Zuerst war die Veränderung kaum spürbar. Einzig die Magie, die zwischen mir und dem Feuerwall flirrte, ließ mich wissen, dass der Wind meine Worte verstanden hatte. Schneller und schneller strömte die Magie durch mich hindurch, bis ich kaum noch stehen konnte. Eine kalte Böe erfasste mich und trieb mir die Gänsehaut über den Rücken. Nach und nach wurde die Luft dünner. Keuchend kauerte ich mich ins Gras und hielt den Atem an.
Augenblicke später waren die Flammen endlich erloschen.
"Hey." Empört trat Aurica zu mir. "Das war gegen die Regeln."
"Tut mir leid." Ich rappelte mich auf.
"Immerhin scheint Amrian dir ja ein paar nützliche Tricks beizubringen." Aurica schmunzelte. "Den Sauerstoff aus der Umgebungsluft zu separieren und so das Feuer zu ersticken? Nicht schlecht."
Ich brachte ein schmales Lächeln zustande. "Danke."
Es war selbst nach den zwei Wochen, die wir nun hier waren, ungewohnt, Komplimente von der sonst so unerbittlichen Hexenmeisterin zu erhalten. Aurica war als Hexe des Feuers eine der jüngsten Meisterinnen des Zirkels und es war nicht besonders schwer zu erraten, dass ihr Ehrgeiz und ihre Disziplin für diese Stellung verantwortlich waren. Während der ersten Unterrichtsstunden hatte ich das Gelände nicht selten mit Brandblasen und angesengten Haarspitzen verlassen, doch Aufgeben war nicht länger eine Option. Der Gedanke an Morrigan und alles, was auf dem Spiel stand, wog zu schwer.
Während ich einen Schluck aus dem Trinkschlauch nahm, begutachtete Aurica die Brandlöcher in den feuchten Stoffbahnen, die den Trainingsplatz umspannten. Die Lichtung war weit genug vom Dorf entfernt, doch die Gefahr, einen der tief hängenden Äste der umstehenden Bäume zu erwischen und versehentlich einen Waldbrand auszulösen, war Bedrohung genug, um den knapp zwei Meter hohen Schutz aus Stoff zu errichten. Eine Bewegung in meinem Augenwinkel ließ mich den Kopf heben. Ein Vogel schwang sich aus den Wipfeln der Bäume und glitt sanft über die Lichtung, bevor er zwischen den Stämmen verschwand. Über uns färbte sich der Himmel bereits rosa. Ein Blick auf die Taschenuhr, die Raymond mir kurz nach meiner Ankunft in Ciaora geschenkt hatte, bestätigte meine Vermutung.
"Ich muss los", rief ich Aurica über die Lichtung hinweg zu, während ich meinen Umhang überwarf und nach dem Trinkschlauch griff. Meine Mentorin Sidony erwartete mich bereits in einer Viertelstunde am anderen Ende des Dorfes und das Grummeln meines Magens erinnerte mich einmal mehr daran, dass ich in der Zwischenzeit noch irgendwo etwas Essbares auftreiben sollte. Ich war schon halb zwischen den Stoffbahnen verschwunden, als Aurica mir zunickte.
"Wir sehen uns morgen."
Ich hatte die Tür der Hütte gerade hinter mir zugezogen, als ich den lilafarbenen Nebel bemerkte. Kaum eine Handbreit entfernt von meinen Fußspitzen türmten sich die Schwaden übereinander. Abrupt hielt ich inne.
"Wallace?"
Auf meine Nachfrage tauchte zuerst der Kopf und nur Augenblicke später der Körper des Frosches aus dem Nebel.
"Mylady." Er deutete eine Verbeugung an, bevor er den Kopf hob und ein zufriedenes Grinsen zur Schau stellte. "Wie ich sehe, habt Ihr meinen Rat beherzigt."
Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, wovon er sprach.
"Haben die Hexen Euch gut aufgenommen?"
"Sie haben uns schon erwartet." Ich erinnerte mich genau daran, wie wir zwei Wochen zuvor ausgehungert und am Ende unserer Kräfte ins Dorf gestolpert waren. Zwei der Hexen hatten uns bereits im Wald abgepasst und uns ohne auch nur eine Frage zu stellen zu Gladys, der Vorsteherin des Zirkels geführt. Nur zwei Tage später hatten Conan und ich mit dem Training begonnen. "Calideya – die Hexe der Wahrheit – hatte eine Vision, die unsere Ankunft und die Kräfte offenbarte."
Wallace nickte, bevor er mich vom Kopf bis zu den Zehenspitzen musterte. "Wenn ich raten müsste, würde ich behaupten, Ihr steht nicht aus Spaß vor dieser Tür?"
Seiner Geste folgend drehte ich mich um, nur um mir darüber klarzuwerden, warum ich die Hütte eigentlich verlassen hatte.
