Die reliefartig verglasten Metalltüren schwangen lautlos zur Seite und gaben den Blick ins Innere der riesigen Gepäckabfertigung frei. An der gegenüberliegenden Seite der Halle fielen ihr sofort zahlreiche große Poster mit fernöstlich aussehenden Landschaften und Motiven ins Auge. Ein buddhistischer Tempel, ein Bild mit zwei freundlich dreinblickenden Reisbauern und einem Ochsen in der Mitte, das Portrait einer asiatischen Schönheit mit weißblitzenden Zähnen und braunen Mandelaugen. Davor zusammengeschobene Gepäckwagen an einem Automaten. Links neben der Durchgangstür der lange Tresen der Zollabfertigung mit einem uniformierten Beamten dahinter. Die Hände hatte der graubärtige mit wichtiger Mine auf dem Rücken gefaltet und er wippte auf den Zehenspitzen leicht hin und her. Aus den unsichtbaren Lautsprechern in der Halle drangen fortwährend schlecht verständliche Ankündungen der Flughafenansage zu ihr herüber. Es waren nur Wortfetzen, die sie vernehmen konnte. Aber es ging um verspätete Flüge und vermißte Passagiere. Das konnte sie durch den Lärm und das Stimmengewirr heraushören. Durch die geöffneten Türen hindurch erblickte sie Beatrice schließlich in einer kleinen Menschentraube an einem der zahlreichen Kofferbänder. Darüber eine gelbe Leuchttafel mit der Aufschrift „Air Canada 872 Toronto“ Beatrice trug wie immer Jeans, eine leichte Sommerjacke und eine blaue Baseballkappe. Ihr rotkariertes Holzfällerhemd hing über der Hose und lugte lang unter der hellen Jacke hervor. Nachdem sie ihren kleinen Lederkoffer schließlich vom Band gefischt hatte, kam sie winkend zu ihr herüber. Der Zollbeamte nickte mit freundlicher Mine und geleitete sie mit einer schnellen Handbewegung durch die Kontrolle. Beatrice sah müde aus. Die verquollenen roten Augen hatten etwas kaninchenartiges. Sie fielen sich wortlos in die Arme und hielten sich lange fest. „Schön Dich endlich hier zu haben!“ flüsterte sie schließlich leise in Beatrice Ohr. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich mich freue, Dich zu sehen.“ fügte sie nach einer kurzen Pause noch hinzu.Sie lösten sich voneinander und hielten sich weiterhin an den Händen. Eine Freudenträne rann ihr über die Wange, als sie tief in das Gesicht ihrer Freundin blickte. Beatrice nahm kurzerhand den Handrücken hoch und wischte mit einer behutsamen und liebevollen Geste über ihr gerötetes Gesicht. „Hallo wie geht es Dir!“ entfuhr es Beatrice mit leiser Stimme. „Gut!“ antwortete sie, nachdem sie sich beruhigt hatte.„Wie war der Flug?“ „Anstrengend. Ich bin ziemlich müde.“ antwortete Beatrice kopfschüttelnd. „Wir hatten eine Menge Turbulenzen über Grönland. An Schlaf war da nicht zu denken!“ „Das kann ich mir gut vorstellen.“ antwortete sie mit einem verständnisvollen Unterton in der Stimme. „Möchtest Du etwas essen oder möchtest Du einen Kaffee?“ „Nein danke. Sehr lieb von Dir!“ antwortete Beatrice. „Aber ich hatte im Flieger schon eine Kleinigkeit!“ „Okay, dann bringe ich Dich jetzt in Dein Hotel. Ich habe Dir ein Zimmer gemietet.“ sagte sie und griff nach dem hellen Lederkoffer auf dem Steinfußboden.„Schlaf ` ein bißchen. Du mußt erst später kommen.“ „Das kann ich jetzt wirklich gut gebrauchen!“ sagte Beatrice, während sie gemeinsam durch die endlos erscheinende Eingangshalle schlenderten. Sie verließen das Ankunfterminal und gingen den überdachten Weg zu den Parkplätzen entlang. „Am besten Du nimmst dir später ein Taxi und fährst direkt zur Halle.“ schlug sie vor, während sie in ihrer kleinen Handtasche nach den Autoschlüsseln suchte. „Gut“ antwortete Beatrice kurz. „Hat er sich schon gemeldet? „Ich habe gerade vor ein paar Minuten noch mit ihm telefoniert und ihm ein bißchen Mut gemacht.“„War er wieder so neben der Spur?“ fragte Beatrice besorgt. „Ja, aber ich konnte ihn beruhigen.“ antwortete sie kurz. Sie blickte zu Beatrice auf dem Beifahrersitz. „Mach Dir keine Sorgen. Er wird es schaffen. Ich weiß es!“ fügte sie hinzu, während sie den Motor des Ford startete.
