Er ging weg, er meldete sich kaum noch.
Doch dieses Mal glaube ich, habe ich endlich einen Jungen kennengelernt, der mich mag, so wie ich bin. Mit Benny habe ich hoffentlich jemanden gefunden, mit dem ich zusammen träumen kann. Über eine gemeinsame Zukunft. Ich hoffe es so sehr! Vielleicht kann ich eines Tages von hier verschwinden.‹
Cassandra atmete tief durch, legte den Stift zur Seite und stand langsam wieder auf. Sie war müde und zog sich für die Nacht um. Bevor sie ins Badezimmer schlüpfte, spähte sie aus der Tür und lauschte, ob sie etwas hörte. Aber das Haus war ruhig und niemand mehr wach. Schnell schlich sie hinaus und schloss die Tür vom Bad hinter sich ab. Sie schaute in den Spiegel, kämmte ihr langes braunes Haar durch, putzte die Zähne und wusch sich das Gesicht. Lange wollte sie sich aber nicht im Badezimmer aufhalten, denn sie fühlte sich nicht wohl in diesem Raum. Nur eine winzige Stelle hatte sie für ihre Sachen zur Verfügung. Deshalb lagerte sie alles, was sie brauchte, in einer Schublade in ihrem Schreibtisch.
Das Mädchen fühlte sich oft eingesperrt.
Sie setzte sich an ihren Schreibtisch, cremte ihr Gesicht ein und benutzte einen Pflegebalsam für ihre Lippen. Sie holte ihren kleinen Handspiegel aus der Schublade und schaute kurz hinein. Mit einem leisen Seufzer legte sie alles wieder zurück und benutzte noch eine Körperlotion für ihre Arme und Hände.
Bevor sie das Licht löschte, blickte sie sich um. Es war ein typisches Mädchen Zimmer, nur hingen an ihren Wänden keine Boyband Poster, sondern von Rockstars. Ihre Wände waren Sonnengelb, aber sehr hell. Sie blickte zu ihrem Bett und überlegte, ob sie neue Bettwäsche bräuchte. Ihre waren Fliederfarben, mit einigen Verzierungen. Sie mochte keine Blumen, aber ganz schlicht sollte es auch nicht sein. Deshalb waren einige Ornamente darauf abgebildet.
Es war ihr Lieblingsplatz. Hier war sie ungestört, hier konnte sie entspannen und die Welt aussperren. Doch für wie lange? Sie hatte so ein komisches Gefühl. Als würde bald etwas passieren. Das mit Benny fühlte sich einfach zu gut an. Irgendwas … doch sie ließ diese Gedanken nicht zu. Nicht heute. Sie wollte glücklich sein, verliebt. Sie war verliebt. Benny war ein guter Junge. Sie wusste es. Sie fühlte es.
Aber beruhte es auch auf Gegenseitigkeit?
Es waren gerade Ferien und Cassie wollte ausschlafen, doch schon gegen zehn Uhr in der Früh klopfte es an ihrer Tür. Verschlafen blickte sie ihren Besuch an. Seine dunklen Haare sahen in diesem Licht irgendwie unnatürlich wirr aus. Er hatte Ringe unter den Augen. Sein T-Shirt schien zu weit, genauso wie die Hose.
»Nick, was machst du denn hier?«
»Ich wollte dich sehen!«
»Warum?« Müde rieb sie ihre Augen. Die langen, dunkelroten Vorhänge waren noch zugezogen, doch durch einen kleinen Spalt zwang sich ein Sonnenstrahl durch und wollte entdeckt werden. Für Ende März war es schon sehr warm.
Cassie stand auf und ließ die Sonne hinein und begrüßte den Tag mit einem tiefen Atemzug. Sie trug nur Shorts und ein T-Shirt. Nick beobachtete sie und fand ihre zerzausten Haare besonders süß. Mit einem Seufzer ließ sie sich zurück auf ihr Bett sinken und verschränkte die Arme vor ihrer Brust.
»Weil ich mir Sorgen um dich gemacht habe!«, entgegnete Nick nach einer kurzen Pause.
»Warum das denn schon wieder?« Sie blickte ihm tief in die Augen. So langsam bestätigte sich ihr Verdacht. Er war eifersüchtig. Aber warum? Sie war doch ein Nichts, er könnte doch wirklich jemand Besseres finden.
