„Wo ist diese Missgeburt?“
Herodes war außer sich. Wie ein eingesperrter Panther lief er im Thronsaal auf und ab.
„Ein Kind ein Heiliger! – Wo kommen wir dahin. Heiligkeit, Ruhm, Ehre, das alles hat man sich zu erarbeiten. Ein Kind, ein goldenes, die Welt, die uns geschaffen hat. Ha! Meine Kinder sind die Frucht meines Leibes. Sie gehören mir. Ich kann mit ihnen verfügen, wie es mir beliebt. Wenn ich will, kann ich sie lieben. Aber ich kann sie auch weggeben. Ich brauche sowieso nur einen Nachfolger. Versteht ihr! Ich kann sie auch töten, meine Kinder. Das ist die Sitte bei allen Völkern. Kinder sind privat, mein Eigentum, niemand hat mir dareinzureden.
Wenn ich diese Reden höre, der Widerschein des Himmels! Der Himmel ist weit weg. Kinder sind irdisch, sie sind aus Fleisch und Blut, aus meinem Blut. Niemand raubt sie mir, so wie mir niemand die Königswürde raubt.“
Betreten blickten die Berater zu Boden. Nicht noch den Zorn des Despoten reizen.
„Was nun?“, forderte Herodes herrisch. „Was ist nun mit diesem Kind? Gibt es Prophezeihungen?“
„Ja, erhabene Hoheit, Jupiter und Saturn sind verschmolzen und haben die Zeit des Wandels angekündigt.“
„Wandel, ja sicher gibt es Wandel. Ich bringe dieser Provinz den Wandel. Ich bin der Wandel. Was ist mit diesem Kind?“
„Ja, es heißt in den alten Schriften, dass ein Stern über dem Hause Jakobs aufgehen wird...“
„Ein Stern aufgehen? Verschmelzen ist nicht aufgehen!“
„Jupiter ist der Stern der Könige und Saturn ist der Stern des Volkes Israel. Wenn die beiden verschmelzen, ist das das Zeichen, dass ein Kind geboren wird, dem der Thron gegeben wird und dass es auf ewig herrschen wird.“
„Ein Kind kann kein König sein“, warf Herodes trotzig ein.
„Die Menschen werden sich um einen neuen König scharen, heißt es.“
„Aber der neue König, der bin doch ich! Die Menschen werden sich um mich scharen. Sie werden mich lieben, sie werden es lernen. – Das Kind, das Kind?“
„Es gibt Gerüchte im Volk, dass jetzt ein besonderer Knabe geboren wurde. Ein paar Hirten haben davon angefangen. Als die Astrologen das Kind besucht haben, glaubten immer mehr Menschen daran.“
„Ist das alles?“
„Ich fürchte nein, Erhabener. Als der Junge Abraham geweiht und ein Opfer gebracht wurde, hielten sich zwei Alte im Tempel auf, ein Mann und eine Frau. Als die Eltern herein kamen, sprang der Alte direkt darauf zu, dankte YHWH und sagte etwas wie, seine Augen hätten das Heil gesehen, das Licht der Welt. Dann kam noch die Alte dazu, sie zählt schon über achtzig Jahre. Sie pries YHWH und meinte, das Kind bringe die Erlösung, auf die alle warten.“
„Also doch!“ Herodes ließ sich erschöpft auf den hölzernen Thron mit den Fellen fallen.
„Wir müssen dem Einhalt gebieten“, sprach er leise, „die Erlösung bin doch ich! Wenn die anderen das Kind so ansehen, wird es sich selbst für etwas Besseres halten. Die Menschen werden ihm nachlaufen, wie Schafe dem Leithammel. Nicht auszudenken, wenn er beginnt zu predigen und Forderungen zu stellen und einen Großteil des Volkes hinter sich bringt. Es sind schwierige Zeiten, viele wollen den Wandel nicht. Wie Schnecken, die ihr Haus mit sich herum schleppen, halten sie am Alten fest. Einhalt, sage ich. Wo?“
Niemand antwortete. Er hatte geflüstert, sie hatten ihn nicht gehört.
Herodes sprang auf, er schrie, rot im Gesicht: „Wo? Hört ihr mich nicht? Verdammte dieser Erde. Wo steckt dieser Balg? Diese Astrologen haben es mir nicht gesagt. Ich hätte sie foltern lassen sollen, aber das hätte Ärger mit Rom gegeben. Also wo?“
Eine fürchterliche Stille wurde unterbrochen durch ein Räuspern:
„Bet Lehem.“
„Bet Lehem? Wo liegt dieses Kaff?“
„Bei Zippori.“
„Wachen!“
Die letzten Tage waren verwirrend gewesen. Sein erstes Kind, die Flucht, der Traum. Es tat gut, ein wenig zu ruhen und über alles nachzudenken. So konnte die Seele sich neu sammeln. Neben ihm schliefen seine Frau und das Neugeborene. Notdürftig hatten sie aus Heu und welken Blätter ein Lager gebaut. Eine Bettstatt war das nicht, eingerollt auf der Erde lagen sie, zugedeckt mit den Tüchern und Decken, die sie bei sich trugen. Später würde er sich dazu legen, die beiden wärmen und selbst etwas Wärme finden.