Der machanische Wecker auf Klaus-Dieter Warbs Nachttisch klingelte laut und ohne Erbarmen. Stärker und stärker drang das pulsierende und nervenzerreißende Tönen wie durch einen dichten Nebel hindurch in sein Bewußtsein. Dabei war es ihm zunächst so vorgekommen, als sei dieses helle Klingeln ein Teil des soeben durchlebten Traumes gewesen.Er hatte sich mit seiner Frau Lisa auf einem riesigen weißen Kreuzfahrtschiff in der Ostsee befunden. Einem futuristisch anmutenden Luxusliner mit blauen Schornsteinen und hoch herausragenden Aufbauten. Sie waren soeben mit kleiner Fahrt in die riesige Schleusenanlage vor dem Nord-Ostsee-Kanal eingelaufen und hatten dann gestoppt. Der russische Kapitän auf der Brücke hatte etwas Unverständliches in die Lautsprecheranlage gerufen und die Crew an Oberdeck hatte daraufhin begonnen, das Schiff an der Schleusenmauer festzumachen. Sie hatten beide auf dem Promenadendeck gestanden. Arm in Arm. Und sie hatten von hoch oben dem geschäftigen Treiben dort unten interessiert zugeschaut. Die Arbeiter in der Schleuse hatten auf sie wie kleine geschäftige Ameisen gewirkt. Fortwährend hin- und herlaufend, scheinbar planlos und ohne Ziel. Im hinteren Bereich der Schleuse hatten dann plötzlich große rote Leuchten aufgeblinkt. Sie hatten sich erschrocken umgedreht und bemerkt, daß sich die mächtigen Schleusentore in ihrem Rücken in Bewegung gesetzt hatten. Zudem hatte irgendwo eine riesige Klingel begonnen, laut und durchdringend zu tönen. Mehr und mehr hatte er aber noch in seinem Traum dann realisieren müssen, daß dieses pulsierende Klingeln nicht etwa ein akkustisches Warnsignal der Schleusenanlage war, sondern ausschließlich dazu diente, ihm auch noch das allerletzte bißchen Schlaf aus den Gliedern zu treiben. Er hatte auch nicht etwa eine Warnklingel gehört, sondern lediglich seinen alten Wecker. Ein Erbstück seines verstorbenen Vaters.Nachdem er nunmehr ansatzweise in der Lage war, einen klaren Gedanken zu fassen, langte er aufgeschreckt mit seiner rechten Hand hinüber zum Wecker und brachte das Getöse in seinen Ohren mit einem gezielten Handschlag zum erliegen. Tastend und mit noch immer geschlossenen Augen fingerte er seine Armbanduhr vom Nachttisch. Er ließ sich noch einen Moment Zeit, gähnte dann kräftig und blickte auf das gelbschimmernde Ziffernblatt seiner Rolex. Seine Uhr zeigte kurz vor sechs und es sollte wie jeden morgen die gleiche unbarmherzige Tortour beginnen. Auch wenn er schon hunderte Male aufgestanden war, so war es doch jedes Mal wieder ein grausamer nicht endenwollender Kampf. Ein Kampf, bei dem der Sieger tagtäglich schon von vornherein feststand. Er haßte sich dafür. Er haßte diese Quälerei jeden morgen und seine mangelnde Selbstdisziplin in dieser Hinsicht. Obgleich er stetig an sich arbeitete, war dieses Problem wohl nicht mehr in den Griff zu bekommen. Jedenfalls nicht mehr in diesem Leben. Es war nicht zu leugnen, daß er schwach war. Willenlos und butterweich. Aber nur in dieser Hinsicht. Nur wenn es um das morgendliche Aufstehen ging. Aber warum eigentlich? War er nicht der Chef, kam es ihm plötzlich in den Sinn, als er den rechten Arm wieder unter die wärmende Bettdecke zog. Und gehörte es nicht auch zu den Privilegien eines Chefs, sich ab und an mal die Freiheit zu gönnen, später als üblich im Büro zu erscheinen? Hatte er sich das nicht wenigstens verdient, in all den Jahren der Plackerei? Theoretisch ja. Aber praktisch nein. Denn gerade heute hatte er schon um acht Uhr einen wichtigen Besprechungstermin mit einigen hochkarätigen Geschäftspartnern. Ein Arbeitsfrühstück in seinem Büro, das er unter gar keinem Umständen verpassen durfte. Immerhin ging um die weitere Zukunft seines Verlages. Wenn heute alles so klappte, wie er es sich schon seit Wochen vorgestellt und ausgemalt hatte, wäre er wohl einer der mächtigsten Männer in der Verlagbranche.
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