudelt der wertvolle Rohstoff jedoch wieder reichlicher als je zuvor.
Jeffs Vater verdient beim Wachdienst der Moulder-Oil-Company nicht schlecht, und die Familie ist zufrieden. Eines Tages wird er aber bei einem Dienstunfall schwer verletzt.
Jeff und seine Schwester versuchen herauszubekommen, warum der Unfall vertuscht werden soll; statt auf Antworten stoßen sie aber nur auf immer neue Fragen: Wie kommt ein haiähnliches Wesen mitten ins Weideland? Warum beschäftigt die Förderfirma einen Astrophysiker? Und die größte Frage von allen lautet: Wo kommt eigentlich das Öl her, das Moulder wieder zu einer reichen Stadt gemacht hat?
Ein spannender Actionroman um junge Leute auf der Suche nach der Wahrheit, geschrieben vom Verfasser der Reihe «Das Team».
282 Standardseiten
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Jeff hob grüßend die Hand und der Chevy fuhr an den Randstein. Wegen der abgedunkelten Scheiben war vom Wageninneren kaum etwas zu erkennen.

Kühle Luft mit einem Hauch von feuchter Windel wehte Jeff entgegen, als er die Tür öffnete und den Fuß auf das Trittbrett setzte. Er stellte zuerst die Schultasche in den Fußraum und stieg dann ein.

“Hi, Dad!” Jeff zog die Tür ins Schloss. “Wo kommen die denn her?” Er zeigte mit dem Daumen über die Schulter in Richtung Rücksitz, wo Danny und Paddy, die knapp anderthalbjährigen Zwillinge, in ihren Kindersitzen saßen.

“Deine Mutter ist mit Edna Blenheim nach Dallas gefahren. Irgendein plötzlicher Notfall in Ednas Familie. – Da hat sie mir die beiden zur Firma gebracht. Deswegen auch die Verspätung. Hab fast ´ne halbe Stunde gebraucht, die Sitze hier einzubauen.”

“Oh!”, sagte Jeff mitfühlend und traute sich kaum, seine Bitte auszusprechen, denn schließlich kam sein Vater gerade von der Arbeit. – Trotzdem musste es sein. “Äh, könnten wir noch kurz bei ‚Tools & Parts‘ vorbeifahren?”, fragte er. “Ich bräuchte ´ne neue Zündkerze für den Scooter.”

“Hast du die denn immer noch nicht gewechselt?”, seufzte Steve O´Bannion und sah seinen Sohn vorwurfsvoll an. “Die war doch schon lange fällig.”

“Man spart, wo man kann!”, meinte Jeff und grinste. “Hat doch bislang noch funktioniert.”

“Ist auch ´ne Einstellung”, meinte der Vater gleichmütig und bog in die Straße ein, an der der Werkzeugladen lag.

Zehn Minuten später hatte Jeff sich die neue Kerze besorgt und sie waren endlich auf dem Heimweg.

Zurzeit war Moulder-City eine einzige Baustelle und sie mussten einen Umweg fahren, weil die Straße, die in ihr Viertel führte, gerade neu geteert wurde. Aber auch sonst sah man überall Scharen von Handwerkern herumlaufen, die Häuser renovierten. Telefonleitungen wurden verlegten und lange ungenutzte Geschäftsräume wurden nach den Wünschen der neuen Besitzer ausgebaut.

Die ganze Stadt war im Aufbruch: Gipskartonplatten und Profilschienen standen und lagen auf den Bürgersteigen herum, Bauholz war in den Vorgärten aufgestapelt und überall parkten die Lieferwagen der Handwerker. Über der ganzen Stadt lag eine Aura hektischer Betriebsamkeit und darauf, dass Moulder bis vor einigen Monaten fast eine Geisterstadt gewesen war, wäre ein zufälliger Besucher niemals gekommen.

“Beiß?”, kam Paddys Stimme zaghaft vom Rücksitz. Die Stimme klang ängstlich und Jeff drehte sich auf seinem Sitz halb um. “Beiß?”, fragte Paddy wieder. Er saß stocksteif in seinem Kindersitz und schielte mit halb abgewandtem Gesicht auf ein großes graues Insekt, das auf seinem nackten Ärmchen herumkroch.

“Beiß!”, meinte Danny, Paddys Zwillingsbruder, fachmännisch vom Nebensitz aus, was bedeuten sollte, dass er überzeugt war, dass das Insekt gefährlich sei.

Das Tier sah mit seinem fast fingerlangen Körper wirklich ziemlich bedrohlich aus. Mit einer raschen Bewegung schob Jeff seinen Oberkörper zwischen den Sitzlehnen hindurch und wischte es von Paddys Arm herunter. Es fiel auf die Sitzbank und Jeff gab ihm schnell noch einen Schubs, der es auf den Boden des Wagens beförderte. Dann schnappte er sich Paddys Arm und sah kurz nach, ob das Tier zugestochen hatte.

“Aua!”, behauptete Paddy und strahlte seinen großen Bruder mit leuchtenden Augen an.

“Kein Aua!” Jeff ließ den Arm wieder los. “Hast Glück gehabt.”

“Lück!”, bestätigte Danny vom Nebensitz her und quiekte vergnügt.