Mit dem Stock stocherte er in dem kleinen Feuer. Es war nicht gut, mit dem Kleinen unterwegs zu sein, kein Zuhause zu haben. Der Frühling war noch nicht da. Wilde Tiere gab es hier, selbst das schaurige Lachen von Hyänen hatte er schon gehört. Wir leben selbst wie Tiere, dachte er, unter dem freien Himmel, auf der Erde schlafen, nicht wissen was morgen bringt. Das Kind brauchte nicht viel, nur die Liebe und die Milch seiner Mutter. Die Mutter war jung und stark. Trotzdem brauchten sie und er zu essen. Die Münzen wurden schnell weniger. Manchmal konnten sie ein paar Tage bleiben und er konnte den Bauern zur Hand gehen. Es war die Zeit für Reparaturen an Haus und Hof. Gab es nichts zu tun, mussten sie betteln.
Die Flammen loderten sacht, die Glut kohlte dahin. Manchmal knisterte es, dann legte sich ein Zweig zur Asche nieder. Ein paar neue Reiser und die Flammen reckten ihre Arme wieder in die Nacht, tanzende kleine Teufel. In der Glut glommen Augen auf, der Schatten eines Gesichts zerfiel, entstand neu, sah ihn an, erinnerte ihn an Vergessenes, an Geträumtes. Da war es wieder, das Antlitz aus seinem Traum.
Kein Zweifel, es hatte ihn gemeint, Jausef. Diese Augen waren so ruhig und klar wie von einem Reh. Voller Liebe, stiller Liebe. Die Haare wie Lohe. Jetzt hatte er eine Stimme gehört, sie redete ihn an. Er hörte seine eigene Stimme, als spräche er mit sich selbst, aber die Stimme kam von diesem Angesicht. Er war es und er er war es nicht, der da zu ihm sprach:
„Geh' fort!“, murmelte es, „geh' fort! fliehe mit Frau und Kind.“
Am nächsten Morgen hatte er mit Maryam darüber gesprochen. Sie hatte nichts gesagt, sie würde folgen. Er war weggegangen, lange Zeit. Er ging über die kargen Winterweiden, roch die schlafende Erde, sah hinauf zum weiten Himmel und fühlte seinen festen Schritt. In der Ferne sah er die Hirten mit ihren Tieren. Er mied sie. Er wollte alleine sein. Die nächtliche Stimme hallte in ihm nach. Mit jedem Schritt geh-fort , mit jedem Atemzug flie-he, flie-he .
Er drehte sich um und sah den Stall nicht mehr. Er setzte sich und blieb, bis die Stimme nicht mehr zu hören war. Sie war nicht aus ihm gewichen, sie war in jedes seiner Glieder gekrochen.
Als er in der Dämmerung zurückkam, sagte er, dass sie gehen.
Betteln war gegen seinen Stolz, aber es war sein Los. Dass es für die Frau und das Kind war, half ihm. Überhaupt, das Kind. Irgendwas war mit diesem Kind. Seit das Kind unterwegs war, hatte sich eine große Ruhe über ihn gelegt. Er war nicht unglücklich gewesen, hatte getan, was sein Vater und seine Brüder, seine Onkel und Freunde getan hatten. Er war zufrieden, sehr zufrieden mit dem Leben im Stamm.
Selbst die Gerüchte hatten ihn kalt gelassen. Nicht sein Kind!
Er liebte diese Frau. Er brauchte nur an sie zu denken und sein Herz wallte auf. Ihre schwarzen Augen, ihre Gestalt, wie sie ging und sprach, oft nachsann, bevor sie sprach, wie sie lachte, wie sie eine Schale hielt. Überhaupt ihre Hände. Wenn sie ihn berührte, fühlte er das Leben in sich. Wenn er sie umfing, verlor er sich und war doch gehalten.
Der Widerschein des Feuers huschte über sein Gesicht.
Er versuchte das zu verstehen. Wenn er sich verlor, war er nicht mehr er selbst. Er wurde etwas Größeres. Etwas von ihm ging zu Maryam und etwas von ihr kam zu ihm, so wie der Regen vom Himmel auf die Erde und der Duft der Erde zum Himmel. Still lachte er in sich hinein. Es war nicht zu verstehen das Wunder. Man zerbrach sich den Kopf und fuhr doch genau daran vorbei.
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