Andreas Osinski
Zerrissen
Ein Schleswig-Holstein Krimi
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Inhaltsverzeichnis
Titel Andreas Osinski Zerrissen Ein Schleswig-Holstein Krimi Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Impressum neobooks
„Ich Dich auch!“ antwortete der bärtige Mann mit angespannter Stimme und beendete das Gespräch mit einem kurzen Druck auf den roten Knopf des Mobiltelefons. Er umklammerte das schwarze Telefon mit der Rechten und lehnte sich behutsam in den Sitz zurück. Langsam schloß der Mann die Augen und drückte den verspannten Nacken gegen das kühle Leder der abgewetzten Kopfstütze. Es war so gut, daß sie ihn jetzt noch mal angerufen hatte. Und es war so gut, ihre Stimme zu hören. Es ging ihm schon viel besser, jetzt, nachdem sie ihn wieder ein wenig beruhigt hatte. Jedenfalls zitterte er nicht mehr so heftig und auch dieses flaue Gefühl in der Magengegend war auch fast verschwunden. Aber er fühlte sich immer noch sehr angespannt und ausgelaugt. Diese Sache war kräftezehrender, als er sich selbst eingestehen wollte. Es würde alles klappen, hatte seine Freundin ihm wieder und wieder gesagt und er glaubte es ihr. Es war alles gut durchdacht und die einzige Chance, die ihnen noch geblieben war. Sie konnten von vorn beginnen, alles Vergangene einfach hinter sich lassen. Ein neues Leben beginnen! In spätestens drei Tagen würde sie bequem auf der Veranda sitzen, die Beine hochgelegt. Eine Dose Molsen Bier in der Hand, daneben der knisternde Grill mit den zentimeterdicken Steaks darauf. Wie hatte er das vermißt, in den letzten Jahren. Wie oft war diese Szenerie in seinen Kopf umhergekreist. In der kargen Gefängniszelle, vier mal zwei Meter. Die Zeit bis dahin würde sie auch noch überstehen, ging es ihm durch den Kopf. Irgendwie würde es schon gehen. Der Mann öffnete vorsichtig die Augen und blickte durch das Seitenfenster des Wagens hinüber zum Hauseingang. Jede Minute das bestimmte Ereignis erwartend, das alles schlagartig ändern und ihn endlich aus dieser Angespanntheit befreien würde. Er wußte es. Sobald er sein Opfer in der Eingangstür erblickte, würde sich diese Spannung lösen. Genau so, wie ein Baum im Herbst die Blätter verliert, würde diese lästige Unruhe von ihm abfallen. Einfach so. Dann würde er nur noch funktionieren, wie eine Maschine. Keine Zeit mehr für Gefühle! Es war sein Teil des Jobs, den er hier zu erledigen hatte. Und er würde ihn gut machen. So gut es eben ging. Der Bärtige kniff die müden Augen zusammen. Genau so mußte sich ein Marathonläufer fühlen, kam es ihm plötzlich in den Sinn. Ein Marathonläufer, der die Nähe des vorausliegenden und immer näher rückenden Zieles förmlich spüren konnte, ohne es jedoch bereits erblickt zu haben! Müde und ausgelaugt, die Beine schwer wie Blei. Aber mit dem eisernen Willen, die Sache zu Ende zu bringen! Die getönten Seitenfenter des Wagens waren gesprenkelt mit angetrocknetem Schmutz längst vergangener Regentropfen. Sie ließen das Bild des Hauseinganges dahinter unwirklich erscheinen, konturenlos werden. Die Schmutzränder verzerrten es fast so, als betrachtete man eine unscharf entwickeltete Fotografie. Vergilbt und mit einem leichten Grünstich versehen. Sein Wagen paßte nicht in diese Gegend der großen BMW `s und S-Klasse Mercedesse. Autos, die hier zu dutzenden herumfuhren oder in den Einfahrten standen, scheinbar nur um zu demonstrieren, daß sie existierten. Sein roter Kombi war alt, verbraucht und im Gegensatz zu den Nobelkarossen nicht einmal waschstraßengepflegt, geschweige denn sogar handpoliert. Er haßte diese Gegend. Er haßte den ganzen Vorort mitsamt den säuberlich geschnittenen Rasenflächen und den Menschen, die hier lebten! Und diese