"Verdammt", murmelte ich, während ich einen Blick auf meine Taschenuhr warf. Es war bereits viertel nach sechs – mein Unterricht bei Sidony startete in diesem Moment. Eilig stopfte ich die Uhr zurück in die kleine Tasche, die an meiner Hüfte befestigt war, bevor ich mich wieder an Wallace wandte.
"Ich muss weiter zum Training", erklärte ich, während ich in einen Laufschritt verfiel. "Weshalb seid Ihr hier? Ist bei den Rebellen alles in Ordnung?"
Es dauerte kaum zwei Sekunden, bis Wallace sich wie gewohnt auf meiner Schulter materialisierte.
"Den Rebellen geht es bestens", entgegnete er dann. "Wusstet Ihr, dass sie vor ein paar Tagen das Schloss eingenommen haben? Wenn sie sich geschickt anstellen, könnte ihnen schon bald die Führung des Landes unterliegen."
"Was ist mit Morrigan?" Nachdem wir fast zwei Wochen von der Außenwelt abgeschnitten gewesen waren, erfüllten Wallace' Worte mich nun mit nervöser Erwartung. Wir waren zwar sichergegangen, dass der Späher der Königin uns nicht bis zum Dorf gefolgt war, doch ich vertraute nicht darauf, dass das genügte. Um ehrlich zu sein, hatte ich jeden einzelnen Tag der letzten beiden Wochen damit gerechnet, dass Morrigans Männer das Dorf überrannten.
"Die Königin ist untergetaucht", nahm Wallace mir nun die Bedenken. "Doch ich würde nicht damit rechnen, dass sie lange verschwunden bleibt. Ihr solltet vorbereitet sein."
Ich zögerte. Ein weiteres Mal stahlen sich die Szenen aus dem Schlosshof in meine Gedanken. Die Schreie der Sterbenden und das Blut, das das Pflaster in einen glatten, purpurfarbenen Teppich kleidete. Noch immer wachte ich nachts schweißgebadet auf – das letzte Bild eines, in dem Ethan den Dolch in meine Brust stieß.
Schon seit einigen Tagen waren die Bilder und die immerwährende Schuld jedoch nicht mehr das Einzige, das mich verfolgte. Ich hatte es bisher noch niemandem anvertraut, doch je öfter ich die Geschehnisse jener Nacht durchging, desto klarer stand mir ein Schluss vor Augen.
"Morrigan kann Magie wirken." Es ausgesprochen zu wissen, nahm nichts von der Angst, die sich zu einem Knoten in meinem Inneren ballte. "Es waren keine Katapulte oder Feuerpfeile im Einsatz. Der Feuerball im Schlosshof – das war Morrigan, nicht wahr? Sie ist eine Hexe."
Wallace antwortete nicht sofort. Schwere Stille senkte sich über uns und nur das Knacken der Zweige unter meinen Sohlen war noch zu hören. Ich hatte die Abkürzung durch den Wald gewählt – ein von Brombeerranken überwucherter Pfad, den ich nur in Notfällen wie heute benutzte.
"Ihr solltet mit der Hexe des Lichts sprechen", sagte Wallace schließlich. "Zu wissen, wofür man kämpft, ist nutzlos, solange man seinen Gegner nicht kennt."
"Was meint Ihr?" Ich verhedderte mich in einer der Ranken und stolperte fast, aber Wallace' Worte forderten meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Einmal mehr wünschte ich, mein Trainingsplan würde eine längere Pause zulassen, doch mit einer wütenden Königin im Nacken konnte ich es mir nicht leisten, zu trödeln. Ich beherrschte meine Magie noch nicht ansatzweise gut genug, um Morrigan gegenüberzutreten. "Warum soll ich mit Gladys sprechen? Was hat das alles mit Morrigans Magie zu tun?"
"Das solltet Ihr selbst herausfinden, Mylady." Wallace' Gewicht verschwand von meiner Schulter und ich dachte bereits, er hätte mich ein weiteres Mal ohne Antwort stehengelassen, als er auf einem tiefhängenden Ast direkt vor meinem Gesicht wieder auftauchte. Ich hielt so abrupt inne, dass ich einen Schritt zurücktaumelte.
"Vielleicht hilft Euch ja auch die Nachricht, wegen der ich eigentlich gekommen bin. Streckt Eure Hand aus."
Ich zögerte nicht. Was immer er mir übergeben wollte, war wichtig genug, dass er sich nach mehr als zwei Wochen Funkstille wieder zeigte – also musste ich es haben. Nebel umhüllte meine Hand und kurz darauf spürte ich eine leichte Berührung – Papier. Ich wartete nicht, bis der Nebel zerstoben war, sondern hob den Brief so nah an meine Augen, bis ich im Zwielicht der Dämmerung etwas erkennen konnte. Mein Name prangte in säuberlicher Schrift auf dem Umschlag, doch so oft ich ihn auch zwischen den Fingern drehte, ich fand keinen Hinweis darauf, woher er stammte.
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