Das Insekt war auf den Rücken gefallen und einfach so liegen geblieben. Jeff zog die Augenbrauen zusammen und beugte sich ein wenig zu dem Tier hinab. Es schien ihm nicht gut zu gehen, denn es machte keinerlei Anstalten, zu fliehen oder anzugreifen. Es lag einfach nur da und wackelte ein wenig mit den Fühlern und Beinen herum. Es starb gerade, das war ziemlich sicher.

Schon schwebte die Schachtel mit der Zündkerze über dem Insekt, um es zu zerquetschen, aber dann überlegte Jeff es sich anders. So ein Tier hatte er noch nie gesehen, und das brachte ihn auf eine Idee: Shereen, seine ältere Schwester, wollte Biologin werden und machte in der Schule einen Bio-Leistungskurs nach dem anderen. Sie interessierte sich für Viehzeug aller Art, und da würde sie sich doch bestimmt über dieses abscheuliche Tierchen freuen.

Gedacht, getan! Jeff öffnete die Pappschachtel, nahm die Zündkerze heraus und steckte sie in die Tasche. Die leere Schachtel schob er so an das Insekt heran, dass er es aufnehmen und hineingleiten lassen konnte. Es passte gerade so in den schmalen Karton. Sorgfältig verschloss er die Schachtel, setzte sich wieder richtig hin und steckte sie in seine Schultasche.

“Was war denn?”, wollte Steve O´Bannion wissen und sah kurz zu seinem Sohn hinüber.

“Och nix”, meinte der. “Nur so´n komisches Insekt.”

“Insekt?” Der Vater zog die Augenbrauen zusammen. “Was für ein Insekt?”

“So ´ne Art Motte oder Hornisse vielleicht”, gab Jeff Auskunft. “Mit so komisch grauen Flügeln. - War aber schon halbtot.”

“Schmeiß es raus!” Das war kein Vorschlag, das war eine Anweisung.

“Nee, das bring´ ich Shereen für ihre Sammlung mit”, erklärte Jeff. “Die mag doch so´n Zeug.”

“Wenn du meinst – meinetwegen.” Der Vater hob gleichgültig die Schultern, aber Jeff merkte, dass er eigentlich überhaupt nicht einverstanden war. - Seltsam, er war doch sonst nicht so empfindlich. Erst vor kurzem hatte er selbst ein komplettes, natürlich leeres, Wespennest für seine Tochter von der Arbeit mitgebracht.

Draußen vor der Stadt, auf den über fünfhundert Quadratmeilen Gelände der Moulder-Oil, wo Jeffs Vater Streife fuhr, hatte sich die Natur im Lauf der Jahre ein gutes Stück Terrain zurückerobert. Die alten Pipelines, die stillgelegten Pumpstationen und sogar das Moulder-Airfield, der ehemalige Flugplatz der Region, wo heute nur noch ein paar Flugzeugwracks herumstanden - das alles war nach und nach wieder von Tieren verschiedenster Art besiedelt worden. Am Tag von der Sonne aufgeheizte Pumpenhäuser dienten in der Nacht wärmesuchenden Schlangen als Unterschlupf, die leeren Rohre der rostigen Pipelines waren ideale Rückzugsgebiete für Coyoten, und die Eidechsen nutzten jedes erwärmte Metallstück, um sich darauf zu sonnen. Daneben gab es auf den alten Ölfeldern natürlich auch Insekten aller Art, die den Vögeln als Nahrung dienten, die in jeder sich bietenden Nische nisteten.

In dieser Umgebung des Verfalls bewegte Jeffs Vater sich jeden Tag. Zu bewachen gab es da draußen wohl nicht sehr viel, aber trotzdem war die Moulder-Oil ziemlich eigen mit ihrem Grund und Boden. Das Einzige, was Jeffs Vater je von seinem Job erzählt hatte, war, dass es zu seinen Aufgaben gehörte, die wenigen Wanderer und Jäger, die sich auf das Gelände wagten, aufzuspüren und zurückzuschicken. – Und jetzt war er leicht angesäuert, weil Jeff dieses Insekt nicht aus dem Fenster warf. Wie konnte ein Mensch, der sich Tag für Tag in der freien Natur aufhielt, etwas dagegen haben, dass dieses tote Insekt in seinem Wagen war?

Jeff verstand es nicht und im Moment war es ihm auch ziemlich egal. Er hatte dieses Vieh für Shereen eingepackt und sie würde es, verdammt nochmal, auch kriegen! Außerdem hatte er gleich die Kerze an seinem Roller zu wechseln, und er wusste nicht, wo der Kerzenschlüssel war. Also lehnte er sich zurück und dachte angestrengt nach, wann und wo er ihn zuletzt gehabt hatte.

Als sein Vater den Suburban in die Wohnstraße lenkte, war Jeff sich ziemlich sicher, dass der Schlüssel in der Garage unter ein paar Putzlappen lag. Ganz in Gedanken hatte er gar nicht gemerkt, wie nahe sie schon am Haus waren. Jetzt, wo es so überraschend vor ihm auftauchte, sah er erst wieder, wie geräumig es wirkte. Jeff hatte sich so schnell an das Gute gewöhnt, dass er sich manchmal bewusst vor Augen rufen musste, wie es früher gewesen war.

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