Gegend haßte Menschen wie ihn. Vorbestrafte Kriminelle. Subjekte, die einfach nicht in dieses Viertel paßten und die hier nicht das Geringste zu suchen hatten. Ein mulmiges Gefühl machte sich wieder in der Magengengend breit. Es war diese Mischung aus drückendem Schmerz und dem lästigen Gefühl, schnellstens auf die Toilette zu müssen. Der Mann griff in das offenstehende Handschuhfach des Wagens und fingerte eine rote Schachtel mit Baldriandragees heraus. Sie hatte sie ihm mitgegeben. Vorsorglich und für den Notfall. Mit Daumen und Zeigefinger seiner Rechten drückte er zwei der beigefarbenen Pillen aus der Verpackung und ließ sie in seine Handfläche kullern. Mit einer schnellen Bewegung seiner Linken warf der Bärtige die Dragees in den Mund und würgte sie dann mit einem angewiderten Gesichtsausdruck hinunter. Hoffentlich war sein Wagen nicht aufgefallen, schoß es ihm plötzlich wieder durch den Kopf. Sein Herz begann laut zu pochen und der säuerlicher Geschmack in seinem Mund machte sich jetzt auch noch auf der Zunge breit. Er war plötzlich hellwach und mußte mehrmals unwillkürlich schlucken. Der Mann blickte sich verstört um. Hinter jedem Fenster der angrenzenden Häuser, denen er bis dahin eher weniger Beachtung geschenkt hatte, witterte er plötzlich Gefahr. Jemand, der ihn heimlich beobachte. Der ältere Nachbar von Gegenüber, der längst wußte, was hier ablief und der mit Sicherheit schon die Polizei informiert hatte. Der Zeitungsbote vielleicht, der immer zur gleichen Zeit hier vorbeikam und der hinter der Existenz seines auffälligen Wagens zumindest etwas Ungewohnliches erahnte. Er war irritiert. Irritiert darüber, wie ein einzelner plötzlicher Gedanke ihn wieder so runterziehen konnte, ihn so durcheinander brachte. Der Mann zog den Reißverschluß der hellen Jeansjacke herunter und öffnete den obersten Knopf des Cordhemdes. Sollte er sie vielleicht noch mal kurz anrufen? Um den beruhigenden Klang ihrer Stimme zu hören? Aber er konnte doch nicht jedesmal mit ihr telefonieren, wenn diese Unruhe und das flaue Gefühl in seinem Magen kamen, ihn wieder übermannten. Er mußte versuchen, sich zur Ruhe zu zwingen und an etwas anderes zu denken, wollte er diese Sache nicht vermasseln. Es würde doch nicht mehr lange dauern. So gut es ging lehnte sich der Mann wieder in den Sitz zurück, legte das Telefon mit einer schnellen Bewegung auf den Beifahrersitz und schloß die Augen.„Nur in der Ruhe liegt die Kraft“ war es ihm mal irgendwo untergekommen. Vielleicht steckte ja ein wenig Wahrheit darin. Und wer nervös ist, der macht Fehler, war dann wohl die Konsequenz. Und wer Fehler macht, der wird irgendwann erwischt und wandert in den Knast. Das war das Resultat, die unerbittliche Realität. Und er wollte nicht noch einmal dort hin. Die paar Jahre in Stadelheim hatten ihm gereicht. Für den Rest seines Lebens. Die Zeit dort war ihm verhaßt gewesen. Und er hatte dort einfach nicht hineingepaßt. Es war nicht der richtige Ort für ihn, denn es gab nichts gut zu machen. Richtig! Er hatte eine gerechte Strafe verdient für das, was er angestellt hatte. Es wäre ihm lieber gewesen, etwas Produktives zu tun, in diesen zweieinhalb Jahren. Etwas, was der Gesellschaft -gegen deren Regeln er verstoßen hatte- und ihm irgendwie weitergeholfen hätte. Aber die ganze Zeit über Glühlampen für Backöfen zusammen zu schrauben konnte nicht der Sinn einer Bestrafung sein. Der Bärtige verschränkte die Arme vor der Brust und zog die Beine bis dicht unter den Fahrersitz. Sonderlich weit aufgestiegen war er nicht, in der Knasthierarchie. Dafür hatten sie ihm zu wenig aufgebrummt und außerdem war er bei der Gefängnisleitung beliebt.
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