»Weil du nicht ans Handy gegangen bist.«
»Ja, und? Meinst du, ich lasse mein Handy laut, wenn ich mit jemanden weggehe? Zudem war ich zu müde, um noch mit dir zu reden. Ich bin gestern erst halb zwölf zu Hause gewesen.«
»Bist du irgendwie sauer auf mich?«
»Nick, du musst endlich verstehen, dass, auch wenn wir Freunde sind, ich dir nicht alles erzählen kann und ich mich auch mal mit Jungs treffe. Bisher hatte ich nur Pech, wie du weißt. Benny könnte wirklich der Richtige für mich sein. Wir hatten echt Spaß gestern. Habe ich nicht etwas Glück verdient? Ich musste die Zeit überstehen. Du warst lange weg. Du hast dich kaum mehr gemeldet. Es … Eine Freundschaft braucht auch pflege«, sagte sie schon fast flehentlich. Sie wirkte so verloren. Am liebsten wäre er zu ihr und hätte sie umarmt. Aber er spürte die Distanz.
»Ich verstehe voll und ganz.« Erst da bemerkte er ihr offenes Tagebuch. Ihr Schreibtisch stand rechts von ihm. Unauffällig trat er einen Schritt darauf zu und überflog den letzten Eintrag, als sie erneut aufstand und aus dem Fenster schaute.
›Und damit zerstört er langsam aber sicher unsere Freundschaft, so leid es mir auch tut. Aber bald kann ich einfach nicht mehr.‹
»Ach tust du?«
»Cassie, ich mache mir nur Sorgen. Ich weiß, wer du bist und ich«, er stoppte, musste sich sammeln. »Ich weiß, wie du auf Rückschläge reagierst.« Er ging einige Schritte auf sie zu. Weg von den schmerzenden Zeilen.
»Ja, aber Nick, ich bin kein kleines Kind mehr. Ich weiß was ich will.«
Nick
Eigentlich war er nicht wegen ihres Treffens mit Benny gekommen, sondern weil er ihr etwas anvertrauen wollte. Nicht dass er sie liebte, nicht nach dieser Reaktion.
Sein Herz wurde schwerer und sein Mut sank. Die Wahrheit würde ihr Herz brechen. Doch konnte er ihr das trotz allem nicht antun. Sie mochte ihn vielleicht weniger als er sie, aber das würde sie nicht verkraften. Ihr Glück sollte nicht von seinem Schmerz beeinflusst werden.
Auch wenn Nick Angst hatte und die ganze Nacht wach lag, wollte er ihre rosa Wolke nicht zerstören. Sie hatte Träume, Ziele, Wünsche. Bald schon würde er der Vergangenheit angehören. Eine vage Erinnerung.
»Nick, ich kann auf mich aufpassen. Misch dich nicht in mein Leben ein, okay!« Ihre Stimme zitterte und sie musste sich beherrschen nicht laut zu werden.
»Erwarte keine Hilfe, wenn du wieder am Boden bist, Cassie. Dieses Mal kann ich dir nicht helfen, dieses Mal nicht.«
Das Fenster spiegelte ihr Gesicht wider. Sie konnte auch ihn erkennen. Sie wollte sich ja umdrehen, aber er sollte nicht die Träne sehen, die sich davon stahl.
Seine Worte brachten etwas zum Vorschein, was sie lange nicht mehr spürte.
Er war immer für sie da, aber in diesem Moment schien ihre Unterhaltung fruchtlos, sogar sehr niederschmetternd.
›Warum kann ich nicht mit ihr darüber reden?‹, dachte sich der Junge.
»Aber, Nick …?« Noch bevor sie sich umdrehen konnte, war er schon verschwunden.
Cassie
Sie hörte die Haustür ins Schloss fallen. Sah ihn hinauslaufen. Er blickte nicht einmal mehr zu ihr hinauf. Doch erkannte sie den Schmerz. In all den Jahren hat er nie so reagiert. Bevor er aus ihrem Blick verschwand, erkannte sie den Mann in ihm. Wann ist er nur so erwachsen geworden?
Wann wurde aus dem Jungen, der immer für sie da war und mit dem sie Pferde stehlen konnte, ein Mann? Spielte die Zeit ihr streiche?
Sie waren nun nicht mehr gleichgroß, sondern er überragte sie um fast einen Kopf.
Sie versuchte, ihn sehr oft zu erreichen, um sich bei ihm zu entschuldigen, doch legte er gleich auf, sobald er ihre Stimme erkannte.
Kurz darauf ließ er nur noch den Anrufbeantworter ran gehen. Sie wollte wissen, was mit ihm los war. Warum er so reagierte. Doch schien es vorbei zu sein. Sie wollte nicht ihre Freundschaft aufgeben. Nick war scheinbar nicht in der Lage mit ihr ordentlich zu reden. Es war echt seltsam, so kannte sie ihn nicht.
Nick
Die Wochen vergingen und doch konnte Nick diese Zeilen nicht vergessen:
›Und damit zerstört er langsam aber sicher unsere Freundschaft, so leid es mir auch tut. Bald kann ich einfach nicht mehr.‹
Читать дальше